„Café Leib & Seele“ bietet Senioren Begegnung und Impulse

Unter Leute gehen, wenn daheim die Decke auf den Kopf fällt. Mit anderen ins Gespräch kommen, wenn es in den eigenen vier Wänden zu still ist. St. Nikolaus macht alten Menschen ein Gemeinschaftsangebot gegen Vereinsamung.

Zum ersten Willkommen an der Tür malt Jocki Althoff jedem Gast eine rote Nase. Wie der Stempel in der Disco gilt das als Eintrittskarte, soll aber auch gleich zu Beginn ein Stück gute Laune vermitteln. Und eine Art „Eisbrecher“ sein. Denn an diesem Mittwoch steht im Bensberger Seniorencafé „Leib & Seele“ Karneval auf dem Programm. Doch nicht alle, die allmählich im „Treffpunkt St. Nikolaus“, dem Gemeindesaal neben der Kirche, eintrudeln, hatten im Vorfeld registriert, dass dazu selbstverständlich auch das Erscheinen im jecken Kostüm gefragt ist. Eine originelle Idee wie die Clownsnase kann da schnell so etwas wie eine Lockerungsübung sein und ein wenig von der zögerlichen Zurückhaltung oder gar Scham nehmen. Denn ältere Menschen brauchen ein längeres Warming up, erstrecht wenn man den Tischnachbarn nicht kennt, Gespräche mitunter nur schleppend in Gang kommen und die bunt zusammen gewürfelte Gesellschaft zunächst einmal unvertraut erscheint.

Nach jahrelanger Pause, die vor allem auf das Konto von Corona und Kosteneinsparungen geht, öffnet dieses Projekt, das vor der Pandemie für alte Menschen der absolute Renner war und regelmäßig den großen Versammlungsraum füllte, wieder seine Türen und startet als Neuauflage. Alle zwei Wochen gibt es von nun an wieder ein abwechslungsreiches Begegnungsangebot mit ganz unterschiedlichen Impulsen. Die Hauptsache, die Senioren verlieren nicht den Kontakt zur Gemeinde und machen die Erfahrung, dass auch sie noch gesehen werden. „Bei ‚Leib & Seele’ soll es um eine Gemeinschaftserfahrung mit viel Gesang, Animation, Vorträgen und Infos zu seniorenrelevanten Themen gehen“, betont Althoff, „aber eben auch ums Feiern, die Freude am Austausch in gemütlicher Runde oder einfach nur ein bisschen Spaß.“

Jocki Althoff, Pfarrgemeinderatsmitglied und seit wenigen Monaten in Altersteilzeit, hat die Initiative ergriffen und ein achtköpfiges Team an ehrenamtlichen Mitstreiterinnen und Mitstreitern geworben, die bei der Bewirtung mit Kaffee und Kuchen, aber auch kreativen Elementen helfen. Seine Motivation: „Kirche muss die ältere Generation mehr im Blick behalten. Jahrzehntelang haben diese Menschen ihren Glauben weitergegeben und den Laden am Laufen gehalten. Nun sollten sie zuhause nicht vereinsamen.“

„Den Laden am Laufen gehalten“ meint salopp formuliert, dass sich die heutige Seniorengeneration mit ihrer engen Kirchenbindung zeitlebens an wichtigen Schaltstellen der Kirchengemeinde – in den Gremien und Gruppierungen – ehrenamtlich eingebracht und für ein lebendiges Gemeindeleben viele Jahre Verantwortung übernommen hat. Nun verdiene sie es nicht, dass sich der Fokus der pastoralen Arbeit weitgehend auf die Jungen richte, so Althoff. „Als Kirche müssen wir das anders vorleben, uns Zeit nehmen und interessieren. Alter hat seinen Wert. Und Zukunftsfähigkeit hat nicht ausschließlich damit zu tun, auf die Jugend zu setzen.“ Er selbst sei noch mit einem ausgeprägten Respekt älteren Menschen gegenüber aufgewachsen, sagt er. „Ich habe Achtung vor deren Lebensleistung. Ihnen meine Aufmerksamkeit zu schenken ist für mich eine Herzensangelegenheit.“

In seinem Berufsleben als Geschäftsmann sei es immer um Wachstum, Geld und Profit gegangen, nun schätze er sich glücklich, dass bei diesem Ehrenamt andere Werte im Zentrum stünden. „Ich möchte diesen Menschen die Seele aufhellen, die dunklen Wolken mancherlei Beschwernis vertreiben und zeigen, dass das Leben lebenswert ist – auch noch mit 80, 85 und weit über 90“, sagt der 63-Jährige. Die Sorge um die eigene, am Ende ihres Lebens dement gewordene Mutter und auch die um ein weiteres über 90-jähriges Familienmitglied, das selbstbestimmt habe sterben wollen, seien Erfahrungen, die ihn geprägt und seine Achtung vor dem Alter noch einmal deutlich verschärft hätten.

