„Lieber Cédric, mit großer Zuneigung beten wir heute auch für Dich, auf dass der Herr immer mit Dir sei und es Dir gelingen möge, Deine Mission zu erfüllen.“ Lektor Stefan Oerder formuliert eigens noch eine zusätzliche Fürbitte in fließendem Französisch, der Muttersprache von Pfarrer Cédric Kongbo Gbassinga, und macht sich damit in diesem Moment zum Sprachrohr der versammelten Gemeinde in St. Joseph. Denn am Wochenende galt es, mit feierlich gestalteten Gottesdiensten in beiden Kirchen Abschied von dem überaus beliebten Seelsorger zu nehmen und noch einmal sehr emotional große Wertschätzung für sein fast zweieinhalbjähriges Wirken in der Pfarreiengemeinschaft zum Ausdruck zu bringen. Mitte Juni, nach seinen Rigorosa – das letzte findet am 15. Juni statt – verlässt der Geistliche für immer das Bergische Land, um die Aufgabe des Generalsekretärs der zentralafrikanischen Bischofskonferenz in seiner Heimatdiözese Bangui zu übernehmen.
Für eine segensreiche Zeit dankten ihm sehr herzlich Elisabeth Kippels im Namen des Pfarrgemeinderates und Dr. Werner Schwamborn für den Moitzfelder Kirchenvorstand, der Pfarrer Cédric zur Erinnerung an sein Engagement für die Menschen rund um St. Joseph ein Bronzebildnis des Heiligen Josef schenkte. Und auch Pfarrer Andreas Süß würdigte, wie er es auch schon am Vorabend in St. Nikolaus getan hatte, das „gute gemeinsame Miteinander, die Mitbrüderlichkeit und den seelsorglichen Einsatz“, den Pfarrer Cédric vor allem bei vielen Krankenbesuchen gezeigt hatte. „Du hast Dich nun für den schwereren Dienst entschieden, nämlich dafür, bei Deinem Volk zu sein und in Deine Heimat zurückzugehen, wo viele zerstrittene Volksgruppen und Milizen den Menschen ihr ohnehin schon entbehrungsreiches Leben schwer machen, aber wo die Kirche auch noch eine Stimme hat“, sagte Süß. Er nehme das Thema seiner Doktorarbeit, die „Compassion“ – das empathische Mitleiden – mit in die zentralafrikanische Republik und helfe so mit beim Aufbau eines friedlichen Miteinanders. Bei diesem Vorhaben würden ihn alle guten Wünsche des Seelsorgeteams, aber auch der Menschen am Ort begleiten.
Pfarrer Cédric seinerseits dankte für die geschwisterliche Aufnahme in Bensberg und Moitzfeld. „Wir haben die Sorgen unserer Gemeinde gemeinsam getragen“, stellte er fest. Für ihn seien die zwei Jahre wie im Flug vergangen und eine ganz entscheidende Zeit gewesen, so sein Resümee. Er sei zutiefst dankbar für alle Gespräche und Einladungen, die er bekommen habe. „Ihre Türen waren für mich immer geöffnet“, wandte er sich wörtlich an die Gemeinde. „Wir Priester sind missionarisch, und als Missionare sind wir immer unterwegs“, sagte er über seine neue Herausforderung. „Im Gebet aber bleiben wir miteinander verbunden“, versicherte er abschließend.
