„Im Herzen nehme ich Sie alle mit“ – Verabschiedung von Pfarrer Süß

„Es muss das Herz bei jedem Lebensrufe bereit zum Abschied sein und Neubeginne, um sich in Tapferkeit und ohne Trauern in andre, neue Bindungen zu geben.“ Es ist merklich still, als Pastoralreferentin Violetta Gerlach nach der Kommunion das bekannte Gedicht „Stufen“ von Hermann Hesse vorträgt. Denn es mag in diesem Moment allen Mitfeiernden der festlichen Dankmesse zur Verabschiedung von Pfarrer Andreas Süß mit Nachdruck bewusst machen, dass hier gerade eine Zäsur stattfindet, von nun an nichts mehr so sein wird, wie es einmal war, die Gemeinde ihren Pastor abgibt ohne Aussicht auf eine Nachbesetzung dieser Stelle. „Wir sollen heiter Raum um Raum durchschreiten“, heißt es unterdessen weiter in den Strophen, „an keinem wie an einer Heimat hängen, der Weltgeist will nicht fesseln uns und engen, er will uns Stuf´ um Stufe heben, weiten. Und schließlich: „Kaum sind wir heimisch einem Lebenskreise und traulich eingewohnt, so droht Erschlaffen; nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise, mag lähmender Gewöhnung sich entraffen.“

Ein Impuls, der anstehenden Veränderung am Ende doch etwas Tröstliches abzugewinnen? Eine Mahnung, nicht stehen zu bleiben, stattdessen Entwicklung und Wandel eine Chance einzuräumen? Die Worte des Dichters wiegen schwer in dieser Abendstunde und beschreiben doch eindringlich, was sich im menschlichen Leben immer wieder und unaufhaltsam ereignet: vertraut werden, um sich dann doch wieder schmerzlich zu trennen. Es sind Töne der Wehmut, der Melancholie und des großen Bedauerns, die an diesem Abend auch ihren Raum beanspruchen. Abschiede, das stellt Pfarrer Süß jedenfalls gleich zu Beginn an diesem Samstagabend klar, seien seine Sache nicht. Das mag vielen Anwesenden aus der Seele sprechen. Und so setzt er sehr bewusst – wie es seinem einnehmend fröhlichen Wesen entspricht – einen positiven Gegenakzent und ruft in dieser bewegenden Eucharistiefeier zu einem dankbaren Rückblick auf Erreichtes und gemeinsam Gestaltetes auf. Denn nach sechs Jahren verlässt der beliebte Seelsorger die Pfarreiengemeinschaft St. Nikolaus und St. Joseph, um sich einer größeren Herausforderung zu stellen und zum 1. September Leitender Pfarrer in Neuss und den Pfarreien der Seelsorgebereiche Neuss-Mitte, Neusser Süden und Neuss-Rund um die Erftmündung zu werden.

Süß dankt der Gemeinde sichtlich emotional „für sechs erfüllte Jahre, viele gute Begegnungen, eine schöne Zeit“. Er erinnert an die herzliche Aufnahme im August 2015 und würdigt „die engagierte Arbeit so vieler Frauen und Männer, die theologisch reflektiert ihren Glauben weitergeben, so dass Katechese aus der Gemeinde heraus gelingt, sie bei der Tauf-, Kommunion- und Firmvorbereitung Zeugnis ihres Glaubens geben und nicht alles an den Hauptamtlichen hängt“. Viele hätten sich in der Ehevorbereitung, der Jugendarbeit – bei den Messdienern, Pfadfindern und der KJG – oder in den Gremien immer wieder auf den eigenen Glaubensweg gemacht und sich gleichzeitig den aktuellen pastoralen Herausforderungen gestellt. „Das gab uns Seelsorgern die Möglichkeit, die geistliche Dimension zu vertiefen“, betont der 45-Jährige.

