Die Solidarität mit denen, die in der vergangenen Woche ihre gesamte Existenz verloren haben, ist groß. Viele Menschen helfen beim Aufräumen oder rufen große und kleine Hilfsaktionen ins Leben. Darunter auch Jugendliche aus Bergisch Gladbach.
Jan Burbach ist überwältigt. Damit hätte der 24-Jährige im Leben nicht gerechnet. Aber sein spontaner Aufruf über die sozialen Medien, im Treffpunkt von St. Nikolaus in Bensberg Sachspenden für die von der Unwetterkatastrophe betroffenen Menschen abzugeben oder mit Geldspenden Lebensmitteleinkäufe zu ermöglichen, verbreitet sich in Nullkommanichts wie ein Lauffeuer. Jedenfalls entwickelt sein Anliegen eine erstaunliche Eigendynamik weit über die Ortsgrenze hinaus. „Eine solche Resonanz hatte ich nicht erwartet“, gesteht der Pfadfinderleiter. Allein auf Facebook sind inzwischen fünfeinhalb tausend Follower registriert. Viele von ihnen wollen mitmachen oder sie loben die Initiative des Studenten. Auf einem Flyer, den er am Montagabend mal eben so nebenher entworfen hat, um eine höhere Reichweite zu erzielen, gibt er für mögliche Nachfragen seine Mobilnummer an. „Ein Fehler“, bereut er drei Tage später lachend. „Ich kann mich vor Anrufen kaum retten. Andauernd klingelt es. Die meisten wollen wissen, wie sie helfen können und was wir noch brauchen. Das Gute: Die Leute finden die Idee toll und sind froh, für die Opfer der Flut konkret etwas tun zu können.“
Jan studiert im siebten Semester an der TH Köln Rettungsingenieurwesen und gehört dem Vorstand der DPSG-Pfadfinder Stamm Ommerborn an. Dass ihn ein derart dramatischer Ernstfall noch während seiner Ausbildung einmal auf diese Weise fordern würde, hätte er nicht für möglich gehalten. Und es hat ihn geärgert, wie er berichtet, dass selbst fünf Tage nach der verheerenden Flutkatastrophe mit flächendeckenden Verwüstungen in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz noch keine Jugendgruppe aus seinem unmittelbaren Umfeld aktiv geworden ist oder aus diesen Reihen auch nur die kleinste Initiative gekommen ist.
Obwohl er mitten in den Vorbereitungen für eine wichtige Abschlussklausur steckt, findet er, dass man angesichts der verstörenden Bilder von verzweifelten und traumatisierten Menschen handeln muss und nicht einfach nur tatenlos zusehen kann. Oder warten sollte, bis jemand anderer Verantwortung übernimmt. Kurzerhand kommuniziert er im Netz, was er plant. Selbst ist der Mann, lautet seine Devise. Und schnell hat er befreundete Leiterkolleginnen und -kollegen auf seiner Seite. In der Gruppe ist man sich umgehend einig, dass schon zu diesem Wochenende ein Einsatz mit zwei Fahrzeugen und dem Notwendigsten im Gepäck realisiert werden kann. Nun packen alle mit an, entwickeln Ideen, wie der Plan logistisch umsetzbar ist und wer welchen Part dabei übernimmt.
Der gemeinsame Appell der Bensberger Pfadfinder setzt viel in Bewegung. An zwei aufeinander folgenden Abenden können in der Begegnungsstätte der Gemeinde Trinkwasser und haltbare Lebensmittel abgeliefert werden, darüber hinaus Stirn- oder Taschenlampen, Generatoren inclusive Kraftstoff, Pumpen und Schläuche, Schaufeln, Besen, Schrubber und Eimer, Campingkocher, Gasflaschen, Hygieneartikel aller Art, Gummistiefel, festes Schuhwerk und Arbeitshandschuhe. Eben alles, was die Flutopfer gerade am dringendsten benötigen und worum gezielt gebeten wird. Innerhalb kürzester Zeit stapeln sich dann hier in der Tat Trinkwasserpaletten, Berge von Toilettenpapier, Zahnbürsten, Shampoo oder praktisches Gerät, mit dem in den Krisengebieten, wo die Infrastruktur gänzlich zerstört wurde, beim Aufräumen geholfen werden soll.