Zuvor hatte er in der Eucharistiefeier ein letztes Mal gepredigt und in seinen Ausführungen noch einmal dargelegt, worauf es in der Kirche gerade ankommt und was ihn selbst dabei am meisten bewegt. Die Predigt von Pfarrer Cédric ist nachfolgend im Wortlaut dokumentiert:
„Das heutige Evangelium konfrontiert uns einerseits mit der Wahrheit des Evangeliums und stellt andererseits die Freiheit in den Vordergrund, die die Zugehörigkeit zu Christus gewährt. Jesus zieht als Wanderprediger umher. Er hat die Kranken geheilt und die Ausgeschlossenen und die Ausgestoßenen hereingeholt. Er heißt Sünder willkommen, er berührt die Unberührbaren und die Unreinen, darunter Aussätzige, Prostituierte, Zöllner. Er hält Mahl mit ihnen. Er versichert ihnen die Vergebung ihrer Sünden. Er bricht den Sabbat zugunsten des Menschen. Er verkündet mit Vollmacht die Nähe der Gottesherrschaft. Gott ist da. Er ist ganz anders. Gott will die Menschen mit sich versöhnen und ihnen auf Augenhöhe begegnen. Gegen die Pharisäer, die Schriftgelehrten, die Gesetzlehrer und alle, die sich für gerecht und rein halten, verkündet Jesus feierlich: Amen, ich sage euch: Die Zöllner und die Dirnen gelangen eher in das Reich Gottes als ihr. Dieser Jesus, „der immer die Wahrheit sagt und dabei auf niemand Rücksicht nimmt“, stört durch die Macht und die Radikalität seiner Lehre. Er hinterfragt die soziopolitischen und religiösen Privilegien und den überholten Konformismus der einen und übt scharfe Kritiken an den Privilegien und am Ritualismus und an der Hartherzigkeit der anderen. Er bringt die Menschen in Bewegung.
Völlig anders reagieren die Schriftgelehrten: Kaltblütig berechnend und machtgierig verdächtigen sie Jesus. Sie scheuen nicht zurück, Jesus vorzuwerfen, dass er mit dem Teufel im Bunde stehe: „Er treibt die bösen Geister aus durch ihren Obersten! Durch den Fürsten der Dämonen treibt er die Dämonen aus“. Diese Aussage erschien ihnen am meisten geeignet, ihren Einfluss über das Volk zu wahren und das Wunder Jesu zu verleumden. In ihren bösen und verhärteten Herzen sprach längst der, der nach ihren Vorwürfen in Jesus sein sollte. Sie hassten Jesus und verschlossen ihre Herzen willentlich und wissentlich dem Wirken Gottes.
Die Haltung und die Reaktion der Schriftgelehrten stellen Christus in die lange Tradition und Reihe der verfolgten Propheten. Das Wort Gottes in Wahrheit zu leben und es zu verkünden bedeutet auch, sich der Kritik, der Verleumdung und der Verfolgung auszusetzen. Gegenüber den Verfolgungen kann der Prophet sich seinem Auftrag nicht entziehen, auch wenn er sich es inbrünstig wünscht. Man denkt hier an das Seufzen des Propheten Jeremia: „Du hast mich betört, o HERR, und ich ließ mich betören; du hast mich gepackt und überwältigt. Zum Gespött bin ich geworden den ganzen Tag, ein jeder verhöhnt mich. Ja, sooft ich rede, muss ich schreien, Gewalt und Unterdrückung! muss ich rufen. Denn das Wort des HERRN bringt mir den ganzen Tag nur Hohn und Spott. Sagte ich aber: Ich will nicht mehr an ihn denken und nicht mehr in seinem Namen sprechen! so brannte in meinem Herzen ein Feuer, eingeschlossen in meinen Gebeinen. Ich mühte mich, es auszuhalten, vermochte es aber nicht.“
Die Jünger Christi und die Kirche sollen das fortsetzen, was Jesus zu Lebzeiten gepredigt und vorgelebt hat. in dieser Zeit der Glaubwürdigkeitskrise der Kirche, in der wir Austritte erleben und in der wir häufig hören „Jesus ja, die Kirche nein“, gestatten Sie mir, hier einige Überlegungen des deutschen Theologen Johann Baptist Metz mitzuteilen, über den ich meine Doktorarbeit geschrieben habe. Für ihn ist die Kirche keine statische und starre Institution. Sie ist vielmehr „semper reformanda“. Sie sollte die Bekehrung nicht nur predigen. Sie muss sich erst bekehren und fortwährend von dieser Bekehrung leben. Was mich an Metz besonders interessiert, ist seine Wahrnehmung der öffentlichen, gesellschaftspolitischen und historischen Rolle und Verantwortung der Kirche. Für ihn ist die Banalität die große Gefahr, die der Kirche droht. Darunter versteht er eine Art Ad-hoc-Institution, die die soziopolitischen und historischen Prozesse begleitet, ohne einen kritischen und positiven Beitrag zu ihrer Konstitution zu leisten. Die Kirche sollte vielmehr die Memoria Passionis Christi als eine gefährliche und subversive, kritische und befreiende Erinnerung in die Gesellschaft vermitteln. Denn wer Jesus nahe ist, ist dem Feuer nahe. Im Zeitalter der Globalisierung und des Pluralismus sieht er im Mitleid, Mitgefühl, in der „Compassion“ das Programm des Christentums. Er kritisiert scharf die Hervorhebung der Sündenempfindlichkeit in der Kirche und plädiert für die Leidempfindlichkeit, für eine Kirche des Mitleidens, der Compassion.
