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Weihrauch als Geschenk der Könige

Typisch kölsch-katholisch: Die Weihrauchmischungen, die im Kölner Dom am meisten zum Einsatz kommen heißen „Dreikönige“, „Pontifikal“ oder „Vatikan“. Jedenfalls ist die Kathedrale dafür bekannt, dass hier mehr als woanders „geweihräuchert“ wird.

Wer die Wahl hat, hat die Qual. Zumindest ist man angesichts der breiten Duftpalette schon mal schnell hin- und hergerissen: zwischen Angelus und Ecclesia, Gloria und Laudate, Nazareth oder Lourdes, zwischen Sandelholz oder Arabisch dunkel. Auch die Apostelnamen Matthäus, Markus und Johannes sind im Angebot. Außerdem „Lilie“ oder „Rose“. Letztere ist eindeutig blumiger als der weitaus herbere Wohlgeruch der gold-schwarzen Körnermischung von „Pontifikal“. Doch nicht jeder mag es süßlich schwer. Da sind die Geschmäcker der Zelebranten schon mal sehr verschieden. Wenn mitunter im sonntäglichen Kapitelsamt minutenlang aufsteigende Weihrauchschwaden den Blick auf den Altarbereich verhängen, alles in dichtem Nebel versinkt, soll es wenigstens wohlig duften und der Qualm des Weihrauchfasses nicht für Hustenreiz oder gar einen Schwächeanfall sorgen.

Von „katholischer Luft“ spricht dann schon mal augenzwinkernd Dompropst Guido Assmann, wenn der Weihrauch noch Stunden später im Gemäuer hängt. Er favorisiert die Mischung „Dreikönige“. Eine Vorliebe, die er mit Domdechant Robert Kleine teilt. Muss ja, könnte man allein schon von Amts wegen meinen. Schließlich ist Assmann der Hausherr der Kathedrale und gemeinsam mit Kleine so etwas wie professioneller Experte beim Thema „Magier aus dem Morgenland“. Weihbischof Dominikus Schwaderlapp hingegen mag mehr die orientalische Richtung. „Weil mich das an Jerusalem erinnert“, verrät der leidenschaftliche Heiligland-Pilger. Wie überhaupt Düfte lange in der Erinnerung konserviert werden, mit einem Mal Assoziationen wecken und längst Vergangenes wiederbeleben.

Im Kölner Dom ergeht einem das oft so. An jedem Sonn- und Feiertag wird man – nicht zuletzt mit dem von den Messdienern kräftig geschwenkten Weihrauchfass – an die verlässlich-katholischen Rituale aus Kindheitstagen erinnert. Denn hier wird viel „geräuchert“. Zumindest schwanken die offiziellen Angaben zum Weihrauchverbrauch zwischen 20 bis 25 Kilo pro Jahr. Möglicherweise ein Relikt aus der Amtszeit Kardinal Meisners, der viel Weihrauch liebte und dem es gar nicht feierlich genug sein konnte. „Immer noch ein Schüppchen drauflegen, war seine Devise“, erinnert sich Kleine lachend. „Als käme man dem Himmel damit ein Stück näher.“

Zum Vergleich: Im Münchener Liebfrauendom sind es zwölf Kilo, die den Bedarf eines ganzen Jahres decken, im Mainzer Dom gerade mal vier bis fünf, in Berlin etwa zehn. „Weihrauch gehört zu einer festlichen Liturgie dazu“, begründet der Domdechant die großen Mengen, „denn beim Lob Gottes sollen alle Sinne angesprochen werden.“ Und im Kölner Dom, wo in dem 40 Meter hohen Gewölbe im wahrsten Sinne des Wortes viel Luft nach oben sei, werde die Bedeutung von Weihrauch nun mal besonders sinnfällig. Schon im Alten Testament sei dieses wertvolle Harz Zeichen für die Verehrung Gottes gewesen. „Wie der Weihrauch steigt zum Himmel, so steige mein Gebet zu Dir, o Gott“, zitiert Kleine aus dem 141. Psalm.

Das könne man selbst Kinder gut erklären, die sich schon mal reflexartig die Nase zuhalten würden oder glaubten, sie bekämen keine Luft mehr, erklärt Dompropst Assmann. Sogar Katechesen hat der Seelsorger dazu schon gehalten. Dann erzählt er davon, wie der kleine qualmende Kessel an den langen Ketten meist von den erfahrensten unter den Messdienern bedient wird, weil dessen Handhabung zweifelsohne zu den anspruchsvollsten Diensten zählt. Und er erläutert, dass die winzigen Harzkörner aus dem sogenannten Schiffchen, einer kleinen breiten Schale mit Deckel, auf eine glühende Kohle im Weihrauchfass gelegt werden, da schmelzen und sich dann mit dem Qualm, der aus den kleinen Löchern austritt, intensiver Duft verbreitet. Und natürlich steht im Zentrum seiner Ausführungen schließlich die Geschichte von den Heiligen Drei Königen, die dem neugeborenen Jesuskind Gold, Weihrauch und Myrrhe brachten, um es mit diesen wertvollen Geschenken, die sich damals vor 2000 Jahren kaum jemand leisten konnte, besonders zu ehren.

