Ein Jahr Gottesdienste im Livestream

Wackelige Kamerabilder, grottiger Sound. Die ersten digitalen Experimente gehören längst der Vergangenheit an. Mittlerweile verfügt die Gemeinde über ein tolles Equipment und professionelles Technik-Team aus den eigenen Reihen. Seit dem ersten Lockdown-Tag vor einem Jahr ist St. Nikolaus „auf Sendung“.

Unter festlichem Orgelbrausen und lautem Glockengeläut schweift der Blick aus luftiger Höhe über die sich geradezu majestätisch erhebende Backsteinkirche St. Nikolaus im Bergischen Land. Aus der Vogelperspektive beeindruckt die klare Gliederung ihres kreuzförmigen Grundrisses mit der imposanten Turmanlage, die auf Fernwirkung zielt, noch mehr als aus unmittelbarer Nähe. Dann führt die Kamera langsam vorbei an den neoromanischen Arkaden des Obergeschosses, während im Hintergrund das barocke Prunkschloss Kurfürst Jan Wellems aufblitzt. Schließlich nimmt sie Kurs auf die Fensterfronten der Ende des 19. Jahrhunderts errichteten Sakralarchitektur und schwebt nach einem kaum merklichen Schnitt von der Orgelempore im Inneren hinunter in den Altarraum.

Es könnte nicht werbewirksamer sein, wie sich die Bensberger Kirchengemeinde zwei Minuten vor Beginn ihres live gestreamten Sonntagsgottesdienstes für alle Online-Besucher in einem Einspieler inszeniert. Eine Drohne macht’s möglich. Fast würde man meinen, dem wöchentlichen Fernsehgottesdienst der Öffentlich-Rechtlichen zugeschaltet zu sein. Aber nein, St. Nikolaus arbeitet an seinem eigenen Image – und das mit großem Erfolg. Denn zu Beginn der ersten ausgestrahlten Messen im Livestream gab es noch einige technische Stolpersteine, doch mittlerweile hält das Ergebnis durchaus einem professionellen Check stand und bewegt sich auf höchstem Niveau, samt steigender Zuschauerzahlen. Mehrere Hundert sitzen Sonntag für Sonntag am heimischen PC. Dabei hat alles mit eher bescheidenen Mitteln vor genau einem Jahr angefangen.

Der erste Streaming-Gottesdienst geht auf eine Initiative von Diakon Clemens Neuhoff zurück. Noch vor Bekanntgabe des ersten Lockdowns im März 2020 und damit rückblickend „in weiser Voraussicht“, wie der 29-Jährige später erklärt, hatte er noch im letzten Moment eine Webcam gekauft und für die Gemeinde einen Youtube-Kanal eingerichtet. Als Priesteramtskandidat des „Neokatechumenalen Weges“ ist er international gut vernetzt und ordnet frühzeitig die beängstigenden Nachrichten aus Norditalien richtig ein. Er vermutet, dass auch in Deutschland bald alles still steht und davon auch die Kirchen betroffen sein könnten.

„Am 14. März kam dann in der Tat die offizielle Anweisung aus dem Bistum, dass wegen zu großer Ansteckungsgefahr die Präsenzgottesdienste bis auf Weiteres ausgesetzt werden, keine Besucher mehr in die Kirche dürfen“, erinnert sich Neuhoff. Dabei habe in St. Nikolaus an besagtem Wochenende noch eine große Messe mit allen Chören auf dem Programm gestanden. Für die Gemeinde immer ein Highlight. Doch der Gottesdienst wird nach Rücksprache mit der Stadt und auch dem Generalvikariat aufgrund der sich zuspitzenden Lage abgesagt. Die Verordnung aus der Staatskanzlei gilt. „Und dann ging alles sehr schnell“, so Neuhoff. „Zwei Tage später, am Montagmorgen um 7 Uhr, hatten wir Premiere und waren bereits mit unserer Frühmesse ‚auf Sendung’. Damit stand das erste zusätzliche Streaming-Angebot im Erzbistum – als Alternative zu dem aus dem Kölner Dom.“

Pfarrer Andreas Süß ist die tägliche Übertragung aus St. Nikolaus ein Herzensanliegen. Er stützt sich bei diesem Projekt auf Erfahrungen, die er rund um den ZDF-Fernsehgottesdienst im Sommer 2017 sammeln konnte. „Es gab damals nach dieser Ausstrahlung so viele dankbare Rückmeldungen, vor allem von älteren und kranken Menschen, die das Haus nicht mehr verlassen können, aber Messe feiern wollen. Für sie ist in ihrer Isolation fast überlebenswichtig, dass sie sich über einen TV-Gottesdienst immer noch in ihrem Glauben verbunden wissen und sie durch eine schöne Feier – wenn auch nur am Schirm – in ihrer ohnehin schweren Lebenssituation gestärkt werden.“ Von daher habe er schnell klar gehabt, sagt er, dass die Gemeinde angesichts dieser für alle völlig neuen Herausforderung unbedingt auch zu denen Kontakt halten muss, für die der Gang zur Kirche unter normalen Umständen unverzichtbarer Bestandteil ihres Lebens ist und ohnedies noch einen letzten Rest gesellschaftlicher Teilhabe bedeutet.

