Die anhaltend hohen Zahlen der Kirchenaustritte sind erschütternd. Da geht das Zeugnis Einzelner, die sich in diesen stürmischen Zeiten der Kirche wieder bewusst zuwenden, fast unter. Dabei durchleben sie für sich oft einen bewegenden Prozess.
Noch immer geht es Claudia Konitzer nahe, wenn sie von ihrer kirchlichen Trauung erzählt. „Sehr bewusst, intensiv und ergreifend“ habe sie die kleine Feier Ende Juni in der Bensberger Edith-Stein-Kapelle erlebt, bei der nur die Schwiegereltern und die eigenen drei Töchter anwesend waren. „Wir wollten dieses Zeremoniell sehr familiär und intim, uns dabei auf das Wesentliche konzentrieren.“ Rückblickend sei das eine tolle und sehr berührende Erfahrung gewesen. „Richtig nervös war ich erst im entscheidenden Moment, bei der eigentlichen Trauformel.“ Da habe es sie so richtig emotional gepackt. „Aus voller Überzeugung zu sagen ‚Bis dass der Tod uns scheidet’, war uns zuvor nie wichtig gewesen – da liefen die Tränen plötzlich von ganz alleine.“ Aber zutiefst richtig habe sich dieser innige Augenblick angefühlt. „Wir standen alle um den Altar, und ich war wie im Flow.“
Claudia Konitzer ist seit 19 Jahren mit ihrem Mann Wolfgang verheiratet. Nur standesamtlich. Denn mit Mitte 20 ist sie aus der Kirche ausgetreten. „Da war ich gerade im ersten Job, hatte zu diesem Zeitpunkt mit Kirche schon lange nichts mehr zu tun. Das funktionierte für mich einfach nicht. Vielleicht auch, weil meine Familie keine Kirchgänger waren.“ Ein Kollege habe dann bei ihr mit der Frage „Was, Du zahlst noch Kirchensteuern?“ alles ins Rollen gebracht. Kurz und schmerzlos sei der Austritt beim Amtsgericht gewesen. „Nüchtern. Ein rein formaler Akt.“ Die Erinnerung daran hat die heute 48-Jährige noch abrufbar.
Glaube der Mutter ist wie eine Initialzündung
Kontakt mit dem Thema Glaube und Kirche bekommt Konitzer erst wieder, als ihre Mutter schwer erkrankt und sie selbst mit dem zweiten Kind schwanger ist. Sie überlegt, ob sie ihre Tochter taufen lassen soll, und wenn ja, warum. Glaube ich eigentlich an das, was hinter einer solchen Entscheidung steht? Das habe sie sich damals immer wieder gefragt. „Gott, hol mich!“ – dieser Satz ihrer sterbenden Mutter, die in den letzten Lebenstagen sonst auf keinerlei Ansprache mehr reagiert, geht ihr lange nicht mehr aus dem Sinn. Und damit auch nicht dieses tiefe Gottvertrauen, das in diesem Wunsch zum Ausdruck kommt. Was, wenn auch sie selbst eines Tages ihre Kinder zurücklassen müsste? „Wie tröstlich wäre es dann doch, wenn die Mädchen etwas hätten, woran sie sich in ihrer Trauer festhalten könnten“, überlegt sie.
„Trage ich nicht Verantwortung dafür, dass ihnen etwas bleibt, wenn ich irgendwann einmal nicht mehr da bin? Dieser Gedanke ging mir immer wieder durch den Kopf. Meine Mutter hat fest an etwas geglaubt. Das mitzuerleben, hat in mir etwas ausgelöst, war wie eine Initialzündung und letztlich beim Abschiednehmen ein großer Trost.“ Das wünscht sich Konitzer auch für ihre inzwischen großen Kinder zwischen neun und 17 Jahren: „Dass sie darauf hoffen können, dass wir uns wiedersehen, wenn es einmal soweit ist, und der Tod nicht das letzte Wort behält, sie nicht ohne jede Zuversicht alleine zurückzubleiben.“ Das ist ihr ein großes Anliegen. Über Yoga beschäftigt sich die gelernte Betriebswirtin in dieser Phase des Suchens auch mit anderen Religionen, vor allem mit Buddhismus. „Doch obwohl ich sehr offen für Meditation bin, sie mir sehr wichtig geworden ist – auch Beten ist für mich eine Art von Meditation – hat sich das dann doch in vielen Teilen falsch angefühlt.“
Jedes Für und Wider in die Waagschale geworfen
