Pastoralreferentin Gerlach spricht über die Bedeutung von Mahlgemeinschaft

Bis heute hat das Vorbild Jesu, sich mit Freunden zu Tisch zu setzen, in der Liturgie Bestand. Doch in anderen Kontexten verliert sich dieses Kulturgut, Gemeinschaft zu bilden, immer mehr. In einem Interview hält Theologin Violetta Gerlach dagegen.

Frau Gerlach, die Bibel ist voller Geschichten, wo es um Gastfreundschaft oder gemeinschaftliches Essen geht. Die bekannteste ist wohl die vom letzten Abendmahl. Jesus trifft sich mit den Jüngern, bevor er verraten wird und sein Leidensweg beginnt. Wie wichtig sind solche Rituale, gemeinsam um einen Tisch zu sitzen? Da geht es ja um mehr als nur die Nahrungsaufnahme…

Violetta Gerlach: Ich stelle immer wieder fest, dass das, was für mich und meine Familie selbstverständlich ist, nämlich zumindest einmal am Tag gemeinsam an den Tisch zu kommen, ein Tischgebet zu sprechen und gemeinsam zu essen, für andere nicht unbedingt so ist. Das hat auch mit Prioritätensetzung zu tun: Dass manche Familien das gar nicht mehr als wichtig erachten oder auch gar nicht mehr können. Als ich noch in Leverkusen tätig war, haben mir Grundschullehrerinnen einmal berichtet, dass Familien es oft nicht mehr hinbekommen, ein gemeinschaftliches Mahl zuzubereiten und dabei die ganze Familie zu versammeln. Manche Eltern seien auch nicht in der Lage, morgens ein Butterbrot für ihre Kinder zu schmieren. Da spielen Suchterkrankungen genauso eine Rolle wie soziale Nöte oder die fehlende Organisation des Alltags. Deshalb versuche ich das auch verstärkt in der Erstkommunionvorbereitung aufzugreifen, indem ich die Kinder frage: Kennt Ihr das, gemeinsam zu essen? Wie ist das denn? Was ist das Besondere daran, mit mehreren um einen Tisch zu sitzen?

Mit Blick auf den Gründonnerstag fällt mir immer wieder auf: Auch wenn die Israeliten es eilig hatten, feierten sie dennoch das Pessachfest, das auch Jesus mit seinen Jüngern beging. Sie nehmen sich die Zeit dafür, weil ihnen diese Zeit des gemeinsamen Essens kostbar ist und sie nicht nach dem Motto handeln: Pack die Picknickdose ein, wir haben noch einen langen Weg vor uns. Nein, wir essen noch gemeinsam, sagen sie. Gürtet euch! Macht Euch bereit und esst hastig! Schon für sie steht die soziale Komponente im Vordergrund: Keiner isst für sich alleine, sondern man kommt in Gemeinschaft zusammen und nimmt das Essen nicht beliebig ein – jeder für sich und egal wo. Schließlich ist unser Abendmahl, unsere Eucharistiefeier ja auch nicht beliebig, sondern ritualisiert mit einem festen Ablauf.

Gerade in unserem Glauben spielen Rituale ja eine ganz wesentliche Rolle…

Gerlach: Wir Menschen brauchen diese Rituale auch. Ich glaube, dass Kinder, die das gemeinsame Essen zu Hause nicht erleben, in so etwas auch nicht eingeübt sind, geschweige dass sie es weitergeben könnten. Vermutlich hat das die heutige Elterngeneration kleiner Kinder häufig auch selbst nicht mehr so konsequent erlebt, schöpft also nicht aus der Erfahrung. Und Kinder haben ja sensible Antennen dafür, was ihren Eltern wichtig ist. Wenn sie etwas aber als nicht bedeutsam erleben, ein Ritual nicht gepflegt wird, gehört es auch nicht zu ihrem Erfahrungshorizont.

