„Wir wollen Zeugen der Freiheit sein!“

Der feierliche Eröffnungsgottesdienst der Bischofskonferenz im Kölner Dom war etwas für Kopf und Herz

„Wäre Gesanges voll unser Mund… so reichte es nicht, es reichte doch nicht, dich, Gott, unsern Gott recht zu loben…“ Insgesamt 400 junge Stimmen, die Domchöre und darüber hinaus 13 „Pueri Cantores“-Chöre aus dem gesamten Erzbistum Köln, singen ein letztes Mal während dieses anderthalbstündigen Gottesdienstes: diesmal zum feierlichen Auszug der 66 Bischöfe. Dabei sind die Gesten von Domkapellmeister Eberhard Metternich, der extra erhöht und für alle gut sichtbar auf einem Podest steht, noch ausladender und bewusst akzentuierter als sonst. Denn bis in die letzten Reihen dieses riesigen Ensembles, das vollständig das südliche Querhaus der Kathedrale füllt, muss die musikalische Verständigung reichen, damit auch noch auf den hinteren Plätzen die bereits erfahreneren Sängerinnen des Mädchen-Kammerchores sowie die Herren des Kölner Domchores das Dirigat von Chorleiter Metternich abnehmen können und für einen homogenen Klang bei dieser emotional so anrührenden Schluss-Motette sorgen.

Schließlich waren sie – zumindest was die Kirchenmusik angeht – soeben die Protagonisten dieser Eucharistiefeier. Und so dürfen sie sich am Ende auch eines großen Lobes sicher sein. Denn Reinhard Kardinal Marx, der als Hauptzelebrant dieses Eröffnungsgottesdienstes zur Frühjahrsvollversammlung die vielen Sänger und Chorleiter Metternich noch vor der Messfeier persönlich begrüßt hatte, wendet sich auch in seinem Schlusswort zunächst erst einmal wieder an die Pueri Cantores und dankt für die musikalische Gestaltung mit einem herzlichen „Vergelt’s Gott“. Wörtlich sagt er: „Es ist immer wieder beeindruckend, an einem so wunderbaren Ort, einem der wichtigsten Europas, mit Euch Eucharistie zu feiern.“ Aber auch die vielen Gläubigen, die den Tagungsauftakt der Deutschen Bischöfe an diesem Abend mitgefeiert haben, danken es den Kindern und Jugendlichen mit zustimmendem Applaus. Nicht nur, dass die Zehn- bis 18-Jährigen – gleich im doppelten Wortsinn – bei diesem besonderen Anlass mit ihrem erfrischenden Gesang den richtigen Ton getroffen haben. Gerade auch die sorgfältig von Metternich aus dem gemeinsamen Pueri Cantores-Repertoire ausgewählten Kompositionen tun zum Atmosphärischen dieser außergewöhnlichen Abendmesse ihr Übriges und schlagen einen wohltuenden Bogen zwischen liturgischer Festlichkeit und kindlicher Unbekümmertheit. Da wird ganz sicher so manchem Messbesucher das Herz aufgegangen sein.

Soeben hat der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz im Kölner Dom die traditionelle Frühjahrsvollversammlung der Bischöfe eröffnet und alle Gläubigen zu einer Zeugenschaft für die Freiheit aufgerufen. In seiner Predigt warb Marx dafür, sich mutig und offen der eigenen Identität zu stellen: „Wir spüren, dass wir in einer unruhigen Zeit leben, einer Zeit der Umwälzungen, des Umbruchs. Dinge, die wir vor einigen Jahren nicht für möglich gehalten hätten, passieren.“ Umso eindringlicher stelle sich die Frage nach der Identität. Gerade auch nach der der Kirche, die zwar immer dieselbe sei, aber dennoch auch lerne und danach ausschaue, „was uns der Geist an neuen Möglichkeiten schenkt, um Neues zu entdecken“. Gerade das sei Ausdruck der jüdisch-christlichen Kultur, die es auch zu verteidigen gelte. Kardinal Marx erinnerte an die fünf Bücher Mose, die Torah, die der „Kernpunkt der Identität Israels“ sei. Diese Torah stelle viel mehr als nur ein Gesetzbuch dar. „Sie ist die Geschichte der Befreiung, der neuen Lebensweise, der Neuentdeckung Gottes. Das ist ein grundsätzlicher Auftrag an das Volk Gottes − damals und heute“, bekräftigte er. In dieser Botschaft und der jüdisch-christlichen Identität zeige sich, so Marx, dass Gott dem Menschen nahe sei: „Er ist ein Gott der Befreiung, der ein Projekt mit der Welt vorhat. Gott schenkt dem Menschen seine Freiheit. Die Gott-Ebenbildlichkeit besteht in dieser Freiheit.“

Weiter erklärte der Münchener Erzbischof: „Gott ist ein Gott der Schwachen, ein Gott, der nach unten schaut. Die Gottes- und Nächstenliebe ist nicht durch Jesus neu erfunden worden, aber er hat sie neu ins Zentrum des Bewusstseins gerückt: mit seinem Leben, mit seinem Tod. Gott ist somit die wahre Freiheit, die wir als Kinder Gottes finden.“ Dann verstehe man auch, dass das, was die Kirche durch die Geschichte lernen müsse, noch längst nicht zu Ende sei.
Kardinal Marx ermutigte die Gläubigen: „Wir wollen Zeuginnen und Zeugen der Freiheit sein; einer Freiheit auch für jene Menschen, die nicht unsere Überzeugung haben. Einer Freiheit für jene, die getreten, geschlagen und vergewaltigt werden, einer Freiheit für jene, die unterdrückt und mundtot gemacht werden, auch Journalisten. Für ihrer aller Freiheit wollen wir eintreten, weil das der Kern der Menschenwürde und des christlichen Auftrags ist. Daran zeigt sich der ununterbrochene Weg des christlichen Glaubens durch die Geschichte hindurch.“

1996 habe Papst Johannes Paul II. bei seiner historischen Rede am Brandenburger Tor gesagt, dass der Mensch zur Freiheit berufen sei:  „Die Kirche soll Protagonistin der verantwortlichen Freiheit sein. Freiheit und Wahrheit gehören ebenso zusammen wie Freiheit und Solidarität.“ Diese Freiheit, so Kardinal Marx, gelte es zu verteidigen: die Freiheit der Kultur, der Würde, des Respekts. „Diese Freiheit nimmt alle Menschen in den Blick, nicht nur mich, meine Pfarrei, meine Ideen, sondern die Freiheit öffnet sich für die ganze Menschheitsfamilie. Dann spüren wir, welchen Auftrag wir haben: Wenn die Welt unruhig und unbarmherzig wird, wenn Auseinandersetzungen und Polarisierung zunehmen, dann muss dem die Botschaft Jesu entgegengehalten werden. Wir wollen uns als Christen bemühen, Brücken zu bauen und an einer Kultur des Respekts, der Liebe und der Freiheit mitwirken. Denn Freiheit ist Gabe und Aufgabe zugleich!“

Text und Fotos − Beatrice Tomasetti

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