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„Wir haben noch viel Potenzial“

Zur momentanen Ausstellung der Architekturmodelle in St. Nikolaus ein Interview mit der Bau-Expertin Katherin Bollenbeck

Auch für das Erzbischöfliche Generalvikariat ist die erstmalige Kooperation zwischen einer Kirchengemeinde und der Technischen Hochschule für Architektur Köln ein spannender und facettenreicher Prozess. Denn letztlich wirkt sich der Pastorale Zukunftsweg auch aufs Bauen aus. Mit Entwürfen für ein neues Pfarrzentrum von St. Nikolaus durften Studenten ihrer Phantasie einmal freien Lauf lassen.

Frau Bollenbeck, zum ersten Mal hat das Generalvikariat eine Kooperation zwischen einer Kirchengemeinde und der Fakultät für Architektur der Technischen Hochschule Köln begleitet. Was war das Besondere daran?

Katherin Bollenbeck (Leiterin der Abteilung Bau im Seelsorgebereich): Der Austausch mit Hochschulen und ihren unterschiedlichen Lehrgebieten ist für uns immer von großem Interesse. In diesem Fall kommt hinzu, dass sich eine beachtliche Zahl an Studenten – immerhin 120 – ein ganzes Semester lang mit der Aufgabenstellung beschäftigt hat, eine architektonisch und städtebaulich überzeugende Idee für das Bensberger Kirchenareal zu entwickeln, weil dort Sanierungsarbeiten anstehen. Das Ergebnis zeigt nun eine Vielzahl an Anregungen, mit der die Gemeindemitglieder am Ort jetzt „weiterarbeiten“ können. Das kann ungemein inspirieren – ganz unabhängig davon, ob es letztlich wirklich zu einer Umsetzung kommt. Denn natürlich muss man sich am Ende des Tages auch den Realitäten, was Finanzen und baurechtliche Fragen angeht, stellen. Aber es wird eben auch ein Prozess angestoßen, der die Menschen in St. Nikolaus sehr bereichern kann, weil sich alle Gedanken darüber machen: Wie soll unser Kirche-Sein am Ort aussehen – pastoral und eben auch baulich? Beides hängt ja eng miteinander zusammen. Universitäten haben das Privileg, in Freiräumen zu denken. Von daher nähern sich Studenten einer solchen Aufgabe ganz anders als professionelle Architekturbüros. Da es sich ja oft auch um kirchenferne junge Leute handelt, bringen diese noch einmal einen ganz anderen Blick von außen mit und liefern mitunter sogar konterkarierende Beiträge. Aber gerade damit stoßen sie unter Umständen eine Kirchengemeinde auch auf das, was diese gar nicht mehr sieht. Keinerlei kirchliche Vorbildung kann manchmal sehr erfrischend sein.

Was konnten Sie denn an den nun insgesamt 19 Entwürfen ablesen?

Bollenbeck: Dass sich eine relativ große Anzahl der Studierenden eher verhalten zu einem radikalen Eingriff in den Bestand gezeigt hat, weil sie die hohe Qualität des Vorhandenen erkannt haben. Grundsätzlich muss – selbst nach einem Abbruch von Gebäuden – der Ersatzbau mindestens die Qualität des vorherigen aufweisen. Also muss ein neuer Entwurf wirklich gut sein. Mit manchem – auch das war ablesbar – wurden Denkräume gesprengt. In der Summe sind es mutige Anstöße, zu denen der Ort offensichtlich provoziert. Bemerkenswert ist allerdings, dass sich keiner der Entwürfe mit dem Kircheninnenraum auseinandergesetzt hat, obwohl die Kirche eine extreme Präsenz auf dem Grundstück aufweist.

Welche Chancen sehen Sie in solchen Kooperationen?

Bollenbeck: Für eine Pfarrgemeinde ist die dynamische Auseinandersetzung mit ihren Gebäuden, aber eben auch der zugrunde liegenden Seelsorge, ein wichtiger Prozess. Mit einem Mal bekommt alles über das banale Tagesgeschäft hinaus eine neue Aufmerksamkeit. Das provoziert Fragen, die beantwortet werden wollen. Die entstehende Debatte zwingt die Menschen, sich zu positionieren, was ganz nebenbei den Selbstfindungsprozess einer Gemeinde beschleunigt. Aus solchen Kooperationen geht sie eigentlich immer bereichert hervor – gerade auch weil sie sich reibt. Sie erlebt, wie aus einem prozesshaften Konzept Architektur wird. Jeder Erkenntnisgewinn ist ein riesiger Schritt nach vorne. Trotzdem muss man sich darüber im Klaren sein, dass man für eine lebendige, vielleicht sogar experimentelle Pastoral nicht unbedingt andere bzw. neue Räume braucht. Allerdings können veränderte oder neue Räume ein tragfähiges pastorales Konzept sinnvoll unterstützen. Es ist aber illusorisch zu hoffen, ein neues Pfarrzentrum bewahre eine leblose Gemeinde vor ihrer schrittweisen Ausblutung.

Als Jury-Mitglied haben auch Sie sich das Areal in Bensberg genau angesehen. Welchen Eindruck konnten Sie als Fachfrau gewinnen?

