Gefütterte Schuhe, dicke Jacke, Schal und Handschuhe – für den Gottesdienstbesuch müssen sich Gläubige gerade ziemlich warm anziehen. Denn in den Kirchen ist es kalt geworden. Die Pfarreiengemeinschaft hat sich etwas Originelles einfallen lassen und setzt auf den Kuschelfaktor.
„Da muss man sich schon warme Gedanken machen, will man bei einer langen Predigt nicht zum Eiszapfen werden.“ Die elegante Endsiebzigerin mit Angoramütze, Daunenjacke und Pelzkapuze nimmt dankbar die knallrote Decke entgegen, die ihr Dagmar Eichholz, Mitglied im Pfarrgemeinderat, anbietet. Sie habe sich ja schon extra warm eingepackt, den dicksten Mantel angezogen, den sie besitze, aber ein zusätzlicher Wärmespender über Schoß und Beinen wäre dennoch eine prima Sache. Auch die beiden Banknachbarinnen Erika Meurer-Leske und Alice Pohlmann, die eine 70 die andere 68, freuen sich über die Gratis-Decke, die sie im Anschluss an den Gottesdienst mit nach Hause nehmen können, um sie beim nächsten Kirchbesuch wieder mitzubringen. Das sei grundsätzlich eine sympathische Aktion, finden sie. Aber es bleibe doch trotz dieser netten Geste ziemlich kalt. Zu kalt. Darin sind sich die beiden einig. Schließlich täuschten auch diese Plaids nicht darüber hinweg, dass es im Moment alles andere als behaglich in der Kirche sei. „Ob ich am nächsten Sonntag wiederkomme, muss ich mir noch überlegen. Ich habe schlichtweg Angst, mich bei diesen eisigen Temperaturen zu erkälten“, meint Meurer-Leske, die immer schon eine Viertelstunde vor Gottesdienstbeginn auf ihrem Stammplatz in der sechsten Reihe sitzt. „Gegen Frieren – ehrlich gesagt – hilft auch eine solche Decke nicht viel.“
Gisela Soiron bringt sich seit Wochen bereits ein eigenes Sitzkissen mit. „Ich bin empfindlich“, gesteht die 85-Jährige, während sie ihren Rollator an einer der vorderen Säulen von St. Nikolaus parkt, wo früher sonst immer wohlige Wärme aus dem Fußbodengitter strömte und sich ältere Menschen daher bevorzugt aufhielten. „Da bin ich jetzt lieber mal vorsichtig“, erklärt sie. „Aber mit zusätzlichem Kissen und Decke müsste es eigentlich gehen.“ Schließlich sei ihr der Besuch der Sonntagsmesse mit dem Kontakt zur Gemeinde wichtig. Ähnlich sieht es Rosemarie Sörgel, 86. „Wenn erst einmal von unten die Kälte hoch kriecht, kann man sich schnell etwas holen. Da müssen wir in unserem Alter schon aufpassen“, betont die Seniorin für ihre etwa gleichaltrige Begleiterin gleich mit. „Aber auf die Messe verzichten wollen wir eben auch nicht. Das gehört zum Sonntag doch dazu – erst recht im Advent.“ Mit der Decke sei es daher gleich viel angenehmer. „Außerdem ist das originell.“
Dass die Sorge vor einer Verkühlung in Grippezeiten nicht unbedingt eine Frage des Alters ist, zeigt Tanja Tekbas, die sich selbst als „Frostbeule“ bezeichnet, da sie ziemlich schnell friere, wie sie zugibt. Gut in die Decke eingewickelt, spüre sie jedoch eine deutliche Verbesserung, resümiert sie zufrieden nach dem ersten Versuch. „Das macht was aus. Mir war sofort viel wärmen, aber auch weil ich gleich zwei Decken hatte“, lacht die 24-Jährige mit Blick auf ihren Freund Marcel Klasen, der ihr seine Decke noch zusätzlich um die Schulter gelegt hat. „Mir ist warm für zwei“, erklärt dieser scherzhaft. „Daher kann ich gut teilen. Wir kommen jeden Sonntag, haben die ungewohnte Raumtemperatur aber einfach unterschätzt und müssen uns erst einmal akklimatisieren.“ Klasen betrachtet die ganze Aktion mehr als gelungenen Gag.
