„In meiner Heimat ist die Kirche eine Autorität“ – Interview mit Pfr. Cédric

Eine Promotion im Ausland hat in afrikanischen Ländern einen besonderen Stellenwert. Auch deshalb bilden die Afrikaner die drittgrößte Gruppe ausländischer Priester in Deutschland. Pfarrer Cédric aus der Zentralafrikanischen Republik, zurzeit Subsidiar in der Bensberg-Moitzfelder Pfarreiengemeinschaft, ist einer von ihnen.

Pfarrer Cédric, Sie sind einer von 43 afrikanischen Priestern im Erzbistum Köln und schreiben seit anderthalb Jahren Ihre Doktorarbeit an der Kölner Hochschule für Katholische Theologie St. Augustin über den Fundamentaltheologen Johann Baptist Metz. Was reizt einen Afrikaner, der in Paris geboren ist, aber aus der Zentralafrikanischen Republik stammt und dort zum Priester geweiht wurde, ausgerechnet in der Rheinmetropole seinen Doktor zu machen?

Pfarrer Cédric Kongbo Gbassinga: Während meiner Magisterarbeit am katholischen Institut von Paris habe ich die Theologie von Johann Baptist Metz entdeckt. Die Frage des Subjektwerdens, die Bedeutung des Leidensgedächtnisses, sein Appel für mehr Leidempfindlichkeit und die ihm eigene Betonung der „Compassion“ als Grundsatzprogramm des Christentums haben mich tief beeindruckt. Da wurde mir klar, dass ich meine Dissertation unbedingt über Metz schreiben wollte. Leider sind nur drei Werke von ihm ins Französische, meine Muttersprache, übersetzt. Um aber nun meine Doktorarbeit über einen deutschen Theologen schreiben zu können, musste ich seine Aufsätze natürlich auch im Original lesen. Deshalb Deutschland – was eine große Herausforderung für mich ist. Aber zum Glück bin ich mit meinem Studium ja bald fertig.

In afrikanischen Ländern werden mitunter schon in der Schulzeit die Weichen für eine spätere Berufungsgeschichte als Priester gestellt. Es gibt die sogenannten „kleinen Priesterseminare“, in denen – vergleichbar etwa einem katholischen Internat in kirchlicher Trägerschaft – Kinder ab dem zwölften Lebensjahr von einer besonderen Bildung mit Fächern wie Latein und Philosophie profitieren, aber eben auch mit allen Facetten von Spiritualität früh in Kontakt gebracht werden. Wie war das bei Ihnen?

Pfarrer Cédric: Als drittes von fünf Kindern habe ich die ersten zehn Jahre meines Lebens in Paris verbracht, weil meine Eltern dorthin als Studenten gegangen waren, später dann aber in die Heimat zurückgekehrt sind. In Sibut habe ich dann ab dem 12. Lebensjahr das Kolleg, über 180 Kilometer entfernt von der zentralafrikanischen Hauptstadt Bangui, wo meine Familie lebte, besucht. Dieses Kolleg dient der Nachwuchsförderung von Priesteramtskandidaten und bietet Schülern die Möglichkeit herauszufinden, ob für sie die Berufung zum Priester infrage kommt. Bei uns in Afrika ist es Tradition, sich bereits früh für einen solchen Weg zu entscheiden. In diesen kleinen Priesterseminaren gibt es sogenannte „Berufungsgruppen“, die entweder von einer Ordensfrau oder einem Priester geleitet werden. Demnach beginnt eine „Zeit der Begleitung“ schon früh. Bedingung für ein solches Seminar ist eine Aufnahmeprüfung. Meine Entscheidung, dort die nächsten vier Jahre in die Schule zu gehen, war für meine Mutter eine große Überraschung, zumal das auch eine räumliche Trennung bedeutete. Aber mir gefiel die Idee. Als Messdiener und im engen Kontakt mit unserem Pastor wusste ich, worauf ich mich an dieser Schule einlasse. Denn von nun an gehörten die tägliche Messe, regelmäßige Gebetszeiten und die eingehende Beschäftigung mit Religion und Spiritualität zu meinem Leben. Trotzdem hat man sich das Kolleg, wie gesagt, wie eine weiterführende Schule vorzustellen, in der nicht ausschließlich nur gebetet wird, sondern in der ich zum Beispiel auch viel handwerklich gearbeitet habe.

Was genau hat Sie bereits in so jungen Jahren an der Vorstellung gereizt, Priester zu werden?

Pfarrer Cédric: Priester gelten in meiner Heimat als etwas Besonderes, sie haben etwas zu sagen. Wie überhaupt die Kirche in Afrika eine wichtige Rolle spielt und eine Autorität ist, auf die gehört wird. Sie fungiert als Sprachrohr der Zivilbevölkerung, hat eine starke karitative Präsenz und ist sehr aktiv im Bildungswesen. Darüber hinaus ist sie eine anerkannte moralische Instanz. Sie ist die Stimme der Stimmlosen, Armen und Ausgestoßenen. Immerhin sind 50 Prozent der Bevölkerung Christen, 15 Prozent Muslime, und die anderen 35 Prozent gehören traditionellen afrikanischen Religionen an.

