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Pfarrer Kirchner wirbt für Sakrament der Versöhnung

Für die einen ist die Beichte ein „geistliches Fitness-Studio“, wo man die Kräfte des Guten trainiert. Für andere bedeutet sie Seelenreinigung und Stärkung. Tatsache ist, dass die Auseinandersetzung mit eigenem Versagen nie leicht fällt.

Herr Pfarrer Kirchner, in den letzten Tagen sind in vielen Gemeinden die Vorbereitungen zur Erstbeichte der Kommunionkinder gelaufen. Wie erklärt man Neunjährigen die Themen Schuld und Vergebung und was es mit dem Sakrament der Versöhnung auf sich hat?

Elmar Kirchner: Man sollte in der Lebenswirklichkeit der Kinder beginnen. Denn in der Regel haben sie ein gutes Sensorium für das, was gut und böse ist. Im diesjährigen Kommunionunterricht hatten wir auf einem Arbeitsblatt die Darstellung eines Menschen mit einer weißen und einer schwarzen Hälfte. Entsprechend sollten die Kinder diesen Feldern Qualitäten zuordnen. Konfliktsituationen, Streitereien auf dem Schulhof, Mobbing in der Klasse – das kennen auch schon die Jüngsten. Und sie haben meist auch die Einsicht, dass da etwas an dem eigenen Verhalten nicht gut war, man auf den anderen wieder zugehen und um Entschuldigung – eigentlich aber ja um Vergebung – bitten sollte. Auch im familiären Kontext erleben Kinder Auseinandersetzungen. Doch bevor sie ins Bett gehen, sollten die Dinge wieder ins Reine gebracht werden und sie sich mit Mama, Papa oder der kleinen Schwester, dem größeren Bruder wieder versöhnt haben. Auf dieser Ebene kann ich beim Thema Erstbeichte ansetzen.

Außerdem erkläre ich, dass immer, wenn ich anderen etwas Böses antue oder es ihnen auch nur in Gedanken wünsche, das auch mit meinem Verhältnis zu Gott zu tun hat. Denn der Mensch ist sein Abbild, so dass die Lebenswirklichkeiten mit der religiösen Dimension korrelieren. Kinder wissen, was es heißt, ein schlechtes Gewissen zu haben. Von daher sind sie in diesem Alter auch schon durchaus in der Lage zu verstehen, was Reue bedeutet. Das Gleichnis vom barmherzigen Vater ist da sehr hilfreich. Es spiegelt geradezu brennglasartig, um was es beim Sakrament der Versöhnung geht. Da sind der heimkehrende Sohn, der neidische Bruder und der Vater, der alles vergibt. Wenn ich diese Geschichte erarbeite und erkläre, dass Gott so an den Menschen handelt wie der Vater an seinem Sohn, der Sohn wiederum sein Fehlverhalten einsieht und bereut, ist es mucksmäuschenstill. Genau dieser Punkt der Einsicht und Reue ist ja der entscheidende. Die Botschaft lautet: Gott ist ein mitfühlender, barmherziger Gott und immer bereit zu verzeihen.

Und wie erschließt sich den Kindern, dass es sich hier um ein Sakrament handelt?

Kirchner: Das Sakrament ist wie ein verabredeter Treffpunkt mit Gott, ein heiliges Zeichen. Als äußeres Merkmal lege ich als Priester dabei die violette Stola an. Zur Vorbereitung haben die Katecheten einen Rucksack mit Steinen gefüllt, auf denen Worte wie Ärger, Neid oder Streit standen. Dabei haben wir mit den Kindern überlegt, was sind meine ganz persönlichen Steine, meine ganz eigene Schuld, die mich belastet? Der Rucksack, mit dem ich durchs Leben gehe, wird jedenfalls leichter, wenn diese Steine herausgenommen werden. Bei der Beichte wird klar, dass Gott uns mit seiner Vergebung und der Lossprechung von Schuld diese Last abnimmt.