Bollenbeck: Wenn man mit einem unverstellten Blick von außen kommt, nimmt man zunächst einmal – jenseits aller Defizite, die sich über die Jahre eingestellt haben – die Architektur einer solchen Anlage so wahr, wie sie ursprünglich von dem damaligen Architekten Bernhard Rotterdam einmal gedacht war. Und man muss sie aus ihrer Zeit heraus, den 70er Jahren, begreifen, als Kirche noch eine ganz andere gesellschaftliche Präsenz hatte. Natürlich hat sich auch aus dieser Zeit manches überlebt. Aber gerade das Beispiel St. Nikolaus zeigt, dass man damals – anders als heute, wo es viel um Öffnung geht – mit den pfarrlichen Nutzungen nicht so offensichtlich präsent sein wollte. Nochmals: Aus der Zeit heraus wurde hier eine hohe Qualität geschaffen, die bis heute wirkt. Der sakrale und der profane Versammlungsraum der Gemeinde liegen auf einer Sinnachse und sind dergestalt inhaltlich miteinander verbunden. Bei genauer Betrachtung ist das ein überzeugendes architektonisches Konzept, auch wenn ich den Wunsch nach Veränderung, sich nach 40 Jahren anders präsentieren zu wollen, nachvollziehen kann. Natürlich ist erlaubt, weit zu denken, doch bei aller Kreativität – auch die Rückverankerung in den Realitäten sollte nicht aus dem Blick geraten.

Anhaltspunkte bekamen die Studenten durch die Ergebnisse einer Gemeindebefragung, die am Ort durchgeführt worden war. Was davon haben sie Ihrer Meinung nach daraus für sich abgeleitet?

Bollenbeck: Die Themen Niederschwelligkeit und Öffnung haben die meisten Arbeiten aufgegriffen. Vorrangig war die Frage: Wo platziere ich was? Und womit sollen die Menschen als erstes in Kontakt kommen, wenn sie sich dem kirchlichen Areal nähern. Bedenklich ist immer, wenn die bearbeitete Fläche lauter in den Vordergrund drängt als das Kirchengebäude selbst. Schließlich ist die Bensberger Kirche hoch auf dem Berg über der Stadt derart präsent, dass dagegen nicht anzugehen ist. Es gibt Beispiele aus den 70er Jahren, nach denen das Sakralgebäude bewusst keinen besonderen Akzent im urbanen Raum definiert. Das aber ist in Bensberg ganz anders. Von daher sollte man keine Verunsicherung der räumlichen Bezüge herstellen.

Wie wirkt sich denn der Pastorale Zukunftsweg, den Kardinal Woelki dem gesamten Erzbistum aufgegeben hat, auf Ihren Arbeitsbereich Bau im Seelsorgebereich aus?

Bollenbeck: Es geht um einen kritischen Blick auf unsere Haltung. Wenn wir uns ernsthaft und unvoreingenommen fragen, wie wir die Nachfolge Christi in unserer heutigen Zeit leben können, wird dies zu einem neuen Blick auf uns selber, unseren Nächsten und auf unsere gesellschaftliche Rolle führen. Dieser veränderte Blick wird Kirchengemeinden von innen heraus verändern und damit vielleicht auch das Bedürfnis nach anderen Räumen und Konzepten wecken. Diese veränderte Haltung ist gewissermaßen der „basso continuo“, über dem sich dann die pragmatischen Alltagslösungen aufbauen lassen. Ich begegne Menschen aus einem ganz anderen Geist heraus und mache das zu meiner Lebensgrundlage. Das ist eine Generationenaufgabe. Denn nichts ändert sich so schwer wie eine Haltung.

Auch wenn heute keine Kirchen mehr gebaut werden, sind es nun vor allem die gemeindlichen Versammlungsräume, die in die Jahre gekommen sind und mit denen sich von daher eine Bauabteilung primär beschäftigen muss. Ist das nicht frustrierend, immer nur in den Bestand zu investieren und angesichts dieser vielen tollen studentischen Ideen kaum noch Gelegenheit für den „großen Wurf“ zu haben?

Bollenbeck: In der Nachkriegszeit hatten wir eine weltweit einmalige und nie dagewesene Phase des Sakralbaus im Erzbistum Köln. Das ist ein großartiges Erbe von einzigartiger Qualität. Die Aufgabe, sich mit dem Bestand zu beschäftigen, betrachte ich daher nicht als Mangel, sondern als Ehre. Auch wenn wir uns heute damit auseinandersetzen müssen, welche Gebäude für die aktuelle Pastoral benötigt werden, und manche Kirche in der Tat vermeintlich nicht mehr „gebraucht“ wird, dürfen wir unseren Blick nicht für das verstellen, was wir haben. Eher sollten wir den Mut haben, manchen Bestandsbau neu zu deuten. Natürlich müssen wir Flächen abbauen und uns bewegen. Aber gleichzeitig eröffnet das auch die Chance, eine Gewichtung vorzunehmen. Welche Aufgaben übernehmen Kirchen in einem zukünftigen Prozess? Welche Wertigkeit haben sie für eine ganze Gesellschaft? Umwidmungen sind, wenn Lesbarkeiten konterkariert werden, verstörend. Noch einmal: Die schönsten Räume nützen nichts ohne eine tragfähige Pastoral. Aber wir können ja mal damit beginnen, auch bestehende Räume neu zu denken. Jede Grenze kann neue Kraft freisetzen, indem man sie sprengt. Das kann heißen, auch sakrale Räume – mit der passenden Haltung – umzudeuten. Selbst wenn eine solche Diskussion schwierig werden kann: Wir haben, davon bin ich überzeugt, in der erweiterten Nutzung unserer Kirchen als Kristallisationspunkte unseres Glaubens noch viel Potenzial.

Das Interview führte Beatrice Tomasetti
Quelle: DOMRADIO.DE vom 9. September

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