Daher gehört für Althoff seit Jahren ganz selbstverständlich dazu, regelmäßig mit einer kleinen Combo Musik in Altenheimen oder auch im Hospiz am Ort zu machen. „Singen macht glücklich“, lautet sein Motto. „Musik stimuliert die Erinnerung. Sie ist wie ein Schlüssel und funktioniert als Türöffner bei Menschen, die sich längst zurückgezogen haben und oft glauben, in dieser Gesellschaft nichts mehr wert zu sein. Diesem Trend dürfen wir keinen Vorschub leisten – im Gegenteil: Wir müssen dringend ältere und auch hochbetagte Menschen immer wieder bewusst in unsere Mitte holen.“

In Ringel-T-Shirt und mit Federhut greift Jocki Althoff zur Gitarre. Er kenne seine Zielgruppe, lacht er – „mit Brings, De Räuber oder Kasalla muss man denen nicht kommen“ – und weiß, dass es mehr die kölschen Evergreens des frühen Kölner Karnevals sind, bei denen der Fuß ganz automatisch mitwippt, die Café-Besucher sich schon mal schneller unterhaken und schließlich beschwingt im Rhythmus mitschunkeln.

„Das ist mal ein Tag mit ein bisschen mehr Leben“, freut sich Elisabeth Linder, die kräftig mitsingt, als Althoff „En d’r Kayjass Nummero Null“ anstimmt oder „Mir schenken der Ahl en paar Blöömcher“. Auch bei „Heidewitzka, Herr Kapitän“ geht in der Seniorentruppe so richtig die Post ab. Für Linders Nachbarin Christa Poppe ist es die Geselligkeit, die sie zu diesem Nachmittagstreff motiviert. „Wenn man alleine lebt, freut man sich, mit anderen zusammen zu sein. Man ist unter Leuten“, sagt die 81-Jährige, die seit vier Jahren Witwe ist und sich mit dem Alleinsein immer noch schwer tut. Helmut Penger gesteht frank und frei: „Ich bin einfach gerne unter Menschen. Kontakte sind notwendig.“ Er suche immer nach Anregungen.“ Regelmäßig nutzt der 84-Jährige, der gerne im Gemeindeleben mitmischt, die Angebote der Gemeinde. Er ist aber genauso zur Stelle, wenn helfende Hände gefragt sind – wie zum Beispiel 2022, als die ersten Geflüchteten aus der Ukraine ankamen. Als gebürtiger Ermländer spricht der pensionierte Lehrer auch ein bisschen Russisch und konnte sich so als Übersetzer nützlich machen.

Apropos: Im Alter angesichts zunehmender Gebrechlichkeit und nachlassender mentaler Gesundheit zu nichts mehr nütze zu sein – das ist eine Selbstwahrnehmung, mit der viele Senioren zu kämpfen haben, wenn sie argumentieren, anderen nicht zur Last fallen zu wollen. Umso wichtiger sei es, betont Althoff, hier dagegen zu halten und jeden Menschen bis zum Ende in seiner ganzen Würde wertzuschätzen. „Mich erfüllt es, wenn ich mit diesem Café-Angebot zu einer solchen Haltung beitragen und die Menschen, die kommen, für anderthalb Stunden auf andere Gedanken bringen kann.“

Die meisten, die sich im Treffpunkt St. Nikolaus an der Kaffeetafel versammeln, wollen mal raus aus den eigenen vier Wänden. „Ab und an muss ich mir etwas zumuten, damit ich in Bewegung komme, auch wenn es jedes Mal ein Kraftakt ist“, sagt eine Mittachtzigerin. „Schließlich muss es doch auch im Alter noch Ziele geben und ein selbstgestaltetes Leben.“ Außerdem müsse man sich eingestehen, sehr viel mehr als früher die Unterstützung der Gemeinschaft in Anspruch nehmen zu müssen. „Das zuzugeben ist nicht immer leicht, aber eben Realität. Da hilft es auch nichts, drei Kinder und fünf Enkel zu haben, die alle genug um die Ohren haben. Also bin ich für jede Art Abwechslung zu haben. Immer allein zuhause zu sitzen ist keine Alternative.“ Älterwerden sei nun mal nichts für Feiglinge. „Wenn das Leben auch mit 80 plus noch Spaß machen soll, muss man dafür etwas tun und wissen, wo man andere treffen kann“, lautet daher ihre Maxime.

Jocki Althoff weiß, dass bei der Weiterentwicklung des Seniorencafés zunächst sehr viel Beziehungsarbeit erforderlich sein wird. Auch der eigene Energieaufwand – sprich das Animationspotenzial – muss hoch sein, will er die Besucher immer wieder neu aus der Reserve locken und zum Mitmachen motivieren, so dass am Ende daraus für alle eine stimulierende Gemeinschaftserfahrung wird, die auch mal den einen oder anderen Kummer und ganz nebenbei die vielen Alltagszipperlein vergessen lässt. Und natürlich geht es auch darum, ein offenes Ohr zu haben sowie Zuwendung und Wärme zu schenken. “Wir holen die Menschen in ihrer Trauer um den Partner ab, bei dem zunehmenden Verlust ihrer Alltagskompetenzen und vor allem in ihrer drohenden Vereinsamung, der wir bewusst etwas entgegensetzen wollen“, erklärt er. Denn Einsamkeit im Alter – ob offen zugegeben oder eher verschämt versteckt – sei für viele alte Menschen meist die größte Herausforderung.

Text – Domradiobeitrag vom 27. Februar/Beatrice Tomasetti