Einen wichtigen Part dabei hat Frank Dietz, der Pfarrer Süß auf dem Blauen Sofa während des Bensberger Wochenmarktes kennengelernt und da zum ersten Mal angeregt hat, besondere Gemeindeveranstaltungen – gerade für junge Menschen – zusätzlich ins Netz zu verlagern. Nun also ist Corona so etwas wie die Initialzündung dafür. Als Informatiker bringt der 49-Jährige das entsprechende Know how mit. „Zunächst haben wir improvisiert, erst einmal die notwendige Hardware zusammengeliehen und angefangen zu frickeln. Voraussetzung waren ein leistungsstarker Laptop und festes Internet.“ „Es hat zwei, drei Tage gedauert, bis wir den Kniff raus hatten und das Setup stand“, ergänzt Neuhoff.

Auch Sebastian Hoppe kennt sich in den Grundbegriffen anspruchsvoller IT-Technik aus und bringt Ideen ein. „An den Laptop haben wir verschiedene Kameras angeschlossen. Nun gab es eine Totale, eine Zoom-Möglichkeit, um den Zelebranten am Altar näher heranzuholen, und mit der drahtlosen Handykamera außerdem noch eine mobile Option, um zusätzlich spontane Schnitte zu machen und während des Kommuniongangs zum Beispiel auf die Chorfenster oder andere architektonische Details zu halten“, sagt er. „Man lernt mit einem Mal einen solchen Kirchenraum ganz neu kennen und entdeckt unendlich viele Perspektiven und hübsche Winkel.“ Von Anfang an wechselt sich der 25-Jährige bei den vielen Übertragungsterminen mit den beiden anderen ab. Schließlich werden wochenlang nicht nur die Messen gestreamt, sondern jeden Tag im Lockdown auch ein Abendgebet. Viel Einsatz für jemanden, der kein Profi auf diesem Gebiet ist.

Mit der Zeit testet das Team immer mehr aus, was technisch machbar ist und wo nachgebessert werden muss. „Wackelige Bilder und ein grottiger Sound sind ermüdend und dauerhaft eine Zumutung.“ Dietz experimentiert, verfeinert die Technik und arbeitet an interaktiven Elementen, die die „User“ mit einbeziehen sollen, zum Beispiel über Fürbitten, die in den Chat geschickt werden können und im Gottesdienst dann vorgetragen werden. Auch Einspielfilme von den Kommunionkindern gehören dazu, um damit selbst zu den Jüngsten eine Brücke zu bauen. „Die Aktion sollte keine Einbahnstraße sein, sondern möglichst alle Generationen wenigstens als Netzgemeinde zusammenzubringen, gerade weil sich ja aktuell niemand mehr treffen durfte“, unterstreicht Seelsorger Süß.

Auf das engagierte Amateur-Team wird schließlich EWTN aufmerksam. Der Sender zeigt sich von dem „Input“ der Bensberger beeindruckt und bietet mit seinem hochprofessionellen Equipment technische Unterstützung an. Das heißt, von nun an gibt es auch 360 Grad-Schwenks und Aufnahmen, die nur mit einer ferngesteuerten Kamera möglich sind. Im Gegenzug will EWTN die Sonntagabendmesse zur „Primetime“ ausstrahlen, so dass eine Win-win-Situation zustande kommt. Inzwischen werden von Dietz und Neuhoff auch jüngere Gemeindemitglieder, die eine gewisse Technikaffinität, aber auch Lust am Gestalten mitbringen, in diese verantwortungsvolle Aufgabe eingewiesen.

Robin Kraus ist einer von ihnen. Diakon Neuhoff hat ihn während der Firmvorbereitung für dieses Ehrenamt geworben. Dietz bescheinigt dem 16-Jährigen den „kreativen Blick“, den es braucht, wenn man an dem großen Mischpult der Videotechnik die Regie übernimmt. Dann muss man wissen, welches Bildmotiv gerade das beste ist, nach einer Vergrößerung verlangt und den Zuschauer am Schirm hält. Aber auch vertraut sein mit den liturgischen Abläufen, um der Übertragung in Echtzeit bei jedem Schnitt einen Schritt voraus zu sein.

„Das ist nichts, was man mal eben nebenher lernt. Dafür muss man schon auch ein Gespür haben“, so Experte Dietz, der ansonsten für jedes Feedback offen ist, das der Weiterentwicklung dieses digitalen Formats dient. Denn er weiß, nur wenn die Qualität von Bild und Ton stimmt, bleiben die Leute an den Geräten. Und das ist das Ziel in Pandemie-Zeiten: wenn schon sonst pastoral kaum was geht, wenigstens virtuell die Gemeinde zusammenhalten – nicht abhängen. Und inständig hoffen, dass alle, die sich gerade per Internet zuschalten, schon bald wieder live in die Kirche kommen.

Text – Domradio-Beitrag vom 14. März

Foto – Beatrice Tomasetti