Nicht von ungefähr konnte sich „fast food“, das schnelle Essen mal eben zwischendurch, so erfolgreich etablieren, weil es zunehmend unserem schnelllebigen Alltag mit seinen beschleunigten Prozessen geschuldet ist. Damit einher geht eine gewisse – ich nenne das mal – Entsozialisierung: eine gesellschaftliche Vereinzelung mit einer wachsenden Zunahme an Single-Haushalten. Da wird es erst recht schwierig, das gemeinsame Essen zu ritualisieren, weil im Alltag niemand mit am Tisch sitzt. Im besten Fall mag es eine Sehnsucht danach geben, die man aber als alleinlebender Mensch nicht füllen kann – nur wenn man rausgeht und Freunde trifft, um mit Menschen in Kontakt zu kommen und vielleicht dann gemeinsam zu speisen. Und bemerkenswerterweise sind unsere Cafés ja meistens gut besucht.

Wie können Sie in der Erstkommunionvorbereitung, in der es ja gerade um Gemeinschaft und gemeinsames Mahl geht, Acht- und Neun-Jährigen vermitteln, die eben genau dieses Vorbild zuhause möglicherweise nicht haben, dass es sich bei Communio gleichzeitig um den Kern unseres Glaubens handelt?

Gerlach: Ein Lied wie „Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind“, das auf die gleichnamige Bibelstelle zurückgeht, macht anschaulich, dass uns Jesus damit beauftragt hat, Mahl zu halten mit der Aufforderung „Tut dies zu meinem Gedächtnis“. Wir sollen uns immer wieder daran erinnern, dass wir uns zum Abendmahl versammeln. Gleichzeitig heißt das aber auch, dass keiner für sich allein diesen Auftrag erfüllen muss, sondern eben „wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind“. Er selbst hat uns das vorgelebt, indem er in viele soziale „Settings“ gegangen ist und sich mit anderen an einen Tisch gesetzt hat. Und davon erzähle ich den Kindern. Immer hat er die Gemeinschaft – auch beim Essen – gesucht, und dabei haben sich viele Dinge ergeben. Wir sind nun mal soziale Wesen und auf ein Gegenüber angewiesen. Wir brauchen das, nicht nur um wachsen und gedeihen zu können – wie Babys – sondern ganz grundsätzlich, um uns entwickeln zu können.

Wo ich keine Korrektur oder Bestärkung habe, verbleibe ich in einer Art Kapsel, die jede Entwicklungsmöglichkeit hemmt. Von daher gehört das Soziale – die Erfahrung von Gemeinschaft – ganz wesentlich für uns dazu. Und für Jesus war Gemeinschaft – bis auf die Momente, in denen er sich zurückgezogen hat – in den unterschiedlichsten Kontexten immer ganz wichtig. Gemeinschaftliches Essen war, wenn ich da an die Berufungsszene der Jünger denke, als sie die zuvor gefangenen Fische miteinander essen oder an die wunderbare Brotvermehrung, wo 5000 Menschen fünf Brote und zwei Fische miteinander teilen, oft der Höhepunkt in diesen Geschichten. Natürlich geht es auch um Nahrungsaufnahme – vordergründig haben die Menschen Hunger – aber der Aspekt der Begegnung und des Gemeinschaftlichen steht doch ganz klar im Zentrum.

Zu den Alpha-Kursen, wie sie in Bensberg stattgefunden haben und in denen Menschen sich über ihren Glauben austauschen, gehört nicht umsonst als fester Bestandteil, den Abend mit einem gemeinsamen Essen an einer festlich gedeckten Tafel zu beginnen. Wo Menschen zusammen an einem Tisch sitzen, das Prinzip der Gastfreundschaft gepflegt wird, entsteht gleich eine ganz andere Atmosphäre des Miteinanders. Können Sie diese Erfahrung teilen?