Um zum Text des Evangeliums zurückzukehren, zeigt diese ungewöhnliche Szene mit Jesu Verwandtschaft, dass es gerade nicht um einen Familienstreit geht, sondern um eine grundlegende Aussage über die christliche Gemeinde. Wir haben es mit einem bedeutenden Text Jesu zu tun, wie er seine Jünger-Gemeinde versteht. Er sagt etwas aus über das neue Gottesvolk.
Jesus will nicht die Familienstrukturen auflösen. Dazu kennen wir zu viele Äußerungen, in denen er Ehe und Familie hoch schätzt. Er stellt allerdings klar, welche Bindungen und Beziehungen in der neuen Gottesfamilie wichtig sind. „Und das Volk saß um ihn.“ Wenn Menschen sich um Jesus versammeln, wenn sie nach seinem Willen fragen und ihn gemeinsam tun wollen, wenn aufopfernde Geschwisterliebe regiert statt Konkurrenz und Eifersucht, dann entsteht eine ganz neue Gemeinschaft: seine Familie.
Es ist eine große Herausforderung, ja sogar eine Askese, eine Doktorarbeit in der Sprache von Goethe und Schiller zu schreiben. Man muss mit Kopfschmerzen, einer extremen Migräne, existenzieller Einsamkeit rechnen. Manchmal fehlte mir der Wille weiterzumachen. In diesen Momenten der Krise und sogar der Angst fand ich Kraft und Mut im Motto meiner Priesterweihe: „Was mir ein Gewinn war, das habe ich um Christi willen für Verlust gehalten. Ja noch mehr: Ich halte dafür, dass alles Verlust ist, weil die Erkenntnis Christi Jesu, meines Herrn, alles überragt. Seinetwegen habe ich alles aufgegeben und halte es für Unrat, um Christus zu gewinnen“.
Seinetwegen habe ich meine Heimat und meine Familie verlassen. Er hat mich hierher gebracht und in die Bensberger und Moitzfelder Gemeinschaft der Kinder Gottes geführt. Diese neue Gemeinschaft und Familie Gottes habe ich hier in unserer Gemeinde erlebt durch die Begegnungen, die geschwisterliche und ermutigende Aufnahme, die Einladung in den Familien, die Feier der Heiligen Messe, die unterschiedlichen Gespräche. Dafür bin ich sehr dankbar. Das ist doch die Logik der Gemeinschaft mit Christus: Wer verliert, der gewinnt. Er hat mich aus der Enge meiner zentralafrikanischen Menschlichkeit gerissen und mich mit einer noch größeren Menschlichkeit bereichert. Ihm allein sei die Ehre.
Zum Schluss, liebe Schwestern und Brüder, wünsche ich Ihnen und mir, dass wir heute aus diesem Gottesdienst gehen: froh, zur neuen Jesus-Familie zu gehören und neugierig darauf, wie wir aus dem Geist dieser Familie leben sollen.“