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Von der Freude am Verzicht

Beim kfd-Frauenfrühstück in St. Joseph ging es um die Rolle des Fastens im Christentum und im Islam

Für viele ist die vorösterliche Fastenzeit eine willkommene Gelegenheit, nach den Karnevalstagen auf die Kalorienbremse zu treten und auf Alkohol und Süßigkeiten zu verzichten. Für andere ist sie nicht mehr als reine Gewohnheit und Pflichtübung. Welchen Stellenwert hat das Fasten für uns Christen heute? Erschöpft sich seine Bedeutung wirklich nur in einer Entschlackungskur? Oder geht es darum, dass man durch den bewussten Verzicht auf etwas Gewohntes frei wird für Neues? Vielen ist der Sinn des Fastens in unserer vom Überfluss geprägten Gesellschaft nicht mehr klar. Und noch weniger wissen wir, was das Fasten für unsere muslimischen Mitbürger bedeutet. Zum interkulturellen Dialog hatte die kfd St. Joseph in den Pfarrsaal Moitzfeld eingeladen: Beim diesjährigen Thematischen Frauenfrühstück ging es um die Rolle des Fastens im Christentum und im Islam. Dazu sprachen Stefan Wagner, Pfarrer in Köln-Mülheim, und Karin El Zein vom Kölner Begegnungs- und Fortbildungszentrum muslimischer Frauen.

Angesichts reich gedeckter Tische erklärt Stefan Wagner vor den rund 40 Zuhörerinnen zunächst die Bedeutung des Fastens aus christlicher Sicht: „Wer denkt, alles getan zu haben, indem er auf Süßes und Alkohol verzichtet, hat den Sinn des Fastens nicht verstanden. Es kommt darauf an, etwas zum Wohl anderer und zur Ehre Gottes zu tun.“ Die Botschaft von Aschermittwoch, mit dem die 40tägige Fastenzeit beginnt, heiße: Kehre um und glaube an das Evangelium. Das Fasten sei eine Einladung Gottes an uns, darüber nachzudenken, was in unserem Leben in eine Schieflage geraten ist.

Mit einem Schmunzeln erinnert Wagner an das diesjährige Motto der Kölner Karnevalssession „Mer stelle alles op der Kopp“. Nie, so glaubt der Seelsorger, sei dieses Motto so zutreffend gewesen wie in unserer Zeit, denn : „Es fällt uns zunehmend schwer, zwischen richtig und falsch, gut und böse, wahr und unwahr zu unterscheiden.“ Die Fastentage forderten uns als Christen auf, das, was schräg ist oder auf dem Kopf steht, wieder geradezurücken. „Gott stellt richtig, was im Leben nicht ins Lot gekommen ist. Das ist seine Gerechtigkeit.“

Welcher Verzicht ist beim Fasten sinnvoll? „Fasten besteht nicht in einem auf sich selbst bezogenen Reduzieren, sondern soll frei machen für etwas Anderes“: Wer des Öfteren sein Smartphone aus der Hand legt, nimmt sich vielleicht wieder mehr Zeit für das persönliche Gespräch. Wer das Fernsehen abends ausgeschaltet lässt, kann Gäste zu sich einladen oder selbst Besuche machen. Wer auf einen Restaurantbesuch oder einen Konsumwunsch verzichtet, kann das so eingesparte Geld spenden. „Mach dir Gedanken über dein Leben, ob du etwas verändern kannst, wodurch etwas Positives angestoßen wird“, rät Wagner. Vor allem seien wir dazu aufgefordert, unser Verhältnis zu den Mitmenschen zu überdenken, Trennendes zu überwinden und Versöhnung zu üben.

