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Mitten im Leben der Menschen ansprechbar sein

Ein Interview mit Pfarrer Andreas Süß

Auf den Tag vor drei Jahren ist Pfarrer Andreas Süß aus der Berufungspastoral des Erzbistums mit Sitz im Kölner Priesterseminar nach Bensberg in die Gemeindearbeit gewechselt. Seitdem verbinden sich am Ort mit seinem Namen Schlagworte wie „Offene Kirche“, „Blaues Sofa“, „Willkommenskultur“, die neue „Frag den Pfarrer!“-Homepage und jüngst auch das Angebot von „Alpha-Kursen“. Im nachfolgenden Gespräch äußert er sich über diesen Perspektivwechsel und darüber, wie er seinen pastoralen Auftrag versteht.

Neue Wege in der Pastoral zu gehen – das ist spürbar Ihr Anliegen. Wie schauen Sie nach drei Jahren auf Ihre Gemeinden St. Nikolaus und St. Joseph?

Andreas Süß: In der gesamtgesellschaftlichen Entwicklung haben wir es mit einem Kulturwandel zu tun, der einen neuen Blick erfordert. In unseren Kitas, den Schulen, Jugendgruppen, in der Kommunion- und Firmvorbereitung haben wir eine sehr gute religionspädagogische Formung von Kindern und Jugendlichen und überhaupt ein großes Engagement seitens der Gemeinde, die die bestehenden Angebote mit trägt. Und dennoch stellt sich die Frage nach der Identität: Sind wir eine Gemeinde, die sich als Trägerin der Frohen Botschaft sieht? Nehmen wir den Sendungsauftrag Jesu als Getaufte und Gefirmte wahr, und bringen wir andere mit dieser Botschaft in Kontakt? Teilen wir unseren Glauben? Erzählen wir von unseren Gemeinschaftserlebnissen?
In unserer Pfarreiengemeinschaft ist viel Gutes grundgelegt. Trotzdem ist noch Luft nach oben. Deshalb müssen wir immer wieder auch neue Akzente setzen, auf die Menschen zugehen, wenn sie nicht mehr zu uns kommen. Kontaktstark und mit großer Herzlichkeit müssen wir auch die Kirchenfernen einladen. Als Mitbegründer von Nightfever stand ich viele Jahre mit auf der Domplatte, um Passanten in die Kirche einzuladen. Es ist mir also nicht fremd, hier das Eis zu brechen. Unsere Gemeindebefragung hat ergeben, dass sich ein Großteil von der Kirche Seelsorge und eine Glaubensvertiefung erhofft. Aber wir müssen eben auch die 90 Prozent in den Blick nehmen, die nicht zu uns kommen, die nichts von uns wissen oder denen wir egal sind. Auf diese Gemengelage aus Kirchentreuen, die Tröstung und Stärkung bei uns suchen, und denen, die sich bislang noch gar nicht auf die Suche gemacht haben, reagieren wir mit unseren Angeboten. Willkommenskultur impliziert auch den offenen vorurteilsfreien Blick auf andere. So ist das „Blaue Sofa“ auch nicht „Speaker’s corner“. Hier verkündige ich nichts. Trotzdem bin ich sichtbar in der Stadt und ansprechbar mitten im Leben der Menschen.

Apropos Angebote: Gemeinsam essen, einen Film sehen und darüber miteinander ins Gespräch kommen – das sind die drei Elemente eines Alpha-Kurses, der im Bensberger Treffpunkt gerade einmal seit zwei Wochen läuft. Das Prinzip kommt Ihrem Verständnis von Gemeindeaufbau und Gemeindeverlebendigung sehr nahe. Bei Alpha steht die vorurteilsfreie Begegnung im Vordergrund, bei der es niederschwellig um Lebens- und Glaubensfragen geht. In unserer Pfarreiengemeinschaft stößt diese Idee auf überraschend große Resonanz…

Süß: Als ich vor zwei Jahren in London an einer Konferenz für Neuevangelisierung teilgenommen habe, stellte dort der anglikanische Pfarrer Nicky Gumble einen solchen Alpha-Kurs vor, den es bereits seit den 1970er Jahren überall auf der Welt gibt. Es geht um die Grundlagen des christlichen Glaubens und darum, ohne Vorkenntnisse und auch überkonfessionell über den Sinn des Lebens und den eigenen Glauben nachzudenken und darüber mit anderen ins Gespräch zu kommen. Denn jeder hat Fragen. Ein Alpha-Kurs ist der Ort, um diese Fragen zu stellen und auch Antworten zu finden. Es ist eine mögliche Form der Erwachsenenkatechese, wie sie in unseren Gemeinden schon lange gute Tradition ist. Wenn man so will, beginnt in einem Alpha-Kurs das große Abenteuer, dem eigenen Glauben auf die Spur zu kommen.

