Ukrainerin aus Moitzfeld absolviert Ausbildung zur Kinderchor-Leitung

Vor dem Krieg hat Svetlana Marchuk in Dnipro als Musiklehrerin und Sängerin gearbeitet. In Deutschland setzt sie nun alles daran, auch hier Kinder unterrichten zu können. Die Ausbildung zur Kinderchorleiterin im Erzbistum Köln ist ein Anfang – und auch ein Baustein gelingender Integration. Den Kontakt zu den Verantwortlichen im Bistum hat Mechtild Münzer hergestellt.

Wenn Svetlana singt, ist sie in ihrem Element. Dann bewegt sie sich im Rhythmus der Musik, wirft selbstbewusst den Kopf in den Nacken und vergisst die Welt um sich herum. Ihre Stimme ist ausgebildet und klingt warm. Inzwischen sind es nicht mehr nur ukrainische Lieder, die sie für ihre Landsleute singt und womit sie in der neuen Heimat die schmerzlich zurückgelassene lebendig werden lässt. Auch deutsche Kirchenlieder hat sie sich inzwischen erarbeitet, so dass sie schon den einen oder anderen Auftritt im Gottesdienst oder bei Feiern hatte, die von der „Aktion Neue Nachbarn“ eigens für ukrainische Geflüchtete ausgerichtet wurden – wie zuletzt beim Neujahrsfest im Bensberger Treffpunkt St. Nikolaus.

Svetlana ist eine von rund 40 Geflüchteten, die unmittelbar nach Kriegsausbruch in Bergisch Gladbach-Bensberg angekommen sind. Über Polen ist sie mit ihrer Familie, zu der ihr Mann Alexandr, Tochter Alona mit ihren zwei Kindern und der 13-jährige Valerij gehören, nach Deutschland geflohen. Yaroslav, ihr 27-jähriger Sohn, musste mit seiner Frau in der Ukraine zurückbleiben und zunächst als Soldat an die Front. Nach dem ersten Kampfeinsatz wurde er aus gesundheitlichen Gründen vom Militärdienst freigestellt. Svetlana fiel ein Stein vom Herzen – selbst wenn sie ihr erwachsenes Kind dennoch schmerzlich vermisst.

Auch ihre betagten Eltern bereiten der Ukrainerin Sorge, zumal diese die beschwerliche Flucht nach Deutschland nicht auf sich nehmen konnten. Mit ihnen und Yaroslav ist die 49-Jährige täglich in Kontakt. Dabei ist die Angst, ob sie die russischen Raketenangriffe und den Dauerbeschuss in vielen Regionen des Landes wohl überleben werden, ihr täglicher Begleiter. Von der Geburt des nächsten Enkelkindes, das täglich erwartet wird, muss ein Smartphone-Foto reichen. Denn in den Arm nehmen können wird sie es absehbar erst einmal nicht. Auch das stimmt sie traurig.

Bis zum Kriegsausbruch hat Svetlana als Musikpädagogin und freiberufliche Sängerin gearbeitet, vor allem für die Kirche. Sie hat auf Hochzeiten gesungen, sich selbst dabei auf dem Akkordeon begleitet oder aber Kindern Musikunterricht erteilt. Ihr Musikstudium hat sie an der Musikakademie in Dnipro, der viertgrößten Stadt in der Ukraine, absolviert. Nun aber muss sie von vorne anfangen und hofft, dass ihre Deutschkenntnisse schon bald dazu ausreichen, wieder in ihrem Beruf arbeiten und eigenes Geld verdienen zu können. Vor allem aber braucht die Familienmutter eine Perspektive. Daran arbeitet sie mit großer Motivation. Und wie es aussieht, mit Erfolg.

Denn seit Sommer nimmt Svetlana an einer Ausbildung zur Kinderchorleiterin des Erzbistums Köln statt. Das bedeutet übers Jahr verteilt elf Unterrichtseinheiten, die samstags Vormittag in der Kölner Musikhochschule stattfinden und bei denen Grundlagen der Musiktheorie, die Liturgik des Kirchenjahres, chorische Stimmbildung in der Gruppe mit professioneller Unterstützung und Literaturkunde vermittelt werden. Außerdem absolvieren die Kursteilnehmerinnen und -teilnehmer ein sogenanntes Chormentorat, das etwa 20 Proben mit einem Kinderchor vorsieht.

