Dem Beispiel Jesu folgen und Barrieren abbauen

Einen Bogen von der aktuellen Corona-Pandemie zu der biblischen Erzählung von der Heilung des Aussätzigen spannte Pfarrer Cédric Kongbo Gbassinga in seiner Predigt an diesem Sonntag. Nachfolgend ist sie im Wortlaut dokumentiert:

Bitte Abstand halten! Bitte tragen Sie eine Mund-Nasen-Maske! Bitte reduzieren Sie die Kontakte auf ein Minimum! Bitte bleiben Sie besser zuhause! Sie müssen in Quarantäne sein! Bitte desinfizieren Sie sich regelmäßig  die Hände! Dieses Leitmotiv und diese Maßnahmen bringen die Angst, insbesondere die Berührungsangst, ans Licht, die  heutzutage zu unserem Alltag gehört. Im Lichte dieser Berührungsangst der derzeitigen Corona-Krise kann man die heutigen liturgischen Texte besser verstehen.

Im Evangelium dieses Sonntags hören wir von der Begegnung Jesu mit einem Aussätzigen. Die erste Lesung veranschaulicht, was damals diese Krankheit gesellschaftlich und religiös bedeutete. Der Aussatz ist eine schwere Krankheit mit vielen sozialen Auswirkungen. Der Aussätzige wird nach und nach entstellt und verstümmelt. Er verliert das Aussehen und das Ansehen. Aussatz ist ansteckend; das erzeugt Angst. Mitmenschen gehen ihm aus dem Weg. Er wird ausgeschlossen und fühlt sich ausgestoßen. Der Aussätzige wird zum Unberührbaren.

Mich berührt an dieser Erzählung vor allem der Dialog des Kranken mit Jesus. Er hält den vorgeschriebenen Abstand, fällt vor ihm auf die Knie und bittet inständig: Wenn du willst, kannst du machen, dass ich rein werde. Rein werden beinhaltet mehr als das Wiedererlangen der Gesundheit. Rein sein ist die Voraussetzung für jeden normalen gesellschaftlichen Kontakt und für die Rehabilitation in der Glaubensgemeinschaft. Jesus überwindet diese Barriere, setzt sich über die Vorschriften hinweg, berührt ihn und sagt: Ich will es – werde rein! Das ist mehr als menschliches Mitleid. Es klingt wie die Proklamation seines messianischen Programms, wie die Verkündigung des göttlichen Willens. 

Der Evangelist Markus zeichnet Jesus als den über alles erhabenen Messias, der über der Krankheit und über den gesellschaftlichen Regeln steht.  Er will, dass wir ganz und heil und rundum gesund sind. Er überwindet, was die Menschen von ihm und voneinander trennt. Wir werden als Menschen Gott immer wieder so erfahren: als jemanden, der hilft, und als jemanden, der unsichtbar bleibt, aber wir haben die Möglichkeit uns von Gott berühren zu lassen und zu erfahren, dass wir in unserer Not, unserem Leid und unseren Fragen nicht allein sind.

Der Aussätzige kann zum Symbol werden für Menschen, die aus der Gemeinschaft ausgeschlossen sind oder sich ausgeschlossen fühlen. Ich kann mich behandelt fühlen wie ein Aussätziger. Ich kann selbst Menschen, die anders sind, behandeln wie Aussätzige. Es kann überall Menschen geben, denen man aus dem Weg geht: in der Familie, im Dorf,  in der Gesellschaft, in der Kirche, ja, sogar in unserer Pfarrgemeinde.

Das heutige Evangelium enthält das messianische Programm Jesu und verpflichtet auch uns, alles zu überwinden, was Barrieren zwischen Menschen aufbaut. Der Kampf gegen Krankheiten, die Menschen am gesellschaftlichen Leben nicht teilnehmen lassen, ist nur ein Teil dieses Auftrags. Manche Barrieren bestehen nur in unseren Köpfen und in unserem Herzen. Sie beinhalten in erster Linie eine moralische Herausforderung: jemandem verzeihen, persönliche Abneigung und Hass hintanstellen, Vorurteile abbauen… Andere sind nur ein Zeichen unserer Hilflosigkeit. Es gibt auch heute noch Menschen und Menschengruppen, vor denen wir uns schützen müssen. Wir können uns aber nicht damit zufrieden geben, dass wir sie wegsperren, sie isolieren. Das Beispiel Jesu fordert uns heraus, Menschen in die Gesellschaft zurückzuführen, nach Möglichkeiten der Heilung zu suchen, Resozialisierungsprogramme durchzuführen, auch wenn dies große Anstrengungen erfordert. Das heißt nicht, dass wir mit Gefahren und gefährlichen Personen leichtfertig umgehen sollen. Es heißt aber, nicht aufzugeben, Barrieren überflüssig zu machen und sie abzubauen, wo wir sie nicht mehr benötigen. Amen.

Diese persönlich überarbeitete Predigt folgt grundsätzlich der Auslegung und den Überlegungen von P. Hans Hütter von 2003

Foto – Beatrice Tomasetti