Sie haben in Bensberg nun zu zehn Abenden in Folge eingeladen. Wie gestaltet sich ein solches Treffen?

Süß: Der Abend gliedert sich in drei Teile: Zunächst trifft man sich zu einem gemeinsamen Essen; ein ganz wesentlicher Punkt. Denn das schafft eine gastfreundliche Atmosphäre und eine Willkommenskultur, wie ich sie auch vor wenigen Wochen bei einer Lernreise nach Kanada in der Gemeinde St. Benedict in Halifax kennengelernt habe, wo ich das Thema „Alpha-Kurs“ noch einmal vertiefen konnte. Es ist bereits entscheidend, wie man begrüßt wird. Eine entspannte, freundliche Aufnahme wirkt gleich sehr einladend und gibt jedem ein gutes Gefühl. Man lernt dann unkompliziert am Tisch neue Leute kennen und tauscht sich aus. Der zweite Teil besteht aus einem Filmvortrag zum christlichen Glauben. Hier geht es um Input und darum, Christsein zu verstehen. Im letzten Drittel des Abends findet schließlich unter Anleitung ein Gespräch in Kleingruppen statt. Und zwar auf Augenhöhe. Niemand wird beurteilt nach dem, was er an Fragen mitbringt. Vielmehr sollen im ungezwungenen Austausch miteinander Gedanken und Zweifel geteilt werden. Natürlich braucht das eine gewisse Offenheit, die allerdings im geschützten Raum stattfindet. Es geht darum, Jesus Christus kennenzulernen und eine Beziehung zu ihm aufzubauen.

Glaubenskurse gibt es in vielen Gemeinden. Was ist neu an diesem Alpha-Kurs?

Süß: Es geht um eine vorurteilsfreie Begegnung in Gemeinschaft. Theologisches Vorwissen ist nicht notwendig. Das Beste, was man als Gastgeber eines Alpha-Kurses machen kann, ist, die Gäste am eigenen Leben teilhaben zu lassen und zuzuhören. Es geht um Wertschätzung und Respekt; später können aus diesem Miteinander Freundschaften erwachsen. Doch alles beginnt mit dieser Tischgemeinschaft. Ich war selbst erstaunt, als zum ersten Abend gleich 50 Interessenten kamen, zum Teil aus anderen Gemeinden und von weit her. Auch beim zweiten Mal waren es wieder so viele. Und alle zeigten sich von der Idee, den Abend mit einem gemeinsamen Mahl zu beginnen, zu dem jemand im Hintergrund leise Klavier spielt, ganz angetan. Schließlich lädt man Freunde ja auch meistens zum Essen ein, sorgt für eine behagliche Atmosphäre und ist um deren Wohlbefinden besorgt. Auf einer solchen Grundlage lässt sich ganz anders miteinander in Kontakt kommen: wenn der Tisch mit Blumenschmuck und Kerzen gedeckt ist und jemand die Gäste bedient, indem er herumgeht und den Wein einschenkt. Das mache ich im Übrigen auch bei jedem ersten Elternabend zur Vorbereitung der Erstkommunion oder Firmung so. Man findet gleich einen ganz anderen Einstieg miteinander und sorgt bei den Besuchern ganz nebenbei für einen Überraschungseffekt.

Welche Menschen kommen denn zu diesem Alpha-Kurs?

Süß: Alle Generationen. Das ist ja das Spannende. Wir haben Paare, die soeben geheiratet haben und an Gemeinde andocken wollen, weil sie hinzugezogen sind und niemanden kennen. Aber auch junge Eltern, die ihren Säugling mitbringen. Es kommen Menschen, die immer schon in den Pfarrgremien aktiv waren, demnach also eher zu den Insidern zu rechnen sind. Oder auch ältere alleinstehende Menschen, die neugierig geworden sind und noch einmal die Notwendigkeit für sich entdecken, ihren Glauben ins Wort zu bringen oder neu zu hinterfragen. Für alle diese unterschiedlichen Sehnsüchte bieten wir in St. Nikolaus einen Gesprächsort.