Insgesamt 600 Decken sind für die Pfarreiengemeinschaft Bensberg/Moitzfeld geordert worden, die seit dem ersten Advent vor jeder Messe in St. Nikolaus und St. Joseph verteilt werden, damit das verantwortungsbewusste Temperieren der Gebäude von der Gemeinde mitgetragen werden kann. Die meisten Besucher muss das Willkommensteam am Eingang nicht lange überreden. Die wenigsten lehnen ab, zeigen sich eher amüsiert, aber nehmen das kleine eingerollte rote Päckchen an. Und so sieht man über den ganzen Raum verstreut viele leuchtend rote Punkte. Einen fröhlichen Anblick bieten diese charmanten Hingucker, die obendrein irgendwie gut in den Advent passen und für viel Heiterkeit sorgen, allemal.
Die Idee geht auf Pfarrverweser Norbert Hörter zurück, der bereits in der Pandemie 2020 in seiner Gladbacher Innenstadtpfarrei St. Laurentius zu Weihnachten an die Gläubigen Decken verteilen ließ, da auch schon im Corona-Jahr die Kirchen während der Gottesdienste – allerdings damals wegen der gefährlichen Aerosole und der damit verbundenen Infektionsgefahr – nicht geheizt werden sollten. Als nützlich erwiesen sich die Decken zudem auch bei den Messfeiern im Freien und anderen Gottesdienstformaten wie „Mit der Krippe unterwegs“, die an den unterschiedlichsten Orten im Veedel stattfanden, so dass Hörter eine solche „Decken-Aktion“ bereits im Spätsommer auch für St. Nikolaus und St. Joseph anregte.
In den Bensberg-Moitzfelder Pfarrkirchen ist die Heizung – so haben es die Gremien in Abstimmung mit ihm vor ein paar Wochen entschieden – an diesem Sonntag auf 8 Grad eingestellt. „Doch gefühlt kommt es dem Gefrierpunkt nahe“, stellt ein Mittfünfziger später auf dem Kirchplatz fest, wo das Thema „kalte Kirche“ lebhaft diskutiert wird. Natürlich wolle man sich solidarisch erklären und der Empfehlung des Bistums folgen, Heizkosten wo immer möglich in den Kirch- und Pfarrgebäuden zu sparen, heißt es in kleiner Runde. Andererseits sind aber auch Stimmen vernehmbar, die mehr hinter vorgehaltener Hand argumentieren: Jetzt werden mit solchen Maßnahmen auch noch die letzten Treuen aus der Kirche vertrieben.
Tatsache ist, bundesweit beteiligen sich alle Bistümer an den von der Bischofskonferenz angeregten Energiesparmaßnahmen und kommen damit ihrer Vorbildfunktion nach. Für die Gläubigen bedeutet das: Sie müssen sich auf deutlich kältere Kirchen einstellen und die Zähne zusammenbeißen. Denn Experten haben hochgerechnet, schon die Absenkung von nur einem Grad führt zu einer sinnvollen Ersparnis von Heizkosten. Ein schlagkräftiges Argument. Und das der Solidarität sowieso.
Bereits im September hatte das Generalvikariat mit seinen Fachabteilungen „Schöpfungsverantwortung“ und „Bau im Seelsorgebereich“ gemeinsam mit dem diözesanübergreifenden Netzwerk „Energie & Kirche“ ein Schreiben sowie eine Informationssammlung zum Thema Energiesparen in Kirchen und gemeindlichen Gebäuden erarbeitet, um Kirchengemeinden in Zeiten der Energiekrise zu unterstützen. Denn von Kirchen über Pfarrzentren bis hin zu Verwaltungsgebäuden besitzen Kirchengemeinden zahlreiche Gebäude und haben ein entsprechend hohes Energieeinsparpotential.
Das Erzbistum Köln hatte die Kirchengemeinden eingeladen, sich mit der Anwendung der Empfehlungen an den bundesweiten Energiesparmaßahmen zu beteiligen und gleichzeitig einen großen Schritt hin zum langfristig schöpfungsfreundlichen Handeln vor Ort zu gehen. Gesparte Gelder, so teilten die Verantwortlichen mit, könnten – im Sinne des caritativen Handelns – an Menschen ausgezahlt werden, die durch die steigenden Kosten in finanzielle Notlagen geraten.
Der Kreis vor der Kirche ist sich nach einigem Pro und Contra auch einig: Das sei Jammern auf hohem Niveau. Eine Stunde am Sonntag mal in einem kaum beheizten Raum auszuharren sei absolut zumutbar und nichts im Vergleich zu dem, was die Menschen gerade in der Ukraine erleiden würden, die seit Wochen in den Ruinen ihrer Häuser ohne Strom, Wasser und Heizung lebten und unter solchen Bedingungen noch einen langen Winter vor sich hätten.
Text und Foto – Beatrice Tomasetti