Ein Klausurwochenende des Pfarrgemeinderates zur Willkommenskultur, die Einstellung einer Ehrenamtskoordinatorin, die während der Corona-Krise vor allem mit dem Einkaufs- und Telefondienst den Kontakt zu den alten und einsamen Menschen hergestellt und grundsätzlich die Seniorenarbeit ausgebaut habe, und auch eine Gemeindebefragung mit dem Ziel zu erfahren, was sich die Menschen von einer in jeder Beziehung offenen Kirche wünschen, hätten neue Akzente gesetzt und einen Beitrag zum „pastoralen Zukunftsweg“ des Bistums geleistet. „Wir sind in die Stadtgesellschaft hineingegangen, um mitten unter den Menschen zu sein und ein offenes Ohr für sie zu haben“, so das Resümee des scheidenden Pfarrers, der vor dem Schlusssegen – und bevor er sich ein letztes Mal zu persönlichen Gesprächen unter die vielen Gemeindemitglieder auf dem Kirchplatz mischt – darum bittet, ihn auch weiterhin im Gebet zu begleiten. Denn das habe ihn auch in der Vergangenheit stets getragen, versichert er. Trösten mag zudem, dass Neuss nicht aus der Welt sei, wie er sagt, außerdem ein wichtiges Tagungshaus der Diözese in Bensberg stehe, wohin er sicherlich noch oft zurückkäme. „Im Herzen nehme ich Sie alle mit“, ruft er schließlich der Gemeinde zum Abschied noch einmal zu.

Sonja Cetraro, die PGR-Vorsitzende von St. Nikolaus und St. Joseph, bescheinigt Pfarrer Süß, nicht nur von einer offenen Kirche gepredigt, sondern sie auch selbst gelebt zu haben. Er habe verstanden, dass Kirche nicht ortsgebunden sein müsse, sagt sie in Anspielung auf das legendäre ‚Blaue Sofa’, mit dem er jeden Donnerstag auf den Markt gegangen war, um auch dort mit den Menschen ins Gespräch zu kommen. „Du hast Dich in die Glühweinbude gestellt oder Fremde bei einer spontanen Begegnung in der Schlossstraße kurzentschlossen zum Essen eingeladen“, wendet sie sich dem Seelsorger zu, mit dem sie während der letzten Wahlperiode sehr vertrauensvoll zusammengearbeitet hat. Besonders würdigt sie die „wertschätzende Beziehungsarbeit“ und auch die Gabe der Gastfreundlichkeit von Pfarrer Süß, die die Menschen begeistert und auch längerfristig an die Gemeinde gebunden hätten, wie sie eigens hervorhebt. Immer habe er anderen gedeutet: Ihr seid wichtig. „Diese wertvolle Beziehungsarbeit soll Dein Erbe und unser Ansporn sein“, betont Cetraro sichtlich bewegt, bevor sie gesteht: „Du wirst uns sehr, sehr fehlen!“

Im Namen des Kirchenvorstands St. Nikolaus dankt Maria-Theresia Opladen als dessen geschäftsführende Vorsitzende für die gute partnerschaftliche Zusammenarbeit in den zurückliegenden sechs Jahren. Opladen stellte heraus, wie wichtig Süß immer die Kindergärten gewesen seien: „als Orte an denen Glaube gelebt und vermittelt wird“. Außerdem habe es immer seiner Vorstellung entsprochen, noch mehr in die Zivilgemeinde hinauszugehen, würdigte sie das unermüdliche Engagement des Leitenden Pfarrers von Bensberg und Moitzfeld. Bei dem großen Thema Finanzen angesichts der zu stemmenden Bauvorhaben – vor allem im Kontext der umfassenden Gesamtrenovierung von St. Nikolaus – habe er nicht nur seine guten Beziehungen zum Erzbistum, sondern auch in die Politik spielen lassen, so dass der Gemeinde nun hohe Zuschüsse aus Denkmalschutzmitteln die erhebliche Kostenlast erleichtern würden, sagt sie. Darüber hinaus sei ihm die Unterstützung des Personalausschusses immer ein Anliegen gewesen. „Die Auswahl der Menschen, die in und für die Gemeinde arbeiten – in der Kita, im Pfarrbüro oder als Hausmeister – war Ihnen sehr wichtig.“ Für die neue große Aufgabe wünscht Opladen dem zukünftigen Pfarrer von Neuss viele Menschen, die ihn unterstützten, gute Beraterinnen und Berater, die ehrliche Ratschläge gäben, sowie engagierte Gemeinden, die mit ihm an einer guten Zukunft unserer Kirche arbeiteten.

Er werde viele Spuren hinterlassen, betont die Sprecherin des Pastoralteams, Violetta Gerlach. Als Pfarrer habe er immer heilende Worte gefunden und nach heilenden Begegnungen gesucht, stellt die Pastoralreferentin fest. Zudem begegne er selbst den Menschen stets auf Augenhöhe und habe sie hier am Ort mit seinem Zutrauen, auch einmal etwas Neues auszuprobieren, in Bewegung gebracht. „Ich habe Dich als höchst spirituell und gläubig erlebt“, wendet sie sich Süß zu. Gemeinsam mit Ehrenamtskoordinatorin Rossi große Oevermann und Kaplan Clemens Neuhoff kommt sie dann einem erklärten Wunsch von Pfarrer Süß nach und überreicht ihm ein Fotobuch mit vielen Bildern von Gemeindeveranstaltungen, die ihn auch an seiner neuen Wirkungsstätte noch an die Zeit in Bensberg und Moitzfeld erinnern sollen.