In diesem Punkt bestehen Parallelen zwischen der christlichen Tradition des Fastens und dem Fasten im Islam, erklärt Karin El Zein im Anschluss an den Vortrag Stefan Wagners. Denn nach den Vorschriften des Koran gehört zum Fasten auch das Unterlassen von Streit, von übler Nachrede und von Kränkungen gegenüber den Mitmenschen. Auch das Schweigen könne Fasten sein, stellt die Muslima klar, im Sinne eines bewussten Verzichts. Wer sich vor Augen führt, wie viel Raum das Reden, Erklären, Diskutieren in unserem täglichen Leben einnimmt, kann sich vorstellen, wie wohltuend und heilsam ein gelegentliches ‚Schweigegelübde’ wäre…

Das Fasten im Monat Ramadan ist für jeden Muslim religiöse Pflicht; es zählt zu den fünf Säulen des Islam – neben Glaubensbekenntnis, Gebet, Pilgerfahrt und Armensteuer. Ausgenommen sind Kinder, Kranke, schwangere Frauen, Alte, geistig unzurechnungsfähige Menschen und Reisende. Doch wird erwartet, dass sie, wenn möglich, das Fasten nachholen oder sich durch ein gutes Werk – zum Beispiel die Speisung eines Armen – von der Fastenpflicht auslösen. Völlige Enthaltsamkeit ist kennzeichnend für das Fasten im Islam: Während des Ramadans dürfen Muslime von Anbruch der Dämmerung bis zum Sonnenuntergang weder essen noch trinken oder rauchen. Auch die körperliche Liebe ist dann tabu. Das Fasten soll Selbstdisziplin und Selbstbeherrschung lehren und Seele und Körper läutern. Die entgangenen Genüsse dürfen erst nach Sonnenuntergang nachgeholt werden, „sobald man einen schwarzen Faden von einem weißen nicht mehr unterscheiden kann“.

Da im Islam der Mondkalender gilt, der elf Tage kürzer ist als das Sonnenjahr, verschiebt sich der Ramadan im Lauf der Zeit über das ganze Jahr. Fällt er, wie 2015, in die heißen und langen Tage des Hochsommers, bringt er die Fastenden oft an den Rand ihrer Kräfte. Ausdauer und Stärke sind dann gefordert. „Wer fastet, ist geduldig“, weiß Karin El Zein, „der Ramadan heißt darum auch ‚Monat der Geduld’.“ Vorher frage sie sich jedoch jedesmal, ob sie genug Kraft zum Fasten aufbringen werde. „Wenn man dann aber bewusst den Entschluss gefasst hat, sind die Zweifel verflogen, es ist, als wenn ein Schalter umgelegt wird“, sagt die Muslima. Um sich selbst in seinem Entschluss zu bestärken und die Ungewissheit zu besiegen, muss darum auch vor dem Ramadan die Absicht zu fasten ausdrücklich erklärt werden.
Während des Fastenmonats treffen sich die Muslime täglich nach Sonnenuntergang zum gemeinsamen Mahl und zum Gebet in der Moschee. In den dreißig Tagen wird der gesamte Koran gelesen, bevor mit einem großen Fest des Fastenbrechens das Ende des Ramadans feiert wird.

Skeptisch fragen einige der interessiert lauschenden Teilnehmerinnen des Vortrags, ob die umfangreichen Fastenvorschriften des Islam den Einzelnen überhaupt noch Entscheidungsspielräume ließen. Manche äußern auch Bedenken, ob das strenge Fasten nicht dem Körper schade. „Natürlich geht die Gesundheit vor“, räumt Karin El Zein ein, „aber es ist eine Frage der Selbsteinschätzung. Was mute ich mir zu, wo liegen meine Grenzen, auch körperlich?“ Was viele überrascht: Der Ramadan findet unter Muslimen eine hohe Akzeptanz. Selbst solche, die im täglichen Leben die Glaubensregeln locker handhaben, nehmen den Ramadan sehr ernst. Viele legen ihre Urlaubstage in diese Zeit, um sich ganz auf das vorgeschriebene Fasten und das Gebet konzentrieren zu können. Allen Vorschriften zum Trotz, die auf Außenstehende in ihrer Vielfalt befremdlich und verwirrend wirken mögen, geht es auch beim Fasten im Islam darum, seine ganz persönliche Haltung zu Gott und das Verhältnis zu den Mitmenschen zu überdenken und neu zu justieren. Das kann jeder nur für sich selbst und in eigener Verantwortung leisten. „Im Koran steht: Es gibt keinen Zwang in der Religion“, sagt Stefan Wagner abschließend. „Das kann ich als Christ guten Gewissens unterschreiben.“

Text – Martina Martschin
Foto – Flickr, Marius Brede [1]

 

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