Trotzdem werden diese Abende doch auch eine Struktur haben…

Süß: Ja, es gibt vorgegebene Themen und Fragestellungen. Zum Beispiel: Wer ist Jesus? Was kann mir Gewissheit im Glauben geben? Wie kann man die Bibel lesen? Oder: Wie führt uns Gott? Und: Heilt Gott auch heute noch? Jeweils angeregt von einem Film, den wir zeigen, entwickelt sich dann in den Kleingruppen eine Eigendynamik – allerdings mit Gesprächsführung. Und dann ist wunderbar zu erleben, dass dieser Kurs die Menschen mitnimmt auf eine Reise zum Sinn des Lebens. Dabei wird deutlich, dass Christsein heute noch genauso aktuell und relevant ist wie vor 2000 Jahren.

Sie sind dafür bekannt, schon mal mit unkonventionelleren Methoden Zugangswege zu Glaube und Kirche zu eröffnen. Welche Hoffnung verknüpfen Sie mit dem Angebot von Alpha-Kursen in Ihrer Gemeinde?

Süß: Mein Kernanliegen ist, die Menschen in eine Freundschaft mit Jesus Christus zu führen. Das halte ich für zentral. Und um das zu erreichen, braucht es wiederum Menschen, die selbst eine solche Erfahrung schon gemacht haben und mit Freude davon berichten. Aber genau daran hakt es: an der Vermittlung. Dass der eine dem anderen mitteilt, was er mit Gott erlebt hat, was ihm an seinem Glauben wichtig ist. Dabei ist eine Grundvoraussetzung für nachfolgende Schritte, erst einmal selbst eine Beziehung zu Jesus Christus zu bekommen, um dann andere davon begeistern zu können.

Ist das Ihr Traum von Kirche?

Süß: Die Kirche der Zukunft wird sicher eine andere sein als die heutige. Und man wird auch nur noch in der Kirche sein, wenn man hier etwas erfährt, was anders ist. Für mich heißt das, die Einladung Kardinal Woelkis, sich auf einen Pastoralen Zukunftsweg zu begeben, anzunehmen und sie nach meinen Möglichkeiten inhaltlich zu gestalten. Denn ich wünsche mir, dass unsere Gemeinden ein Ort sind, an dem erfahrbar wird: Hier begegne ich Menschen, die mich in meinem Leben und in meinem Glauben tragen, mit denen ich Leben und Glauben teile. Wenn das unser Auftrag ist – und davon bin ich zutiefst überzeugt – dann sollten wir ihn auch leben. Gemeinde will daran erinnern, dass wir uns nicht selbst genügen und nur Vergangenes bewahren, sondern unsere Sendung ernst nehmen und unsere Familien, Freunde, Nachbarn und Arbeitskollegen mit der Frohen Botschaft in Berührung bringen – und das mit neuen Ideen. Es ist das Wort Jesu, das mich antreibt: „Darum geht und macht alle Völker zu meinen Jüngern.“ Meines Erachtens haben wir genau das in den letzten Jahrzehnten versäumt: Menschen zu Jüngern zu machen, sie in die Nachfolge Jesu zu rufen.

Was heißt das konkret?

Süß: Viele Menschen erleben Kirche ausschließlich als Dienstleistungsbetrieb. Jüngerschaft aber meint, sich selbst in den Dienst nehmen zu lassen. Also die Seiten zu wechseln. Und das ist eine Haltungsfrage. In letzter Konsequenz bedeutet das, dass es nach einem Alpha-Kurs erst richtig los geht und wir dann weiterführende, spezialisiertere Angebote machen müssen: beispielsweise mit der Bildung von sogenannten Alpha-Teams, die auf den Erfahrungen eines Alpha-Kurses aufbauen. So verstanden träume ich von einer Gemeinde, die sich als eine Art Leuchtturm für pastorale Entwicklung versteht. Von ihr sollte die menschenfreundliche Liebe Gottes ausstrahlen – mit möglichst vielen Mitstreitern, die sich am Gemeindeaufbau beteiligen, indem sie einzelne Dienste und Aufgaben übernehmen.

Das Interview führte Beatrice Tomasetti

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