„Gott ist uns wertvoll! So wie sich Weihrauchschwaden und ihr Duft in der ganzen Kirche verteilen, so ist auch die Gegenwart Gottes überall; sie erreicht jeden Menschen und jeden Winkel unseres Lebens“, schildert Assmann anschaulich. „Jesus Christus zieht wie ein König in seinen Palast ein, um bei den Menschen zu sein, die sich versammelt haben, um ihm zu begegnen.“ Deshalb werde der Weihrauch auch beim Einzug ganz vorne, vor dem Kreuz, getragen. „Und deshalb wird der Altar, die Mitte der Kirche, beweihräuchert, denn er steht für Jesus Christus. Außerdem steigt Weihrauch auf, wenn das Evangelium verkündet wird und wenn aus dem Brot der Leib Christi und aus dem Wein das Blut Christi geworden ist.“

Bis heute ist reiner, unvermischter Weihrauch so etwas wie ein Luxusgut, das seinen Preis hat. Denn Weihrauch ist ein luftgetrocknetes Gummiharz, das von verschiedenen Boswellia-Arten – sogenannten Weihrauch-Bäumen, die in Asien und Afrika wachsen – gewonnen wird. Hinzu kommt, dass diese Bäume in ihrem Fortbestand stark bedroht sind. Mehr als 82 Prozent der Weihrauchproduktion stammen aus Somalia, der Rest kommt aus dem angrenzenden südlichen Arabien, Eritrea, Äthiopien, Sudan und anderen zentralafrikanischen Ländern. Doch Studien zufolge soll sich die Weihrauchernte in den nächsten 20 Jahren annähernd halbieren. Ursächlich dafür sind ein fehlender Baumbestand aufgrund zunehmender Viehzucht, Brände und eine oft nicht fachgerechte Ernte.

Unterschiedliche Standorte sowie klimatische Gegebenheiten beeinflussen zusätzlich die jeweilige Harzqualität. Durch Schnitte in Stamm und Äste tritt dort eine klebrig-milchige Flüssigkeit aus, die durch Trocknung an der Luft das Weihrauchharz entstehen lässt. Zwischen Ende März und Anfang April beginnt die Weihrauchproduktion, die über mehrere Monate andauert. Erst Wochen nach der ersten Ernte steigert sich deren Qualität. Dabei hängt die Harzausbeute auch von Alter, Größe und Zustand des Baumes ab: Im Schnitt liegt sie zwischen zwei und zehn Kilogramm.

Trotz dieser Entwicklung gibt es mittlerweile unzählig viele Sorten, und immer wieder kommen noch neue hinzu. Oft aus fernen Ländern, wo wiederum andere Duftstoffe kultiviert werden. Einige Arten sind fast weiß, andere gelb, wieder andere schwarz, manche rot eingefärbt oder ein Mix aus unterschiedlichen Zutaten. Sogar passionierte Sammler gibt es, die auf allen Kontinenten ihre Quellen haben und sich von überall her Anregungen holen oder exotische Kostproben mitbringen lassen. Auch der Dom hat ein solches Reservoir und bewahrt Mitbringsel, die Besucher aus Indien, dem Libanon oder anderen Teilen der Weltkirche schon mal als Gastgeschenk mitbringen, sorgfältig auf.

„Schon im Alten Testament ist Weihrauch zur Ehrerweisung beim Tempelkult eingesetzt worden“, erklärt Domdechant Kleine. „Auch die alten Ägypter benutzten Weihrauch und Myrrhe zum Einbalsamieren und Mumifizieren ihrer Toten. In der Antike stellten griechische und römische Ärzte entzündungshemmende Salben und desinfizierende Räuchermittel daraus her. Weihrauch und Myrrhe gehören also zu den ältesten Naturheilmitteln der Welt“, stellt er fest. Und dass Weihrauch Kaisern als Hoheitszeichen gedient habe. Wie auch später den drei Weisen, die in Bethlehem dem neugeborenen Königssohn huldigen wollten. Kleine betont: „Mit ihren Geschenken Gold, Myrrhe und Weihrauch brachten sie das Kostbarste, das sie besaßen, und zeigten damit, wer das Kind in der Krippe ist: König, Mensch und Gott.“

Text – Beatrice Tomasetti – Domradiobeitrag vom 6. Januar
Foto – Beatrice Tomasetti

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