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Sich in Achtsamkeit üben

Wenn ich es in diesem Sommer schaffe, fahre ich zehn Tage in ein kleines Kloster mitten im Wald in der Nähe von Au. Dort herrscht eine wunderbare Ruhe. Der normale Zivilisationslärm ist weit weg. Die Anwesenden schweigen. Man nutzt kein Mobiltelefon, keinen Computer. Als ich das erste Mal für eine Woche dort war, dachte ich: Mein Gott, wie langsam doch die Zeit vergeht, wann endlich ist sie rum. Es dauert etwas, bis man aus dem üblichen Alltagsstress herausfindet. Aber ohne die dauernde Kommunikationsspirale mit Emails, WhatsApp, SMS, ohne den imaginären Zwang, nach neuen Nachrichten schauen und diese sofort beantworten zu müssen, fällt so vieles weg, so viel Ablenkung. Und dann ist auf einmal ganz viel Zeit da, wunderbar!

In diesem Kloster lebt eine deutsche Nonne, Dhamma Mahatheri, die in Sri Lanka den ursprünglichen Buddhismus studiert hat und diesen aus den ältesten Texten, dem Pali Canon, weitergibt. Von einer Gruppe von Laien wird sie unterstützt und das Kloster getragen. Die Übung ist eine ganz einfache: loslassen. Das geht so: Ein unendlicher Gedankenstrom, wechselnde Gefühle berühren uns ständig, lenken uns von achtsamem Handeln in der Gegenwart ab. Und genau da setzt die Übung an: Jeden Gedanken, jedes Gefühl als solches erkennen, benennen und – loslassen. Immer und immer wieder. Sich auf das, was man gerade tut, voll konzentrieren. Sich nicht ablenken lassen. Im Zen heisst es: Beim Gehen nur gehen, beim Essen nur essen, beim Arbeiten nur arbeiten, beim Sitzen nur sitzen.

Während der Übungstage gibt es abends einen Vortrag, eine Reflexion. Die dabei von Dhamma Mahatheri vorgetragenen einfachen, kurzen Zitate aus dem Pali Canon haben mich oft sehr getroffen. Meistens wird genau meine aktuelle Situation beschrieben. Dann gibt es Rückfragen zur Achtsamkeit: Mit welchem Fuß hast Du beim Aufstehen zuerst den Boden berührt? Mit welcher Hand hast Du im Bad das Handtuch gegriffen? Welche Farbe hatte Deine Tasse beim Frühstück? Wie sah Dein Teller beim Mittagessen aus? Am Anfang habe ich gelächelt über so elementare, scheinbar banale Dinge. Aber mit der Zeit habe ich verstanden, nichts ist unwichtig. Nur wenn Du alles achtsam tust, Dir der Tragweite Deiner Handlung voll bewusst bist, nur dann kannst Du wirklich das tun, was Du tust.

Meine Lieblingsarbeit ist das Holzsägen. Als ich zuletzt zwischen Weihnachten und Neujahr im Kloster war, hatte ich mich auf die Ruhe im Wald gefreut. Das nervende Geräusch der Kreissäge im Minutentakt, mit der ein Mitübender Holzstücke auf Ofenlänge schnitt, hat mich damals extrem gestört. Dazu muss man wissen: Im Kloster wird nur mit Holz geheizt, in fast allen Räumen stehen kleine Holzöfen. Erst viel später habe ich gelernt, diesen Lärm anders zu empfinden, nämlich als etwas Positives, das nötig ist, damit in irgendeinem der Öfen im Winter eines dieser Holzstücke eine halbe Stunde lang in einem Raum Wärme spendet. Da wurde aus der Störung Wohlklang. Außerdem muss man beim Sägen höllisch aufpassen, auch wirklich nur einen Baumstamm zu durchtrennen. Also wieder Achtsamkeit üben.

Seit ein paar Jahren halte ich auf dem Gelände des Klosters einige Bienenvölker. Weil ein Buddhist kein lebendes Wesen tötet – auch keine Schädlinge wie zum Beispiel Varroa-Milben – experimentiere ich dort mit anderen Möglichkeiten, den die Bienen bedrohenden Schädling zu bekämpfen. So werde ich die Tage im Kloster dazu nutzen, Ruhe zu finden, nach meinen Bienen zu schauen, etwas Honig zu ernten, und konzentriert und gelassen wieder zurückkommen. Vielleicht lassen sich meine Erfahrungen im Kloster am besten in diesem Bild beschreiben: Ein Leben lang versucht man, die Tür aufzudrücken. Ermattet sinkt man nieder und stellt fest: Die Tür geht nach innen auf.

Beitrag und Foto – Markus Bollen


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