Weit über 100 Menschen seien an den beiden Abenden in den Treffpunkt gekommen, ziehen die Pfadfinder sichtlich zufrieden Bilanz. „Für uns ist da mega zu sehen, dass die Leute so reagieren und unsere Aktion diese Kreise zieht“, stellt Marie Schwamborn begeistert fest. „Das übertrifft weit unsere Erwartungen. Allerdings musste auch unter uns Leitern niemand zweimal überlegen, ob er bei diesem Hilfstransport tatsächlich mithilft.“ Für alle sei selbstverständlich gewesen, sich bei diesem Projekt einspannen zu lassen. Manche hätten sogar eigens Urlaub dafür genommen, andere investierten nun ihre Ferientage.
Unterstützung im Team gäbe es außerdem von den Pfadis aus dem benachbarten Refrath. Sie wollen sich den Bensbergern anschließen. Auch dieses Signal hat nicht lange auf sich warten lassen. Zunächst einmal seien drei Einsatztage geplant, sagt Marie, dann sehe man weiter. „Wir wissen ja überhaupt nicht, was uns erwartet.“ Tatsache aber sei, dass sie nun mit diesen vielen Sachen viel mehr Menschen versorgen könnten als zunächst gedacht, freut sich die 21-Jährige, während sie die Würstchendosen zu den Gurkengläsern und das Toastbrot zu den Cornflakes-Paketen sortiert.
Und pausenlos kommt Nachschub. Es ist ein Kommen und Gehen. Evelyn Psoch kommt voll bepackt in den Treffpunkt und lädt ab, was sie in der eigenen Vorratskammer auf die Schnelle gefunden hat: vor allem Konserven, Nudeln, Reis, aber auch Praktisches wie Gummistiefel, Gartenschläuche, zwei Benzinkanister und ein Abschleppseil. „Und mein Trinkgeld, das ich gestern als Kellnerin bekommen habe, lege ich fürs Tanken noch obendrauf“, erklärt die Frankenforsterin. Sie und ihr Freund hätten über die WhatsApp-Gruppe der Karnevalsgesellschaft „Für uns Pänz“ von diesem Spendenaufruf erfahren, berichtet sie, und sofort Nützliches für den Transport in die Eifel zusammengestellt. Das Paar hat Arbeitskollegen, die von der Notlage besonders schlimm betroffen sind und ihr gesamtes Hab und Gut in den gewaltigen Schlammmassen verloren haben. „Schrecklich und unvorstellbar“ finden die beiden das. „Was ich habe, das gebe ich gerne ab“, sagt die Mittfünfzigerin daher und ruft den Pfadis zum Abschied ermunternd zu: „Ich drück Euch die Daumen, gute Fahrt und viel Erfolg!“
Sylvia Sprenger hat die Nachricht ebenfalls über WhatsApp bekommen und bringt gleich mehrere Flaschen Desinfektionsmittel und Eimer vorbei. Auch eine Barspende lässt sie den Jugendlichen da. Sie habe diesen Post gleich zehnmal über ganz unterschiedliche Kanäle erhalten und hatte ohnehin gerade überlegt, wie sie am sinnvollsten helfen könne, erzählt die 56-Jährige. „Ich bin selbst alte Pfadfinderin und finde super, dass die Bensberger Pfadis nun so ein Projekt innerhalb weniger Tage auf die Beine stellen.“ Damit spricht sie Michael Pfütze aus der Seele. Er komme gerade aus einem dm-Markt und habe Pampers, Milchpulver und Babynahrung eingekauft, erklärt der Heidkamper. „Wie gut, dass auch daran jemand denkt“, kommentiert Rebecca Loosen dankbar, die auf dem Posten des „Springers“ an diesem Abend überall dort zur Stelle ist, wo gerade jemand für die überraschend umfangreichen Warenanlieferungen gebraucht wird. Sie betont, dass auch die ortsansässigen Unternehmen alle mit im Boot seien. So stellt der Bensberger REWE-Markt Wintgens frisches Obst und Gemüse zur Verfügung, die Baumärkte OBI und „Bauhaus“ Werkzeug, Besen und Schaufeln und die Firma Holz Richter einen Kleintransporter. „Super, dass die uns alle unterstützen“, meint sie.