Die Gleichnisse Jesu mit ihren Bildern sind da eine große Verstehenshilfe. Den Kindern sage ich: Die Beichte, die Feier der Versöhnung, wie wir das bewusst nennen, weil wir das als ein Fest verstehen, ist wie der Fleckentferner für das weiße Taufkleid und kein Gericht, bei dem ich klein gemacht werde – ganz im Gegenteil: Ich werde aufgerichtet und erfahre Stärkung: ein Refreshment des Glaubens, wenn man so will. Wie auch soll ich meinen Alltag als Christ leben, wenn ich meinen Weg nicht von Zeit zu Zeit überprüfe?

Die ältere Generation ist noch mit einem strafenden Gott, der Richter über Gut und Böse ist, aufgewachsen. Daher gehörte die Beichte auch in den letzten Jahrzehnten eher zu den etablierten, aber auch gefürchteten Ritualen in der Vorbereitung auf Ostern. Was hat sich hier grundlegend geändert, dass dieses Sakrament so ziemlich aus der Mode gekommen und das Wort „Sünde“ aus unserem Vokabular gestrichen zu sein scheint?

Kirchner: Das ist nicht unbedingt erst ein Prozess der letzten Jahre, sondern hat m. E. bereits unmittelbar nach dem Konzil begonnen. Die Würzburger Synode jedenfalls hat im Dokument „Unsere Hoffnung“ von 1975 schon vom „heimlichen Unschuldswahn“ gesprochen, der sich in unserer Gesellschaft ausbreite und mit dem wir Schuld und Versagen, wenn überhaupt, immer nur bei „den anderen“ suchen, bei den Gegnern und Feinden, bei der Vergangenheit, bei der Natur, bei Veranlagung und Milieu. Ein Beleg dafür, dass sich die Menschen zunehmend nicht mehr mit der eigenen Schuld auseinandersetzen wollten oder konnten. Dieses Denken ist heute mehr denn je verbreitet. Unsere Gesellschaft suggeriert, dass ich nach außen ein Held sein muss, stark und unangreifbar. Dazu passt es nicht, Schwäche zu zeigen oder gar Schuldeingeständnisse zu machen. Und natürlich hat die Tatsache, dass das Versöhnungssakrament an Bedeutung verliert, auch mit der Verdunstung des Glaubens, der Kirchlichkeit und einer zunehmenden Entfremdung von einem kirchlich praktizierten Leben zu tun. Denn das Bußsakrament ist ja ein ganz konkreter Glaubensakt.

Gleichzeitig nimmt in unserer Gesellschaft die Ich-Bezogenheit zu. Und Schuld und Sünde haben nun mal auch eine soziale Dimension, weil sie ja oft mit meiner Beziehung zu einem anderen zu tun haben. Von daher nimmt analog zu dieser Entwicklung auch die Beschäftigung mit dem eigenen Vergehen ab. Wir stellen uns einfach zunehmend weniger unserer Schuld. Darüber hinaus hat der schleichende Abschied vom Bußsakrament auch damit zu tun, dass Beichten nicht selten als formalisierte, herzlose Routine erfahren wurde, die mit Zwang verbunden war. Wenn hier jemand in der Vergangenheit keine guten Erfahrungen gemacht hat, dann hat das weitreichende Folgen für die persönliche Beichtpraxis. Zudem kommt es ja auch darauf an, an wen ich in einem solchen Beichtgespräch gerate und ob man sich miteinander verständigen, einen Gesprächsfaden finden kann. Und was die Begrifflichkeit angeht: Sünde ist eine theologische Qualifizierung von Schuld. Dieses Wort belegt ihre starke Vernetzung zum Glauben. Viele bringen es aber nicht über die Lippen und geraten sogar ins Stottern, weil sie sich über diese Dimension noch nie wirklich Gedanken gemacht haben.