Für die „völlig reibungsfreie einfache Ökumene“ dankt ihm schließlich der erst kürzlich in den Ruhestand verabschiedete evangelische Mitbruder in Bensberg, Pfarrer Wolfgang Graf: persönlich, wie er betont, aber auch noch einmal im Namen der evangelischen Kirchengemeinde am Ort. Bei dieser gelebten Ökumene sei es nie darum gegangen, sich selbst zu beweihräuchern oder zu feiern, sondern „in der Gemeinsamkeit das zu tun, was wir im Namen des Jesus von Nazareth leisten können – nämlich ganz praktisch mit dem, was gerade not tut, bei den Menschen zu sein“. Graf erinnert an die vielen gemeinsamen Initiativen auf beiden Seiten, bei denen mitunter der jeweils andere mit ins Boot geholt worden sei und die eine bereits bestehende Verbindung fortgesetzt hätten: die sehr konkreten Hilfen zum Wohle der Menschen, die während der Pandemie auf Unterstützung von außen angewiesen waren, aber eben auch an die ökumenischen Gesprächsangebote – unter anderem in der Fastenzeit – an die Taizé-Andachten sowie an die Gemeindefeste oder Möhne- und Mundart-Messen, die beide Gemeinden noch einmal mehr zueinander geführt hätten, wie er erklärt. „Nicht zu vergessen die vielen persönlichen Gespräche über Gott und die Welt – und die Kirchen – was uns auch persönlich gut getan hat. Ich denke, wir können miteinander“, fügt Graf am Ende mit einem Augenzwinkern hinzu und umarmt den zum Freund gewordenen Mitbruder auf das Herzlichste.

Schließlich bescheinigt Bürgermeister Frank Stein Pfarrer Süß „ein Kirchenmann zum Anfassen, ein Pfarrer aus der Mitte der Bevölkerung zu sein, der sich mit seiner Menschenfreundlichkeit und Ausstrahlung in die Herzen der Menschen gebracht hat“ und bedauert zutiefst, dass dieser nun seine Zelte in Bergisch Gladbach abbreche. In seinem Grußwort am Ende der Feier dankt ihm der SPD-Politiker und praktizierende Katholik im Namen der Stadt für seinen „großartigen Einsatz“ und lässt noch einmal die vielen biografischen Stationen von Pfarrer Süß Revue passieren, darunter seinen Einsatz 2005 als Mitorganisator des Kölner Weltjugendtages und der Jugendinitiative „Nightfever“ sowie als Leiter der Diözesanstelle Berufungspastoral. Das alles zu lesen habe ihn beeindruckt, formuliert er anerkennend. „Sie stehen in den Augen der Menschen für eine menschenfreundliche frohe Botschaft“. So wie Jesus sie vertreten habe, der nicht als alttestamentarisch grollender Prophet aufgetreten sei, den Menschen keine Angst gemacht, sondern sie begeistert habe, fügt er noch hinzu. „Man merkt Ihnen an, dass Sie sich mit Ihrer ganzen Kraft Ihrer Berufung widmen.“

Außerdem würdigt er Süß als politischen Menschen – „als Christ kann man gar nicht unpolitisch sein“ – und betont, dass Süß Spuren in dieser Stadt hinterlasse. Dass Kirche auch digital kann und sie sich im letzten Jahr nicht nur mit gestreamten Gottesdiensten, sondern auch mit einer Veranstaltung des auf Süß’ Initiative in Gladbach neu gegründeten Sozialverbands Katholiken in Wirtschaft und Verwaltung (KKV) zur Wahl der beiden Spitzenkandidaten für das Bürgermeisteramt hervorgetan hat, deren Qualität Stein noch einmal ausdrücklich lobt, lässt der Rathauschef ebenfalls nicht unerwähnt. An solchen Tagen des Abschieds komme vieles zusammen, resümiert er schließlich: Dankbarkeit, Wehmut, hohe Anerkennung und Aufbruchstimmung. „Auf Ihrem Weg in die neuen wichtigen Aufgaben“, verabschiedet sich der Ehrengast mit warmherzigen Worten, „wünsche ich Ihnen Gottes Segen und ein frohes Herz.“

Text und Fotos – Beatrice Tomasetti