Gerlach: Bei den Alpha-Kursen habe ich in der Tat immer eine freudige Stimmung erlebt. Ein Team, das von Woche zu Woche wechselte, hatte die Verantwortung in der Küche und kochte für alle. Aber im Verlauf des Kurses änderte sich das und die Kursteilnehmer brachten etwas von zuhause mit und leisteten so einen Beitrag zu einem gemeinschaftlichen Büffet. Das Besondere dabei war, sich an einen gedeckten Tisch setzen zu können – was sichtlich wertgeschätzt wurde – um dann mit den Tischnachbarn über Gott und die Welt ins Gespräch zu kommen. Ohne Zeitnot, ohne Betriebsamkeit, ohne Verpflichtung oder dienstlichen Kontext. Als Gast willkommen zu sein oder auch jemanden zu bewirten schafft eine gute Voraussetzung, um sich zu begegnen.

Letztlich geht dem eine jahrtausendealte Tradition voraus. Früher haben die Menschen sich um ein Lagerfeuer versammelt und auf diese Weise ihre Geschichten tradiert, bevor sie aufgeschrieben wurden. Und bis heute zieht dieses Archaische daran Jugendliche magisch an, wenn sie bei ihren Pfadfinderlagern am Abend ein Feuer machen und sich automatisch im Kreis um die brennende Flamme setzen. Überhaupt geht dieses um einen Tisch oder einen Mittelpunkt Sitzen weit zurück in unserer Menschheitsgeschichte. Und als Christen glauben wir ja ohnehin, dass Jesus Christus dann das Zentrum ist und mitten unter uns.

Wenn ich an die Bibelerzählung von Maria und Martha denke, dann steckt von beiden etwas in jedem von uns. Und bei den Alpha-Kursen kommen auch beide Typen zum Tragen: der Schaffende und Sorgende und der, der ruhig und aufmerksam zuhört, ganz konzentriert beim Wesentlichen ist. In solchen Runden entstehen dann auch intensive Gespräche, die mich angesichts ihrer Tiefe oft überwältigt haben. Ich glaube einfach, dass dieses Gemeinsam-Mahl-Halten Menschenseelen öffnet.

Seit einiger Zeit – auch im Zuge der Erstkommunionvorbereitung – laden Sie Familien, aber eigentlich die ganze Gemeinde nach dem Sonntagsgottesdienst zum Brunch in den Gemeindesaal ein. Welche Erfahrungen machen Sie damit?

Gerlach: Dieser Brunch hat sich nach und nach entwickelt. Denn ich gehe fest davon aus, dass eben auch das Moment des gemeinschaftlichen Speisens eine entscheidende Rolle spielt. Mir war von Anfang an in der Erstkommunionvorbereitung wichtig, dass wir nicht nur über gemeinsames Essen und Gemeinschaft sprechen, sondern das auch konkret erleben – sogar in kleinen Snackpausen. Dann stehen wir wirklich um einen kleinen Servierwagen herum, und jeder darf sich bedienen. Ich beobachte, dass die Kinder das mit großer Freude machen und kaum einer auf seinem Stühlchen für sich sitzen bleibt. Bei diesem Brunch geht es darum, dass alle miteinander in Kontakt kommen. Schließlich gehören zur Kommunionvorbereitung nicht nur die Kinder, sondern auch ihre Familien. 

Geradezu faszinierend finde ich, dass sich inzwischen auch andere Gemeindemitglieder – und nicht nur die Familien der Kommunionkinder – dazu einladen lassen und sich nachher bedanken, weil sie diese Gastfreundschaft genießen. Ich bin mir zwar unsicher, ob für manche nicht immer noch die Hürde zu groß ist, nach der Sonntagsmesse in den Pfarrsaal zu kommen, um dort miteinander zu essen – auch weil sie Zweifel haben, ob sie überhaupt dazu gehören. Aber die, die mutig sind und kommen, erleben das als Bereicherung. Der Brunch ist dann wie ein „Topping“: Nach der Familienmesse und Eucharistiefeier, in der wir den Leib Christi empfangen haben, kommen dieses Gemeinschaft-Erleben und Gemeinschaftlich-Essen noch „on top“. Denn wir versammeln uns im Anschluss an den Gottesdienst noch einmal mit den Menschen, mit denen wir unseren Glauben teilen – und diesmal, um auf ganz alltägliche Weise miteinander Mahl zu halten.

Das Interview führte Beatrice Tomasetti