„Auch wenn wir gewohnt sind, unsere Ferienlager in der Regel für 100 Kinder und Jugendliche auszurichten, ist das ganz klar noch einmal eine andere Nummer“, erklärt Jan Burbach, während er den Generator für einen Testlauf anwirft und die bereitgestellten Benzinkanister zählt. Um möglichst schnell ans Ziel zu kommen, will er mit einem 15-köpfigen Team am nächsten Morgen in aller Herrgottsfrühe vom Bergischen in die Eifel starten. Erwartet würden sie zunächst in einem Nachbarschaftsort von Dernau, einem ehemals idyllischen Weindorf zwischen Bad Neuenahr und Ahrweiler, das von den Überschwemmungen völlig zerstört worden sei. In der Umgebung des betroffenen Gebiets habe sich eine Nachbarschaftshilfe gegründet, zu der es einen Kontakt gebe und die ihre Arbeitskraft ein paar Kilometer weiter anbieten wolle, berichtet Jan. Als Ortskundige wollen sie die Jugendlichen durch das teils unwegsame Gelände losten. „Ich hoffe, das hilft, die Straßensperren zu umgehen. Denn natürlich wäre es kontraproduktiv, wenn wir mit unseren Lebensmitteln irgendwo lange in einer Schlange warten müssten und sie nicht unmittelbar zu den Betroffenen bringen könnten. Schließlich bürgen wir dafür, dass unsere Hilfe ankommt.“
„Denn die Leute vertrauen uns ja – auch bei den Geldspenden – und wissen, dass diese bei uns gut aufgehoben sind“, bestätigt Claudia Bellin. „Da wir vor Ort auch warme Mahlzeiten zubereiten wollen, ist es wichtig, finanziellen Spielraum zu haben und davon das kaufen zu können, was noch fehlt.“ Große Kochtöpfe und Bräter, die regelmäßig bei den Pfingstlagern zum Einsatz kämen, gehörten ohnehin zum Equipment von Pfadfindern. Die gelernte Bankkauffrau hat die Aufgabe der Kassenwirtin übernommen und ist froh, bei diesem Einsatz mit dabei sein zu können. „Die Bilder der letzten Tage sind tragisch, schockierend und bewegend“, sagt sie. Das lasse einen nicht kalt. Gerade deshalb sei das, was sie nun planten, für alle aber auch eine völlig neue Herausforderung. „Im ersten Moment wusste ich nicht, wie ich da alleine etwas ausrichten kann. Nun bin ich dankbar, als Teil einer so großen Gruppe mit anpacken zu können.“ Und wenn etwas von den großzügigen Spenden übrig bleibe, argumentiert sie, werde das Geld an das nächste Helferteam weitergegeben. Auch überzählige Sachspenden, die gegebenenfalls nicht sofort an den Mann gebracht werden könnten, fänden allesamt eine sinnvolle Verwendung, versichert Orga-Chef Jan Burbach. „Nichts ist umsonst oder geht verloren.“ Alles komme eins zu eins bei denen an, die gerade keine Perspektive sähen und nicht wüssten, wie es für sie in den nächsten Tagen und Wochen weitergehe.
Text und Foto – Beatrice Tomasetti