Wie sieht denn die aktuelle politische Situation in Ihrem Heimatland aus?

Pfarrer Cédric: Die Zentralafrikanische Republik ist ein sehr armes Land, obwohl sie aufgrund ihrer Bodenschätze reich sein könnte. Sie verzeichnet eine hohe Geburtenrate und ist eines der Länder mit der geringsten Lebenserwartung. Die derzeitige politische Lage ist instabil und prekär. Die bestehende Regierung wird nicht überall anerkannt; große Teile, mehr als die Hälfte des Landes, kontrollieren Rebellen. Sie plündern, vergewaltigen und töten ungestraft. Es gab im Februar 2019 zwar ein Abkommen für Frieden und Versöhnung zwischen Regierungsvertretern und den bewaffneten Gruppen, aber das wird nicht eingehalten. Angesichts der bevorstehenden Präsidentschafts- und Parlamentswahlen im Dezember ist zu befürchten, dass das Land erneut in eine Spirale von Gewalt und bewaffneten Konflikten geraten wird. Die Politiker haben in der Vergangenheit versucht, die zentralafrikanische Krise als einen interreligiösen Konflikt zwischen Christen und Muslimen zu instrumentalisieren und einen Keilzwischen die Vertreter beider Religionen zu treiben. Es muss aber klar gesagt werden: Der Gegenstand des Streites ist geopolitisch, geostrategisch und vor allem geoökonomisch. Es geht um die Kontrolle und Ausbeutung der Bodenschätze und Rohstoffe, die in diesem Land im Überfluss vorhanden sind.

Das heißt, die Zivilbevölkerung gerät auch schon mal ganz schnell zwischen die Fronten…

Pfarrer Cédric: Die Wahrheit ist, dass der Staat in hohem Maße unfähig und unterentwickelt ist – und das in geradezu erschreckendem Ausmaß hinsichtlich des Gesundheitssystems. Immer wieder gibt es Unruhen und Terrorakte. Jederzeit sind in allen Landesteilen bewaffnete Auseinandersetzungen möglich, unter denen die Zivilbevölkerung leidet. Daher gibt es immer wieder auch Reisewarnungen für die Zentralafrikanische Republik.

Wie genau verschafft sich die Kirche in diesem ehemals von Bürgerkriegen gebeutelten Land denn Gehör?

Pfarrer Cédric: Gerade weil das Land so arm und konfliktbelastet ist, kommt der Kirche eine große Bedeutung zu. Außerdem zählt die jeweilige Stammeszugehörigkeit – je nach Dorf oder Region. Hier zeigt sich eine große Problematik, weil diese Nation ein Zusammenschluss sehr unterschiedlicher Stämme ist. Die Kirche sendet in diese zerrissene Gesellschaft die Botschaft von Geschwisterlichkeit und stärkt das Gefühl der Einheit. Trotzdem sind in jüngerer Vergangenheit immer wieder Priester, Missionare, humanitäre Helfer und Blauhelmsoldaten in das Fadenkreuz von Bürgerkriegsmilizen geraten. Nach dem militärischen Putsch der Seleka-Rebellenkoalition mit muslimischer Mehrheit im Jahr 2013 und der Anti-Balaka-Gegenoffensive prägten für lange Zeit Unruhen die Zentralafrikanische Republik. Die französische Operation „Sangaris“ und die Multidimensionale Integrierte Stabilisierungsmission der Vereinten Nationen (MINUSCA) haben zur Bildung einer Übergangsregierung beigetragen. Erst seit 2016 scheint das Land allmählich wieder zu einer verfassungsmäßigen Ordnung zurückzukehren.

Vor fünf Jahren hat Papst Franziskus die Zentralafrikanische Republik besucht, die an den Tschad, den Sudan, den Südsudan, die Demokratische Republik Kongo, die Republik Kongo und Kamerun grenzt – in der Summe politisch ebenfalls nicht unproblematische Nachbarstaaten. Was ist vom Besuch des Papstes in dieser unsicheren Region geblieben?

Pfarrer Cédric: Das war damals ein wichtiges Signal für die Menschen. Standen die Zeichen damals noch auf Versöhnung, hat sich die Situation in jüngster Zeit allerdings erneut verschärft. Die Bischöfe rufen die Christen des Landes dennoch dazu auf, Ruhe zu bewahren und zu beten, um nicht denen in die Falle zu laufen, die beweisen wollen, dass Christen und Muslime in diesem Land nicht mehr zusammenleben können. Mit seiner Reise hat uns der Heilige Vater einmal mehr zum Frieden ermutigt. Mittlerweile gibt es etwa regelmäßige Treffen zwischen Christen und Muslimen, auch eine Schule für christliche und muslimische Kinder ist gebaut worden. Die Bevölkerung ist zum Glück mittlerweile immun gegen Versuche islamistischer Terroristen, in dem Land Fuß zu fassen. Ihr ist nur allzu gut in Erinnerung, was Religionshass und Bürgerkrieg anrichten können.

