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Wofür es keine Worte gibt…

Das Erzbistum will demnächst zur Ermutigung einen „Tag für Trauernde“ in den Seelsorgebereichen und Dekanaten verankern

Noch unschlüssig steht die junge Frau vor der bunten Farbpalette. Sie hat die Qual der Wahl. Sind es mehr die dunklen Töne, die ihren inneren Seelenzustand ausdrücken, oder doch mehr die grelleren? Am Ende entschließt sie sich für eine Mischung aus warmen Nuancen mit knalligen Akzenten und lässt es einfach „fließen“. Dazu jedenfalls hat Referentin Andrea Schoder die Teilnehmer ihrer Gruppe aufgefordert. „Es  geht nicht um das perfekte Kunstwerk“, formuliert sie ihre Einladung zum Malen, „sondern darum, mit Farbe und Pinsel die eigenen Empfindungen abzubilden.“ „Es tut gut, wieder die eigene Stimme zu spüren“, sagt eine andere Frau, die immer gerne gesungen hat, seit dem Tod ihres Mannes vor ein paar Monaten aber keine Energie mehr verspürt, eines der vielen ihr vertrauten Lieder anzustimmen. Für wen auch! Die Einsamkeit hat sie stumm und antriebslos gemacht. Jeder neue Tag ihrer noch unvertrauten Lebenssituation als Alleinstehende kostet sie genug Kraft und Überwindung. Da bleibt für Singen als ein Ausdruck von Freude kein Raum mehr. Aber jetzt in der Gemeinschaft ihrer Kleingruppe mit der Musikerin Andrea Honecker und unter der Überschrift „Melodie des Lebens“ wagt sie es dann doch wieder.

Die beiden ungleichen Frauen haben auf den ersten Blick nichts gemeinsam: nur ihre Trauer. Doch mit ihr haben sie an diesem Sonntagmorgen einen ganz wesentlichen Teil ihrer sehr individuellen Lebensgeschichte ins Kölner Maternushaus gebracht. Denn hier findet zum ersten Mal auf Einladung des Erzbistums ein Tag der Begegnung für Menschen statt, deren Partner verstorben ist. Initiatorin Eva-Maria Will vom Fachbereich „Trauerpastoral und Bestattungskultur“ weiß, dass der Tod eines geliebten Menschen das Leben von einem Moment auf den anderen auf den Kopf stellt, gemeinsame Lebensentwürfe zerbrechen und der Verlust starke Gefühle, wie Schmerz, Verzweiflung, Perspektivlosigkeit und auch Wut auslöst. „Im Team haben wir überlegt, welches pastorale Angebot diesen Menschen wieder Hoffnung machen kann. Denn es ist Grundauftrag der Kirche, Trauernde zu trösten.“ Wichtig war der Theologin bei der Konzeption dieses Tages vor allem, die Situation der trauernden Gäste ernst zu nehmen, weshalb sie der Bistumsveranstaltung bewusst einen spirituellen Impuls über seelisches Heil-werden mit einer Bildbetrachtung vorangestellt hatte. „Manchmal bedarf es eines behutsamen Herantastens an die eigene seelische Versehrtheit. Dabei wollten wir Hilfestellung geben“, erklärt sie. Denn oft sei es ein langer Weg, die Klage über Erlittenes nach außen zu tragen und sie mit Gleichbetroffenen zu teilen. „Wenn sich dieses Ventil aber erst einmal öffnet, kann es wie eine Befreiung sein. Und dann wird aus der Zu-Mutung, die wir jedem Einzelnen mit diesem Tag positiv zusprechen wollten, die Ermutigung, dem Leben auch weiterhin zu trauen und sich von der Liebe Gottes tragen zu lassen.“

„Nach dem Tod meines Mannes habe ich mich wie abgeschnitten gefühlt. Irgendwie wird man zum Außenseiter“, gesteht eine Teilnehmerin Mitte 60. Ein älterer Mann sagt: „Es tut weh, immer den leeren Platz sehen zu müssen. Ich wüsste nicht, wie ich ohne meinen Glauben mit der Situation zurecht kommen sollte.“ „Hier tut es mir gut, in Gemeinschaft an einem gedeckten Tisch zu sitzen und mich verwöhnen zu lassen“, lautet die Aussage einer noch jungen Mutter, die neben der Herausforderung der eigenen Trauerarbeit auch ihren Kindern bei der Bewältigung des Verlustes wichtigste Ansprechpartnerin ist. „Das Schlimmste ist“, erzählt ein Mann, der seine Frau bereits vor 21 Jahren verloren hat, „wenn einem andere vorschreiben: ‚Jetzt musst Du aber mal langsam mit der Trauer aufhören. Schau nach vorne!’ Dabei wissen die doch gar nicht, wie das ist.“

Dass Trauer keine Frage der Zeit ist, weiß Will aus vielen Begegnungen mit Trauernden. „Auch wenn sie sich verändert – die Trauer bleibt“, sagt sie. „Und sie ist so verschieden wie die Menschen selbst. Das heißt, auch die Zugänge zu innerlich verletzten Menschen müssen individuell sein.“ Dementsprechend sah der Tag mit geschulten Fachreferenten sehr differenzierte Angebote vor: neben den kreativen Einheiten vor allem auch Gespräche über heilende Erfahrungen in Bibeltexten, über die Lebensgestaltung als Alleinerziehende, über die eigenen Ängste und Nöte oder über literarische Textanregungen. Und wer weniger den Drang des sich Mitteilens und eines Austauschs in der Gruppe verspürte – übrigens gerade unter Männern ein recht verbreitetes Phänomen – konnte schweigend hilfreiche Rituale im Umgang mit der Trauer kennenlernen. „Ausdrücken dürfen, wofür es keine Worte gibt. Für die meisten Trauernden ist es wohltuend, anderen zu begegnen, die ähnlich Schweres erlebt haben“, so die Beobachtung von Eva-Maria Will. „Darüber reden zu können, sich im Leid als Verbündete zu erleben und mit der Last ihrer Trauer gesehen zu werden, kann tröstlich sein. Aber auch, aus dem Glauben heraus Worte und Zeichen zu finden, die den akuten Schmerz lindern, hat mitunter Türöffnerfunktion und ermöglicht etwas Neues. Mit diesem Tag wollten wir einen Raum für Trauer und Erinnerungen anbieten, um daraus gestärkt hervorzugehen und dem Leben neu die Stirn bieten zu können.“

Am Ende eines intensiven Tages ist es vor allem der Gottesdienst mit Stadtdechant Msgr. Robert Kleine in St. Andreas, der alle Teilnehmer noch einmal sichtlich bewegt und trotzdem tröstet. Einfühlsam erkundigt sich der Seelsorger bei jedem Trauernden nach seiner ganz persönlichen Geschichte, bevor er ihn segnet und ihm Mut zuspricht für den noch vor ihm liegenden Weg. Und auch die Rückmeldungen der 30 Teilnehmerinnen und Teilnehmer auf dieses Angebot, das zukünftig in den Dekanaten und Seelsorgebereichen des Bistums etabliert werden soll, zeigen, wie wichtig jedem ist, nicht allein gelassen zu sein in seiner Trauer. „In seiner Hand ruht die Seele allen Lebens“ – dieses Bibelwort, das als Motto über der Veranstaltung gestanden hatte, begleitete die kleine Gemeinde von Trauernden schließlich wieder in ihren Alltag…

Mehr Informationen zu pastoralen Angeboten für Trauernde unter: www.abschied-trost.de [1]

Text und Foto – Beatrice Tomasetti

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