„Diese Ausbildung richtet sich an Menschen, die im erzieherischen Bereich tätig sind, also in Kitas, Schulen, dem Offenen Ganztag oder auch im Kommunionkurs“, erklärt Regionalkantor Matthias Röttger aus Mettmann, der das Konzept zu dieser Ausbildung entwickelt hat, selbst in seinem Seelsorgebereich eine lebendige Kinderchorlandschaft pflegt und den Lehrgangsabsolventen ein Basisrüstzeug für das Singen mit Kindern mitgeben will. Die Grundlagen der Didaktik bildet dabei die „Kölner Chorschule – in 30 Schritten zum Blattsingen“. In der Corona-Zeit sei viel weggebrochen, nun sei es wichtig, den Chornachwuchs wieder schrittweise aufzubauen, argumentiert Röttger, der selbst sechs Kinder- und Jugendchöre leitet. In jeder Kita oder Schule sollte es nach seiner Vorstellung eine solche offiziell geschulte Fachkraft geben, die die richtigen, nämlich der Kinderstimme angepassten Lieder auswählt und diese auch in der richtigen Tonlage anstimmen kann.

Die Eignungsprüfung ist bewusst niederschwellig angesetzt. „Einen anspruchsvollen Aufnahmetest gibt es bei uns nicht. Singen können und ein Gefühl für Rhythmik und Melodik haben sollte man allerdings schon, vor allem aber die Liebe zu Kindern mitbringen, Musikalität und ein bisschen Charisma“, benennt Röttger die Voraussetzungen.

Nach diesem Prinzip arbeitet auch Seelsorgebereichsmusikerin Claudia Mandelartz in Bergisch Gladbach-Heidkamp mit Svetlana, die bei ihr freitagnachmittags ihr Chormentorat absolviert und dabei lernt, theoretisches Wissen in der Praxis anzuwenden. Da sie aus Dnipro schon eine Menge Erfahrung mit Chören mitbringt, fällt ihr das auch nicht weiter schwer. Allenfalls bei der Sprache hapert es noch ein wenig. Aber da es zu Beginn einer Stunde zunächst einmal um das Nachsingen der sogenannten Solmisationssilben – Do Re Mi Fa So La Ti – geht und die Kinder ihr Grundrepertoire auswendig können, klappt die Verständigung inzwischen ganz gut. Und so hören sich die „Hits“ der Kids „Ich hab’ nen Platz in Gottes Herz“ oder „Dieses kleine Stück Brot in unseren Händen“ in Vorbereitung auf den nächsten Familiengottesdienst auch schon ganz munter an. Und wenn die letzte Sicherheit noch fehlt, weiß Mentorin Mandelartz, welche Tipps Svetlana helfen, damit die Stücke noch den letzten Schliff bekommen. Man sieht den kleinen Sängerinnen zwischen sechs und 13 Jahren jedenfalls an, dass sie mit großem Eifer bei der Sache sind und aufmerksam auf die Einsätze von Svetlana reagieren, die auf diese Weise beim Mitsingen ganz nebenbei einige erste deutsche Kirchenlieder kennenlernt.

„Kinder müssen motiviert werden. Sie sollten sich nicht langweilen. Daher muss man ganz schnell reagieren können und mit Methodenwechseln arbeiten“, weiß Mandelartz aus jahrzehntelanger Erfahrung. Schließlich hält sie Singstunden in Kitas im gesamten Einzugsgebiet ihres Seelsorgebereichs – von Sand bis Herkenrath und von Bärbroich über Herrenstrunden bis Eikamp – ab, um schon die Jüngsten fürs Singen zu begeistern. Ausflüge oder Wettbewerbsteilnahmen über den Chorverband „Pueri Cantores“ machten die spätere Mitgliedschaft in einem Chor dann zusätzlich attraktiv. „Anreize schaffen – das ist wichtig. Denn es geht darum, Spaß zu haben. Dann bleiben auch alle bei der Stange“, betont Mandelartz. Werbung fürs Singen könne man nie genug machen – allein schon aus pastoralen Gründen. „Übers Singen in Gemeinschaft erreicht man viele Kinder und am Ende die ganze Familie.“

Svetlana Marchuk ist in den letzten Monaten sichtlich aufgeblüht. Mit jeder zusätzlichen Unterrichtsstunde bei ihrer Mentorin gewinnt sie mehr Selbstsicherheit. Vor allem aber ist sie glücklich, etwas machen zu können, was ihr am Herzen liegt und sie gleichzeitig vorübergehend vom Krieg in der Heimat ablenkt. Sie richtet sich darauf ein, in Deutschland Fuß zu fassen und sich hier mit ihrer Familie eine Zukunft aufzubauen, auch wenn sie – wie so viele ihrer Landsleute – inständig hofft, eines Tages in die Ukraine zurückkehren zu können. In der Zwischenzeit aber will sie das tun, was sie am besten kann: singen und anderen damit Freude schenken. „Die Musik lässt mich überleben“, sagt Svetlana.

Text – Domradiobeitrag vom 15. Januar/Beatrice Tomasetti