Zu „Wieverfastelovend“ wird in St. Nikolaus traditionell die „Möhnemess“ als ökumenischer Wortgottesdienst gefeiert
Das sei genau das Richtige für die Seele, findet Ute Dombrowski. „Damit läute ich für mich den Straßenkarneval ein, zumal dieser Gottesdienst geradezu die ideale Einstimmung dafür ist. Zwischen Herzschmerz und Freude bis hin zum sprichwörtlichen Druck auf die Tränendrüsen ist alles mit dabei“, lacht die 54-Jährige. In ihrem schmucken Amazonen-Kostüm der Großen Bensberger Karnevalsgesellschaft Rot-Weiß reiht sie sich zwischen die vielen bunten Clowns und Narren ein, die an diesem Morgen von überall her nach St. Nikolaus gekommen sind. Bereits zum zehnten Mal ist sie bei diesem traditionellen Wortgottesdienst mit dabei und trotzdem in jedem Jahr wieder neu angetan von dieser ganz eigenen Mischung aus ansteckender Feierstimmung mit kölschen Mundart-Hits und besinnlich-nachdenklichen Tönen. Sonst singt die Katholikin im Kirchenchor. Aber an diesem Morgen darf es auch mal das weniger klassische Genre sein. „Der kirchliche Segen in der Session ist wie das I-Tüpfelchen, bevor dann um 11.11 Uhr das Rathaus gestürmt wird“, sagt Dombrowski. „Er gibt mir Schwung für den Tag.“ Und dann fügt die passionierte Karnevalistin augenzwinkernd noch hinzu: „Eigentlich die schönste Messe im ganzen Jahr und als niederschwelliges Angebot auch für Nicht-Kirchgänger durchaus eine Anregung, mal in einen Gottesdienst reinzuschnuppern.“
Dass es an diesem Morgen „lockerer und entspannter als sonst“ in der Kirche zugehe, alle kostümiert kommen dürften und zudem die Texte in Mundart gesprochen würden, macht diese „Möhnemess“ auch für Angelika Frauen und ihre Freundin Dagmar Löhr aus Overath-Untereschbach so attraktiv. „Die Musik ist einfach toll und die Atmosphäre ganz besonders; außerdem finde ich den ökumenischen Akzent gut“, schwärmt sie. In jedem Jahr komme sie mit einer Gruppe von Frauen nach Bensberg. „Das muss man mal erlebt haben“, wirbt sie in ihrer eigenen Pfarrei für diesen außergewöhnlichen Gottesdienst, zu dem sich die Frauen immer schon ziemlich früh auf den Weg machen. Denn die „Möhnemess“ ist zwar zuallererst ein Anziehungspunkt für die Menschen am Ort, aber auch für zahlreiche Frauen aus den Nachbargemeinden, wo es eine solche über fast zwei Jahrzehnte gewachsene Tradition nicht gibt. Und schließlich wollen sie am liebsten auch alle einen Platz in den vorderen Bankreihen ergattern. Von da habe man jedenfalls den besten Blick auf Band und Altar – das wissen sie von ihren Besuchen aus den Vorjahren längst.
„Knatschjeck vür Freud“ lautete in diesem Jahr das Motto der Möhnemess. Und dass das die vielen hundert Frauen an diesem Morgen in St. Nikolaus wörtlich nehmen, zeigen nicht nur die phantasievollen Kostüme und strahlenden Gesichter bis in die letzten Reihen, wo genauso ausgelassen mitgesungen und geschunkelt wird wie vorne am Altar. Auch das Vorbereitungsteam – Pfarrer Andreas Süß, Pastor in den katholischen Pfarrgemeinden St. Nikolaus/St. Joseph, Pfarrer Wolfgang Graf von der evangelischen Kirchengemeinde Bensberg und Mechtild Münzer – gibt sein Bestes, mit viel Sinn für Humor und das rheinische „Levensjeföhl“ die eine oder andere launige Pointe zu setzen und dennoch auch das durchaus ernste Anliegen eines solchen kirchlichen Angebots im Blick zu behalten. „Ne, watt hamma ne schöne Relijon!“, entfährt es beispielsweise Pfarrer Süß an einer Stelle. Und an anderer: „Ohne den Sejen Jottes jeht es nit!“, um dann mit der ganzen Gemeinde einzustimmen in den bekannten Hit: „Kumm, loß mer fiere, nit lamentiere!“ Und so läuft diese morgendliche Andacht zu keiner Zeit Gefahr, in eine Art Büttenredenveranstaltung zu kippen. Auch weil die sonst für einen Wortgottesdienst üblichen Bestandteile Lesung, Evangelium, Fürbitten und „Vater unser“ – trotz des durchgängigen Vortrags „op kölsch“ – durchaus für andächtiges Zuhören und stille Momente in all dem fröhlichen Trubel sorgen.
Zusätzliche Pluspunkte sammeln die beiden Pfarrer vorne am Ambo auch mit ihren pointensicher formulierten Betrachtungen zu dem, was das „fröhliche Hätz“ eines Christenmenschen ausmacht, und was es heißt, „knatschjeck zo sin“, „zu lache“ oder den „liev Herrjott“ ins eigene „Levve“ einzubeziehen. Kirche und Karneval – das gehört ganz klar für die beiden Seelsorger zusammen. Und so haken auch sie sich unter, als es heißt „Wann jeiht der Himmel widder op…“ oder die Band den typisch kölschen Ohrwurm anstimmt: „Wenn am Himmel die Stääne danze un d’r Dom sing Glocke spillt…“
„Ohne das Kirchenjahr gäbe es gar keinen Karneval“, betont Pfarrer Graf. Im Karneval würde noch einmal kräftig gefeiert, bevor es dann hieße, sechs Wochen lang zu fasten. „Indem wir als Christen ausgelassen miteinander Karneval feiern, schärfen wir noch einmal unser Bewusstsein für die am Aschermittwoch beginnende österliche Bußzeit“, ergänzt Pfarrer Süß. Und schließlich ist dem Leitenden Pfarrer in Bensberg eine Botschaft noch ganz wichtig: „Mer stonn zesamme im Karneval.“ Sich von dieser Haltung aber auch etwas in die Zeit nach Aschermittwoch hinüberzuretten, sei ihm ein Herzensanliegen. „Beieinander stehen, füreinander da sein. Darauf kommt es an. An jedem Tag eines Jahres.“
Text und Fotos – Beatrice Tomasetti