Für Sie stand immer schon fest, dass Sie nach Ihrer Promotion in Deutschland nicht nach Paris, wo Sie viele Jahre Ihres Lebens verbracht haben und ein Teil Ihrer Familie heute noch lebt, zurückkehren werden, sondern ins Erzbistum Bangui gehen wollen, wo Sie auch schon als Seelsorger gearbeitet haben…

Pfarrer Cédric: Auch wenn ich in Frankreich geboren bin und als Priester der römisch-katholischen Kirche überall auf der Welt meinen priesterlichen Dienst ausüben könnte, hat es für mich eine existenzielle Bedeutung, dass ich im Erzbistum Bangui geweiht wurde und Teil des zentralafrikanischen Volkes bin. Ich teile seine Leidensgeschichte, die es mit Fassung trägt. Mit meinem Studium und meiner Promotion in Deutschland will ich einen Beitrag zur Priesterausbildung, aber auch zur pastoralen Befähigung von Laien in meinem Land leisten. Priestersein ist der Sinn meines Lebens. Als Priester bin ich einfach glücklich – besonders, wenn ich die Eucharistie feiere. Und was mir am Herzen liegt, möchte ich mit anderen teilen. Unsere Ethik als Christen ist eine Bereicherung für meine Heimat. Davon bin ich überzeugt. Das Priestertum ist ein Sakrament des Dienens und bedeutet: Ich bin für andere da. Die frohe Botschaft verkünden und die Sakramente spenden – darum geht es mir.

Sie haben den direkten Vergleich. Welche grundsätzlichen Unterschiede machen Sie zwischen der Kirche in Afrika und der in Deutschland aus?

Pfarrer Cédric: Die Art und Weise, Christ zu sein, hat immer auch mit der kulturellen Prägung zu tun, die man in seinem Land erfährt. Unsere Kirche ist grundsätzlich sicher lebendiger und auch ein Stück lebensfroher, obwohl es vielen Menschen nicht gut geht. Das zeigt sich auch darin, wie wir unseren Glauben zum Ausdruck bringen: mit viel Musik und Bewegung. Im Leben der Menschen meiner Heimat hat die Kirche einen wesentlichen Platz; sie ist im Alltag präsent und hat daher etwas Selbstverständliches. Und die Menschen sind froh, ihre Identität als Christen zeigen zu können. Das Engagement der Kirche in Deutschland für die Weltkirche ist beeindruckend und bewundernswert. Ohne die Unterstützung der deutschen Kirche, besonders des Missio-Stipendiums, könnte ich hier zum Beispiel nicht promovieren. Dafür bin ich unendlich dankbar.

Eine andere Seite aber ist, dass ich in Deutschland viel Angst wahrnehme; Angst davor, wegen seines Glaubens verspottet zu werden. Die gegenwärtige Glaubwürdigkeitskrise der Kirche macht es nicht leichter. Und auch die starke Bürokratisierung von Kirche nicht.

In letzter Zeit gibt es auch fremdenfeindliche Äußerungen bis hin zu unverhohlenen Ressentiments und Drohungen gegen afrikanische Priester. Welche Erfahrungen machen Sie?

Pfarrer Cédric: Ich selbst bin bisher noch nicht mit Rassismus oder Fremdenfeindlichkeit konfrontiert worden. In meiner Bensberger Gemeinde werden mir Wohlwollen und Sympathie entgegengebracht. Im Übrigen bin ich in Köln – und vorher in St. Augustin – ein Student unter vielen anderen, die aus sehr unterschiedlichen Teilen dieser Erde stammen. Allerdings spüre ich unterschwellig immer, dass man uns Menschen mit schwarzer Hautfarbe nicht zutraut, klug genug zu sein, um ein Hochschulstudium mit Promotion abschließen zu können. Das höre ich aus vielen Fragen heraus, die die Leute schon mal unbedacht stellen und bei denen sie nicht merken, mit welchen Vorurteilen sie mir – trotz ihrer Freundlichkeit – begegnen. Dazu gehört zum Beispiel, dass sie mich fragen, warum ich eigentlich hier und nicht in Afrika bin, oder irrtümlich davon ausgehen, dass Afrika ein Land ist, in dem ein Afrikaner womöglich den anderen Afrikaner kennt. Dabei ist es ein riesiger Kontinent mit 54 sehr unterschiedlichen Ländern und etwa fünf Mal so groß wie ganz Europa, das ja auch aus vielen Einzelstaaten mit unterschiedlicher Historie, Kultur und diversen ethnischen Gruppen besteht. Das heißt, auch in Afrika gibt es eine enorme Vielfalt an Völkern und Stämmen mit ihren individuellen Prägungen und Traditionen. Ich selbst verstehe mich als Afrikaner in Europa und – mit meiner außergewöhnlichen Biografie – als Europäer in Afrika. Identität ist meines Erachtens nichts Starres, sondern etwas Dynamisches. Es sollte da kein Schubladendenken geben. Zunächst einmal bin ich Mensch. Und als der bin ich bekennender Christ.

Interview und Foto – Beatrice Tomasetti