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Tafel-Mitarbeiter klagen über knappe Lebensmittel

Viele Geflüchtete aus der Ukraine sind auf die Unterstützung der Tafel angewiesen. Entsprechend knapp ist das Angebot geworden, so dass nicht mehr alle Kunden – darunter meist alte Menschen – genug bekommen.

Nataliya deutet auf die Zucchini im Regal. Auch von den etwas runzeligen Möhren, die ihren Reifegrad bereits sichtbar überschritten haben, hätte sie gerne mehr als drei. Per Zeichensprache macht sie sich verständlich, denn sie beherrscht weder Deutsch noch Englisch. Also muss sie ihren Wünschen mit heftigem Gestikulieren Nachdruck verleihen. Schließlich braucht die auffällig schlanke Frau aus Charkiw mit dem blond gefärbten Haar vor allem frisches Gemüse, um sich und Tochter Iryna ein typisch ukrainisches Essen zuzubereiten. Und das möglichst vitaminreich. Spargel, den ihr Dagmar Eichholz anbietet, lehnt die junge Mutter ab. Dafür lieber noch zwei Auberginen oder auch eine in Plastik verpackte Schale brauner Champignons. Doch mit dem Hinweis, dass vor der Tür der Andrang groß ist und dort noch eine lange Schlange wartender Tafelkunden steht, die an diesem Nachmittag nicht leer ausgehen sollen, gibt die ehrenamtliche Mitarbeiterin hinter dem Verkaufstisch der jungen Ukrainerin zu verstehen, dass sie sich allenfalls noch ein bisschen Obst aussuchen könne. Oder etwas aus dem Kühlfach: Milch, Käse, Wurst oder Joghurts. Von Süßigkeiten gibt es ebenfalls genug. Doch mehr Gemüse ginge nicht. Abschließend legt Eichholz noch einen Strauß Tulpen auf Nataliyas Einkaufskorb. Aber von Blumen – das weiß natürlich auch die 70-Jährige – werden Mutter und Kind nicht satt.

„Das tut uns schon weh, wenn wir die Körbe unserer Kunden zurzeit nicht so voll machen können, wie wir es eigentlich gewohnt sind, und viele Wünsche offen bleiben“, räumt Eichholz ein, die gemeinsam mit Gabi Kasper das etwa 15-köpfige Tafel-Team in Bergisch Gladbach-Bensberg leitet. „Aber wir müssen eben genau im Blick behalten, wie viele Menschen von den Lebensmittellieferungen abbekommen sollen. Am Ende darf niemand umsonst angestanden haben.“ Das sei schon schlimm, ergänzt Kasper, „zumal wir gewohnt sind zu geben und nicht zurückzuhalten“. Am liebsten würde sie sich manchmal verkriechen, gesteht die 71-Jährige, die seit sieben Jahren bei dieser Initiative mitmacht. „Denn mir geht es nicht gut damit, wenn ich die große Not sehe, einer Mutter von sechs Kindern einen Wunsch abschlagen und die Zuteilung zunehmend stärker rationieren muss.“ Es sei schwer, einer kinderreichen Familie statt neun nur fünf Orangen mitgeben zu können. „Auch wenn ich weiß, dass die Aufgabe der Tafel ist, nur ergänzend die Menschen mit Lebensmitteln zu versorgen. Trotzdem wüssten viele gar nicht, wie sie ohne die Tafel überhaupt über die Runden kommen sollten. Auch in Bensberg gibt es viel versteckte Armut.“

Abgezählte Teile in den Korb zu legen – das fällt auch Barbara Wäsche schwer. Aber wie die anderen Helferinnen und Helfer an diesem Donnerstagmittag in der Reginharstraße auch weiß die 75-Jährige, die vor allem für die Büroarbeiten zuständig ist, dass von dem, was die Bensberger Supermärkte an Lebensmittel mit baldigem Verfallsdatum regelmäßig abgeben, inzwischen mehr als doppelt so viele Menschen versorgt werden müssen. „50 waren es vor Kriegsausbruch, nun sind es 120. Und nie weiß man an einem solchen Tag, wie viele Neuanmeldungen noch dazu kommen. Trotzdem kann man doch niemanden wegschicken.“ Gleichzeitig gerate man schnell in einen Gewissenskonflikt, zumal es ja die Bestandskunden sowie neben den Neuankommenden aus der Ukraine auch schon viele syrische und afghanische Flüchtlinge – meist ganze Großfamilien – gebe. Dass die geflüchteten Menschen aus der Ukraine von der Regierung gerade bevorzugt behandelt würden, niemand von ihnen einen Asylantrag ausfüllen müsse wie damals bei der Flüchtlingswelle von 2015, mache es nicht leichter. „Es soll ja kein Neid entstehen“, betont Eichholz. „Aber die Stimmung ist schon komisch. Das müssen wir aushalten und achtgeben, dass sie nicht kippt. Dabei wollen wir doch allen so viel wie möglich geben. Dass wir das nicht können, tut uns oft genug weh. Aber unsere Ware reicht nun mal bei weitem nicht für alle.“