Gerade beim Beichten, sagen Sie, tragen manche auch Altlasten mit sich herum…

Kirchner: Absolut. Beichten lief vor 40, 50 Jahren ja auch noch ganz anders ab. Das Verständnis war ein anderes. Trotzdem – um Missverständnissen vorzubeugen: Die Beichte ist kein Disziplinierungsinstrument der Angst, und es geht auch nicht um eine Verurteilung. Vielmehr ist es heute so, dass die Menschen – selbst gute Katholiken – nicht mehr unbedingt gewohnt sind, sich mit ihren dunklen Seiten – und die hat schließlich jeder, mich eingenommen – auseinanderzusetzen. Daran zeigt sich gleichzeitig der Verlust von Glaubensbindung. Also stellt sich die Frage: Warum soll ich einem anderen überhaupt meine Vergehen gestehen? Dass dieses Sakrament nicht mehr en vogue ist, hat sicher mit der allgemeinen Krise des Glaubens und der Kirche zu tun. Schließlich hat Beichten mit Vertrauen, Öffnung und Schutzlosigkeit zu tun, wenn ein Mensch sein Innerstes, seine Seele, nach außen kehrt. Da dieses Vertrauen in den letzten Jahren verstärkt ramponiert wurde und massiv gelitten hat, brauchen wir uns über die Folgen nun nicht zu wundern.

Schuld und Vergebung sind innerhalb der Kirche gerade ein wichtiges Thema – Sie sprechen es selbst an – nicht zuletzt, um verspieltes Vertrauen zurückzugewinnen. Und trotzdem tun sich die Menschen immer schwerer damit, Schuld zu bekennen und auf sich zu nehmen…

Kirchner: Die Gedanken der Aufklärung, in der die Vernunft zum Maßstab allen Handelns wurde, mit dem der Mensch sich als mündiger Bürger aus seiner Unmündigkeit befreien und die Selbstbestimmung des Individuums als Ziel verfolgt wurde, sind bis heute spürbar. Das „Ich“ wird zum entscheidenden Maßstab des Handelns. Wozu brauche ich noch Vergebung, die mir persönlich von einem Priester zugesprochen wird? Eine positive Erfahrung mit der Feier der Versöhnung kann ich machen, wenn ich mich darauf auch angstfrei einlasse. Gerade mit Firmanden erlebe ich tolle Beichtgespräche, denn in der Zeit des Erwachsenwerdens machen sich junge Menschen viele Gedanken zu solchen Themen, auch weil sie oft Selbstzweifel haben. Dabei hat keiner ja nur dunkle Seiten. Aber Jugendliche ringen sehr darum, Unvermögen und Schuld ins Wort zu bringen und Orientierung für ihren Lebensweg zu finden.

Beichten ist immer eine sehr persönliche Angelegenheit, und es erfordert Mut – auch altersunabhängig – sich mit der Verantwortung für eigenes Versagen oder schuldhaftes Verhalten zu beschäftigen. Klar, ist das schwer anzuschauen, wenn ich mir dessen bewusst werde und das eingestehen soll. Wir schieben weg, was uns unangenehm betrifft. Vor der eigenen Wirklichkeit laufen wir gerne schon mal davon. Oft sind es ja die anderen, die etwas falsch machen. Und natürlich ist es besser, Opfer als Täter zu sein. Aber hier sollte man nichts verkehren. Ein bisschen mehr Demut, die Anerkennung der eigenen Grenzen und sich selbst mehr auf die Schliche zu kommen täten schon not, wollen aber auch gelernt sein. Am Ende kommt es – wie so oft – auf die Haltung an.

Qua Amt sprechen Sie die Menschen, die zu Ihnen kommen, los von ihren Sünden – da ist er nochmal, dieser inzwischen eher altmodische Begriff. Viele empfinden bei dem Bekenntnis ihres Versagens jedoch eine große Scham. Wie erleben Sie das?

Kirchner: Da gibt es eine große Bandbreite quer durch alle Generationen: Menschen die jahrzehntelang nicht mehr das Bußsakrament empfangen, plötzlich aber eine Sehnsucht danach haben. Andere, die monatlich oder sogar noch öfter kommen und diesbezüglich geübt sind. Und wieder andere, die einen Bibeltext mitbringen, an dem entlang sie sich orientieren. Die einen sind eher skrupulös, die anderen pedantisch. Manche bevorzugen mehr die Anonymität des Beichtstuhls, viele mittlerweile aber auch das Gespräch von Angesicht zu Angesicht, bei dem man einen unmittelbareren Eindruck von seinem Gegenüber bekommt und ich als Beichtvater auch einen Eindruck davon, wie sehr sich jemand anstrengt, das eigene Versagen ins Wort zu bringen. Das wird nicht selten zu einer echten Herausforderung.

