„Das Nähcafé ist wie eine Therapie für mich“

Lilit Khachatrian ist im März 2022 aus Butscha, wo die Russen kurz zuvor ein Massaker unter der Zivilbevölkerung angerichtet hatten, nach Deutschland gekommen. An diesem Nachmittag sitzt die 44-Jährige, die in der Ukraine als Wirtschaftsjuristin gearbeitet und nach den Gräueltaten alles zurückgelassen hat, im Bensberger Treffpunkt an einer Nähmaschine und ist damit beschäftigt, der praktischen Hilfe von Vera Holm, Mitglied im ökumenischen Arbeitskreis „Wir für neue Nachbarn“, zu folgen. Denn die Ukrainerin ist eine von vier geflüchteten Frauen, die die von Margret Blazek angestoßene Initiative eines Nähcafés, das nebenbei auch eine Art Treffpunkt zum Austausch und damit ein Integrationsangebot der Bensberg-Moitzfelder Pfarreiengemeinschaft sein soll, dankbar aufgreifen. „Mit den Händen handwerklich arbeiten zu können und alle Sorgen einmal für kurze Zeit auszublenden, ist wie eine Therapie für mich und lenkt mich vom ständigen Grübeln ab“, sagt Lilit, während sie an einem bunten Schal arbeitet und die losen Enden zusammenfügt.

Sie ist keine geübte Näherin, aber sie betont, wie gut ihr diese zwei Stunden tun, für die sie eigens mit dem Bus aus Hand kommt. Die Verständigung gelingt ihr inzwischen mühelos, denn seit ihrer Ankunft in Bergisch Gladbach nimmt sie täglich an einem Deutschkurs teil und peilt gerade das Sprachzertifikat B2 an. Ob sie dauerhaft in Deutschland bleiben wird, sei noch unklar und hänge auch davon ab, wie lang der Krieg noch andauere, sagt sie. Aber diese Frage, ob es einen Weg zurück nach Hause gebe, bewege sie immerzu. Tatsache ist, dass ihr Mann im Krieg als Soldat kämpft, sie ihn seit Januar nicht gesehen hat und tagtäglich in großer Sorge um ihn ist. Einmal in der Woche arbeitet Lilit ehrenamtlich in einem Sozialkaufhaus, aber sie ist zuversichtlich, dass sie mit wachsenden Sprachfortschritten auch Aussicht auf eine bezahlte Arbeit hat. Jedenfalls ist sie dazu im engen Austausch mit ihrer Betreuerin beim Jobcenter.

Nicht immer erfährt Margret Blazek, welches Schicksal die geflüchteten Frauen, für die „Wir für neue Nachbarn“ Angebote entwickelt, mit sich herumschleppen. Ausfragen möchte sie sie nicht. Doch die meisten sind froh, wenn sie sich ihre Ängste und Nöte, die viel mit den in der Heimat Zurückgelassenen zu tun haben, einmal von der Seele reden können und es dafür solche Gelegenheiten wie das Nähcafé gibt. Dieses Projekt existiert seit 2019, fand ursprünglich im Moitzfelder Familienzentrum statt – auch um junge Kita-Mütter mit geflüchteten Frauen zusammenzubringen – wurde dann aber in der Pandemie ausgesetzt und letztlich auch von der anfänglichen Idee abgekoppelt. „Weil unser Vorhaben, die einen mit den anderen Frauen zu mischen, nicht wirklich aufgegangen ist“, so Blazek. Nun gebe es einen neuen Anlauf unter veränderten Vorzeichen.

Acht Nähmaschinen insgesamt, die allesamt gestiftet worden sind, stehen für das Nähcafé zur Verfügung. Stoffe, Nähmaterialien und vor allem langjährige Erfahrung bei Nähkursen bringt Barbara Müller mit, Inhaberin von „Verstrickt und zugenäht“, dem Fachgeschäft in der Schlossstraße. Mit den Hobbyschneiderinnen Elke Fröhlich und Vera Holm stünden weitere „Damen vom Fach“ mit Rat und Tat zur Seite, erklärt Blazek. Einen Beitragsobolus von 5 Euro hält die Vertreterin des Caritas-Ausschusses für wichtig, um eine gewisse Verbindlichkeit bei der Anmeldung zu gewährleisten. Außerdem ist es ihr ein Anliegen, dass jede Teilnehmerin nach einer solchen Doppelstunde mit einem greifbaren Ergebnis – in diesem Fall einem fertigen zweilagig gearbeiteten Schal – nach Hause geht.

Das Nähecafé findet alle paar Wochen im Treffpunkt statt. Der nächste Termin ist der 6. Dezember um 16.30 Uhr. Passend zum Advent soll dann ein großer Stern, der als Tischdekoration dienen soll, genäht werden.

Text und Foto – Beatrice Tomasetti