Von haltbaren Lebensmitteln wie Konserven, Nudeln, Reis, Mehl oder Zucker hätten sie gerne mehr. „So etwas geht eigentlich immer, weil es auch zuhause nicht sofort verbraucht werden muss wie zum Beispiel Salat, Weintrauben oder Bananen.“ Spendenboxen allerdings dürften sie nicht aufstellen, erklärt Kollegin Kasper. „Dann wären allemal Sachspenden besser, die wir eins zu eins weiterreichen können.“ Sie sei ja schon froh, dass die Supermärkte nun zusätzlich zu Nahrungsprodukten auch ab und zu Hygieneartikel oder Babynahrung zur Verfügung stellen würden, zumal hier die Nachfrage – gerade seitens der ukrainischen Mütter – groß sei. Schließlich besäßen diese kaum Geld, aber auch sonst hätten sich die Preise ja dramatisch erhöht. „Nicht nur Brot, Milch oder Speiseöl werden teurer, auch die steigenden Preise bei Gas und Strom sorgen dafür, dass bei manchen das ohnehin schon bescheidene Auskommen kaum reicht. Hartz IV-Empfänger zählen schon jetzt den ganzen Tag, wofür sie ihr Geld ausgeben, damit es bis zum Monatsende reicht“, so die Leiterin der Tafel.

In Bensberg hat sich bewährt, dass die Kunden in drei Gruppen eingeteilt sind, die der Reihe nach drankommen. Sie müssen sich mit einer Kundenkarte ausweisen, die sie für einen Hartz IV-Leistungsbescheid, einen Gehaltsnachweis oder ihre Grundsicherung bekommen, um überhaupt tafelberechtigt zu sein. Außerdem bezahlt hier jeder seinen „Einkauf“ mit zwei Euro. Wer diese kleine Summe, die mehr symbolischen Charakter hat, am Ende eines Monats nicht mehr aufbringen kann, was vorkommt, dem wird sie gestundet. Mit dieser Abgabe werden anfallende Kosten wie Lokalmiete, Lieferfahrzeuge und Abfallentsorgung beglichen. Und dann gibt es auch noch einen Bringedienst, den freiwillige Helfer im Auftrag der örtlichen Kirchengemeinde St. Nikolaus übernommen haben. „Viele alte Menschen, die auf diese Lebensmittellieferung angewiesen sind, können selbst nicht mehr kommen und warten darauf, dass wir ihnen ihre Tüten nach Hause liefern“, sagt Gabi Kasper. „Für sie legen wir vorab etwas zur Seite, aber auch das ist im Moment deutlich weniger als das, was sie sich erhoffen.“ Dabei versuche das Tafelpersonal, die Taschen so gerecht wie möglich zu bestücken.

„Im Moment ist unsere Arbeit sehr bedrückend“, stellt Dagmar Eichholz fest. „Früher ging sie mir leichter von der Hand, hat mir mehr Spaß gemacht. Heute greift uns das mental an, wenn wir einfach gerne noch mehr helfen würden, die Vorräte aber, die wir ausgeben können, begrenzt sind. Dabei suchen wir gerade auch für die alten Menschen, die ja auch nicht hungern sollen, schon das Beste heraus.“ Gerade mal die Reste vom Tisch gäbe es für die vielen Bedürftigen. So komme ihr das manchmal vor, formuliert es Gabi Kasper bitter, und dass sie das zunehmend mehr belaste. Manche der Menschen, die seit Jahren zur Tafel kämen und bei denen auch schon mal zwei Augen zugedrückt würden, wenn sie nicht rechtzeitig an die Verlängerung ihrer Tafelberechtigung gedacht hätten, erzählt die Rentnerin, seien im Sozialsystem regelrecht abgestürzt. „Aber von vielen, gerade auch den Geflüchteten aus der Ukraine, wissen wir nicht viel – auch weil wir uns ja nur mit Händen und Füßen verständigen können, richtige Gespräche nicht zustande kommen. Wir stellen uns aber vor, was sie in der Heimat durchgemacht haben müssen und dass diese neue Erfahrung der Mittellosigkeit nicht einfach für sie ist.“

Dass diese vielen jungen Mütter mit ihren Kleinkindern es nicht gewöhnt seien, für Essen anzustehen, das sehe man ihnen schon an, beobachtet Kasper. „Und dass sie noch vor wenigen Wochen ein ganz normales Leben hatten und auf eine Lebensmittelzuteilung für Bedürftige nicht angewiesen waren.“

Text (Domradiobeitrag vom 7. Mai) und Foto – Beatrice Tomasetti

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