In einer Religion nur Mitläufer zu sein, kommt für Konitzer nicht infrage. Ein Wiedereintritt in die Kirche – am Anfang ihrer Beschäftigung mit spirituellen Themen eher noch in weiter Ferne – soll auf festem Fundament stehen. Auch die Zugehörigkeit zu einer Konfession. Zufall oder nicht – Carolin, die dritte Tochter, besucht zu diesem Zeitpunkt am Ort eine katholische Kita. „Mit einem tollen Konzept, das mich begeistert hat. Alles war offen und luftig, auch die religionspädagogische Arbeit war super“, beschreibt sie die inhaltliche Ausrichtung des Familienzentrums St. Joseph in Moitzfeld. Jahre später wird die Neunjährige zur Erstkommunion angemeldet. „Doch meine Bedingung war von Anfang an, dass es nicht um die Geschenke gehen darf, sondern wir dann auch regelmäßig gemeinsam in die Kirche gehen und sich meine Tochter genau anschaut, auf was sie sich da einlässt.“ Inklusive Engagement bei den Sternsingern. „Mir war bewusst: In letzter Konsequenz trägt man dann ja auch alle Kirchenfeste mit.“
Über die Anmeldung von Carolin zur Erstkommunion seien dann weitere Überlegungen in Gang gesetzt worden, erklärt Claudia Konitzer. Sie selbst lässt sich von Pfarrer Andreas Süß als Katechetin werben und beschäftigt sich nun immer intensiver mit den Kernbotschaften der Bibel, die sie von jetzt an auch anderen Kindern in ihrer Kommuniongruppe vermitteln soll. „Es begann ein längerer Prozess – auch mit Bedenken und Zweifeln, ob ich das überhaupt kann, den Kleinen das große Thema ‚Gott’ nahe bringen – während ich gleichzeitig immer wieder alle Argumente für und gegen die Kirche in die Waagschale geworfen habe.“
Hilfe für Menschen in Not – Kirche im Kleinen
Was machen die da eigentlich am Altar? Auch die Liturgie verstehen zu wollen – das habe sie mit einem Mal richtig neugierig gemacht. „Im Zentrum standen nun viele Fragen – vor allem die nach dem Sinn menschlichen Lebens und dessen, was wir uns auf Erden an Beziehungen aufbauen. Nämlich wofür das alles. Als ich verstanden habe, dass es am Ende eigentlich immer um die Liebe geht – zu sich selbst, zwischen den Menschen untereinander, aber vor allem auch zwischen Gott und den Menschen – hat mich das zutiefst angerührt.“
Unterschwellig sei die Frage nach dem Sinn der eigenen Existenz immer mitgelaufen, doch Auslöser dann die Kommunionvorbereitung ihrer Tochter gewesen. Den Ausschlag bei diesem aufgewühlten Reflektieren und Abwägen, welcher für sie selbst dauerhaft der richtige Weg sein könnte, geben dann aber schließlich ihre positiven Erfahrungen mit Kirche. „Ich erlebe eine Institution, die sich den Menschen, die Hilfe benötigen, zuwendet – gerade jetzt in der Coronazeit. Das ist für mich Kirche im Kleinen. Ich sehe die vielen Unterstützungsangebote, die man bei der Caritas findet, dann überhaupt die tolle Gemeindearbeit, hier bei uns zum Beispiel der Zusammenhalt der KjG, und nicht zuletzt die Stärkungen und Tröstungen durch die Sakramente, wenn das Leben auf der Kippe steht und wir herausgefordert sind, in allem einen tieferen Sinn zu erkennen.“
Claudia Konitzer: Es war der richtige Schritt
Vor ein paar Wochen ist Claudia Konitzer wieder in die Kirche eingetreten – nach vielen Gesprächen mit Pfarrer Süß, die eine wichtige Voraussetzung für ihren Entschluss waren. „Er hat ganz feine Antennen für das, was ich lange ausgestrahlt habe, nämlich die Suche nach Antworten“, bescheinigt sie dem Seelsorger. Und er habe ihr zu jeder Zeit das Gefühl gegeben, dass es auf sie ankomme, sie wichtig sei und nicht nur irgendein Projekt. „Es war dann schließlich bei einem Abendgebet in St. Nikolaus. Erst haben wir das Sakrament der Versöhnung gefeiert – dann gab es die Unterschrift auf besagtem Formular.“ Irgendwie sei alles fließend gewesen. „Und nun bin ich ganz klar, stelle nichts mehr infrage. Es war der richtige Schritt“, betont Konitzer mit Nachdruck. „Jetzt habe ich gefunden, wonach ich so lange gesucht habe.“
Ihr gehe es nicht um das, was in der Kirche gerade intern diskutiert werde. Vielmehr liege ihr persönlicher Fokus ganz woanders. „Mir geht es bei meinem Wiedereintritt in die Kirche darum, bewusst, liebevoll und harmonisch mit meinen Mitmenschen zu leben, was schon für sich eine große Herausforderung ist. Aber das ist Gott“, stellt Claudia Konitzer strahlend fest. „Und das ist etwas – das ist so groß, dass es sich nicht in Worte fassen lässt.“
Text und Foto – Beatrice Tomasetti