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Tiefer in sich selbst hineinschauen – Predigt zum zweiten Fastensonntag

In seiner Predigt am zweiten Fastensonntag hat Diakon Clemens Neuhoff davon gesprochen, dass die Fastenzeit zur Vorbereitung auf Ostern auch eine Einladung zu einer inneren Standortbestimmung sei, wollen wir nicht Zuschauer, Außenstehende oder Unbeteiligte bleiben. Die Predigt ist nachfolgend im Wortlaut dokumentiert:

Liebe Schwestern, liebe Brüder,
was haben die Opferung des Isaak und die Verklärung Jesu Christi mit der Fastenzeit zu tun? Warum hören wir sie gerade zu Beginn der österlichen Bußzeit, die gerade mal zehn Tage alt ist?

Beide Worte, würde ich sagen, öffnen ein Fenster hin zu dem Fest, auf das wir uns vorbereiten, das Osterfest, und sie versetzen uns in eine Spannung. Das Evangelium von der Verklärung Christi beschreibt eine Szene, bei der nur ein sehr auserlesener Personenkreis dabei war: Petrus, Jakobus, Johannes und natürlich Jesus selbst. Jesus führt sie auf einen hohen Berg und wird dort „verklärt“; im Lateinischen ist von der Transfiguration die Rede, der Umwandlung seiner Gestalt. Für die Jünger ist dies absolut einmalig. Bisher hatten sie Jesus als Prediger und Wundertäter erlebt, der von sich selbst sagt, er sei der Sohn Gottes. Nun sehen sie Jesus erstmals nicht als Mensch, sondern in seiner lichtdurchfluteten göttlichen Gestalt. Bestätigt wird diese Göttlichkeit durch die Anwesenheit von Mose und Elija: Der eine steht für das Gesetz, die Tora, der andere für die Propheten. Und zu alldem kommt hinzu, dass die Stimme aus den Wolken erschallt: „Das ist mein geliebter Sohn; auf ihn sollt ihr hören.“

Es ist klar, dass mit der lichtdurchfluteten Gestalt Christi ein Vorausbild des auferstandenen Christus sichtbar wird. Das Grabtuch von Turin bezeugt genau dies: Es zeigt den Abdruck des Gesichtes Christi, der entstanden ist durch einen explosionsartigen Lichtimpuls. Das hat uns sogar die Wissenschaft bestätigt. Eine erste Frage, die wir uns heute stellen dürfen, ist: Wer ist Jesus eigentlich für mich? Ist mir in meinem Leben schon offenbar geworden, dass Jesus nicht bloß ein Prediger war, ein guter Mensch, ein tolles moralisches Vorbild, sondern, dass er der Sohn Gottes ist?

Weiterhin können wir uns fragen: Warum offenbart sich Jesus in dieser Weise und warum gerade vor Petrus, Johannes und Jakobus? Mit genau diesen drei Jüngern, so lesen wir später im Markus-Evangelium, wird Jesus sich kurz vor der Passion auf den Ölberg zurückziehen, um in der Einsamkeit zu beten. Genau diese drei Jünger erfahren Jesus also später im Moment absoluter menschlicher Schwäche. Jesus ist einsam, voller Angst, er schreit zu seinem Vater, und die Jünger sind dabei. Doch inmitten des Leids stützen sie sich zunächst auf die Erinnerung an die Verklärung. Sie wissen: Jesus ist nicht bloß ein Mensch, er ist der Sohn Gottes. Sie haben es mit ihren eigenen Augen gesehen. Ihre Gotteserfahrung, ihre Erfahrung der Göttlichkeit Jesu trägt sie später in Momenten des Leidens und der Bedrängnis. Und das, obwohl sie von Auferstehung offenbar noch keine Ahnung hatten.

Denn als sie nach der Verklärung den Berg hinuntersteigen, gebietet Jesus ihnen, niemandem davon zu erzählen, „bis der Menschensohn von den Toten auferstanden sei“. Die Jünger haben aber keine Ahnung, was das überhaupt sein soll. Sie konnten sich zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht ausmalen, was ihnen und Jesus noch bevorstehen würde. Unwissend haben sie also Jesus schon als Auferstandenen gesehen. Sie fiebern etwas entgegen, was sie nicht kennen und noch nicht verstehen. Das versetzt die Jünger in eine Spannung, eine Erwartung.

Liebe Schwestern und Brüder, auch wir dürfen uns heute durch dieses Wort in eine Anspannung versetzen lassen. Denn auch wir fiebern in dieser österlichen Bußzeit der Auferstehung entgegen. Denn um nichts anderes geht es an Ostern. Aber: ohne Tod keine Auferstehung. Wenn wir nicht nur Zuschauer, Außenstehende, Unbeteiligte dieser Bußzeit und des kommenden Osterfestes sein wollen, dann müssen wir erkennen, wo wir selbst stehen. Wir müssen in uns gehen, uns erforschen und aufdecken, wo wir Tod sind, aufdecken, wo wir schwach sind, wo wir nicht lieben können, wo wir andere Menschen verletzt haben, wo wir uns von Gott entfernt haben, wo es kein Leben mehr in uns gibt. Und oft genügt ein Blick in unsere Familien und in den Freundeskreis, und wir erblicken Leid, Schmerz und Tod, gerade in dieser Zeit. Für mich war dieser Blick in der vergangenen Woche oftmals sehr schmerzlich, weil ich innerhalb weniger Tage von zahlreichen tragischen Sterbefällen erfahren habe. Eins steht aber fest: Es bringt doch überhaupt nichts, sich 40 Tage auf ein Fest vorzubereiten, das doch eigentlich überflüssig ist, welches nichts mit meiner Lebensrealität zu tun hat.

Die Verklärung Christi als Verweis auf die Auferstehung lädt uns heute ein, die Rolle der Jünger einzunehmen und wie sie in einer Zeit der Ungewissheit und der Anspannung zu leben, in der wir so manches nicht verstehen. Jeder von uns weiß aus seiner eigenen Erfahrung, dass nicht jede Situation unseres Lebens, nicht alles Scheitern und aller Tod sogleich verwandelt werden und ins Happy End übergehen. Oftmals braucht es viel Geduld und Durchhaltevermögen. Auch Abraham hat lange in dieser enormen Spannung gelebt. Seit dem Moment, in dem Gott von ihm das Opfer seines Sohnes forderte bis zu dem Moment, indem Gott ihm Einhalt gebietet und sich nicht als Monster, sondern als Gott des Lebens offenbart.

Die heutige Lesung und das Evangelium stoßen ein Fenster auf und lassen uns auf das Ende, auf das Osterfest schauen, um uns Mut zu machen. Doch zunächst animieren sie uns, tiefer in uns selbst und in unser Leben zu schauen, um zu erkennen, wo ich der Erlösung, der Auferstehung bedarf. Das ist selbstverständlich selten schön, und dafür brauchen wir viel Kraft von außen. Diese bekommen wir heute in der gemeinsamen Feier der Liturgie und im gemeinsamen Gebet füreinander.

Text – Clemens Neuhoff
Foto – Beatrice Tomasetti

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