Wer nach langer Zeit wiederkommt, hat naturgemäß einen schwereren Angang. Und natürlich kommt es auch immer auf den Inhalt eines Bekenntnisses an. Ein schwerer Ehebruch mit weitreichenden Folgen hat eine andere Qualität als alltägliche Vergehen bzw. sogenannte  lässliche Sünden. Die Leute haben ein großes Bedürfnis, sich auszusprechen, mitzuteilen, was sie bewegt – die ganze Palette an Schönem, aber auch Schuldhaftem und Hässlichem. Und nach der Absolution spüre ich beim anderen immer eine innere Befreiung und mitunter auch Freude. Wenn sich ein gutes Gespräch zwischen dem aufmerksam Hörenden und dem Sprechenden ergeben hat – begnadete Beichtvater, bei denen man Kraft und Halt findet, sind ein großer Segen – ist oft zu beobachten, wie beglückt und froh geradezu jemand ist, mit Gott im Frieden weiterleben zu können.

Ab und zu höre ich von jemandem: Ich bin erleichtert und dankbar, dass ich das einmal so formulieren konnte. Darum geht es ja bei der Beichte: um das Verhältnis, um meine Bindung zu Gott. Und vor ihm müssen wir uns nicht schämen, geschweige denn verstecken. Die Beichte ist ein hochsensibles Sakrament, weshalb es umso schwerer wiegt, wenn wir als Seelsorger in der momentanen Krise unsere Glaubwürdigkeit verloren haben. Meine Rolle ist daher auch keineswegs, mich über den anderen zu erheben. Im Gegenteil: Wer bin ich, dass mir zustünde, den ersten Stein zu werfen?

Die Zahl der Psychotherapien nimmt konstant zu. Wer heute nicht mehr weiter weiß, sucht statt eines geistlichen Begleiters eher einen Facharzt für die Seele auf. Was macht den qualitativen Unterschied zwischen einer Psychotherapiestunde und einem Beichtgespräch aus?

Kirchner: Die Beichte kann heilende Wirkung und auch eine therapeutische Funktion haben. Aber sie ist keine Therapie. Denn in einem solchen Gespräch ist der Blick in der Perspektive des Evangeliums ganz auf Gott und den Beichtenden gerichtet. Außerdem: Kein Psychotherapeut kann Schuld vergeben. Die Beichte ist ein rein geistliches Geschehen. Das schließt allerdings nicht aus, dass man schon mal bei erkennbar psychischen Störungen an einen medizinischen Experten auf diesem Gebiet weiter verweist.

Noch ein Unterschied: Ein Psychiater ist verpflichtet, schwere Kapitaldelikte, von denen er erfährt, zur Anzeige zu bringen. Das ist ein Priester, der streng an das Beichtgeheimnis gebunden ist, nicht. Sie können mir glauben, dass ich schon in mancher Situation einen schweren Rucksack mit ins persönliche Gebet genommen habe und mich das in meinem geistlichen Leben sehr gefordert hat.

Was bedeutet Ihnen persönlich die Beichte?

Kirchner: Für mich gehört sie zum Kern meines Glaubens. Sie ist Kraftquelle und Bestärkung, als Christ meinen Glauben authentisch leben und meinen priesterlichen Weg gehen zu können. Das Sakrament der Versöhnung ist ein Geschenk von Gott, eine Hilfe auf dem Pilgerweg zu ihm.

Text – Domradiobeitrag vom 1. April/Das Interview führte Beatrice Tomasetti

Beichtgelegenheit besteht an den folgenden Tagen:

In St. Nikolaus:

Samstag, 8. April, 10 – 12 Uhr: Kaplan Wolkersdorfer

In St. Joseph:

Dienstag, 4. April, 19 – 20.30 Uhr: Kaplan Wolkersdorfer;

In St. Laurentius, Stadtmitte:
Samstag, 8. April, 10 – 12 Uhr: Pfarrer Bernards, Pfarrvikar Kirchner
Mittwoch, 5. April, 10 – 12 Uhr: Pfarrer Darscheid
Donnerstag, 6. April, 10 – 12 Uhr: Kaplan Wolkersdorfer
Samstag, 8. April, 10 – 12 Uhr: Pfarrer Darscheid, Pfarrvikar Kirchner
Samstag, 8. April 12 Uhr Kinderbeichte: Pfarrvikar Kirchner

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