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„Meine Freiräume sind ein Privileg“

Am Mittwoch begeht Pfarrer i.R. Heinz-Peter Janßen sein 50-jähriges Priesterjubiläum mit einer heiligen Messe in St. Nikolaus. Bis zu seinem Abschied 2015 hat er über 32 Jahre als Pfarrer in Bensberg und Moitzfeld gewirkt. Im Interview blickt er zurück auf sein berufliches Leben, kommentiert aktuelle Entwicklungen in den Gemeinden und äußert sich zur Zukunftsfähigkeit der katholischen Kirche.

Herr Pfarrer Janßen, zunächst einmal herzlichen Glückwunsch zu Ihrem Goldenen Priesterjubiläum! Was für ein Gefühl ist es, in diesen Zeiten des kirchlichen Wandels auf 50 Jahre Priestersein zurückzuschauen?

Ich habe wahnsinniges Glück gehabt! Vor 50 Jahren herrschte eine weit verbreitete Aufbruchsstimmung, mit der auch große Hoffnungen verbunden waren. Und jetzt sind wir wieder in einer ähnlichen Situation… Die Kirche war damals in einem Wandel begriffen, den ich als eine Art Revolution erlebt habe. Wir waren gefordert, das einzuholen, was durch das Zweite Vaticanum festgelegt worden war. Es ging um ein völlig neues Kirchenbild: Bis dato galt die Dogmatik als festgeschrieben für alle Zeit – und dann wurde mit einem Mal von der Bibel ausgehend gedacht. Die Theologie wurde quasi neu geschrieben.

Inwiefern?

Etwa in Bezug auf die Rolle des Priesters: Während er bis zum Zweiten Vaticanum die Messe für die Gemeinde zelebrierte, also der Priester der einzig gültig Handelnde war, feierte danach die Gemeinde unter dem Vorsitz des Priesters. Das Subjekt veränderte sich. Natürlich hat es später auch wieder restaurative Tendenzen gegeben: etwa unter Johannes Paul II. und Kardinal Meisner. Und auch gerade erleben wir wieder ein „Rollback“ des Klerikalismus. Paradoxerweise machen gerade viele der jüngeren Priester Front gegen die Synodalität. Dabei glaubten wir, gerade diesen Klerikalismus überwunden zu haben. Trotzdem war es in den Gemeinden möglich, viel vom Geist des Zweiten Vaticanums umzusetzen. Da hat keiner reingeredet. Ja, rückblickend habe ich wirklich großes Glück gehabt. Aber ich fühle mich auch erleichtert, heute nicht mehr in der Not der Verantwortung zu stehen.

Was empfinden Sie, wenn Sie dieses Fest ausgerechnet in Bensberg zu feiern, wo Sie Jahrzehnte Ihres Lebens verbracht haben und wesentliche pastorale Weichen gestellt haben?

Bensberg ist eine Heimat für mich. Deshalb war es mir ein Anliegen, dort auch mein Priesterjubiläum zu feiern. Es ist ein Ort, an dem das Thema „Erntedank“ für mich sichtbar wird. Einmal durch den Ort selbst – die Kirche St. Nikolaus – weil ich bei der Ausgestaltung in den 1980er Jahren an dem einen oder anderen Schräubchen mitgedreht habe. Und dann sind es natürlich die Menschen dort. Eine Gemeinde entsteht ja nicht im luftleeren Raum, sondern durch Beziehungen. Also „ernte“ ich im übertragenen Sinn die Früchte meiner Priestertätigkeit, was nicht mein Verdienst ist, sondern erst durch den Geist Gottes möglich wurde. Wenn ich an mancher Stelle Katalysator sein durfte, ist das für mich ein Grund zur Dankbarkeit.

Der Pastor, der die Menschen am Ort kennt, ein offenes Ohr für sie hat, mit ihnen Freud und Leid teilt und sie in den Gottesdiensten antrifft, vielleicht im Anschluss an der Kirchentür sogar noch etwas Zeit für eine persönliche Begrüßung hat, ist ein Auslaufmodell. Schmerzt Sie das?

Priesterlicher Dienst ist nach dem Evangelium Hirtendienst. Darum kann diese Idee an sich niemals ein Auslaufmodell sein. Nur wenn dieser Dienst nicht mehr so ausgefüllt wird, wie er sollte, also völlig anders konzipiert wird, kann das passieren. Aber das entspricht nicht meinen Vorstellungen. Von daher schmerzt mich eher, dass Menschen den Priesterdienst zu einem Auslaufmodell werden lassen… Wer will denn Priester werden, um Manager einer pastoralen Großeinheit zu sein? Als Manager kann man nicht „an die Ränder gehen“, wie es Papst Franziskus als Leitbild formuliert hat.

Heute ist es aber eher nicht gewollt, dass sich Gemeindemitglieder persönlich an „ihren“ Pastor binden?

Nein. Und das halte ich für den falschen Weg. Dass künftig die Geistlichen auf Tournee durch das gesamte Stadtgebiet gehen, ist kontraproduktiv. Heute herrscht das Amtsverständnis vor, dass Pfarrer in Leitungspositionen den „episkopalen Blick“ benötigen. Sie werden darauf geschult, mehr Oberhirte als Hirte zu sein. Sie sollen organisieren, fördern, begleiten und weniger seelsorgerisch tätig sein. Das ist nicht meins!

Aber ist es nicht wichtig, Pfarrer fit zu machen für ihre vielfältigen organisatorischen Aufgaben in Großgemeinden?

Auf jeden Fall! Aber das Konzept, sie zu Gemeindevorstehern zu erklären, die nicht mehr an der Basis tätig sind, sondern vor allem den Blick auf das große Ganze haben, liegt mir nicht.

2015 haben Sie selbstbestimmt Abschied aus der Pfarreiengemeinschaft genommen. Damals waren Sie 70. Sind Sie heute manchmal froh, dass Sie mit den „Nebenwirkungen“ der vom Erzbistum angestoßenen Fusionsprozesse, die ganz nebenbei auch erheblichen Verwaltungsaufwand, vor allem aber Trauerarbeit bedeuten, nichts mehr zu tun haben?

Ich bin froh, nicht mehr unmittelbar an diesen Prozessen beteiligt zu sein und deswegen auch keine schlaflosen Nächte zu haben. Die Verantwortung tragen heute andere. Mittelbar aber sehe ich, wie aktuell meine Mitbrüder Dirk Peters, Winfried Kissel und Wilhelm Darscheid von den Auswirkungen solcher Entwicklungsprozesse betroffen sind. Das beschäftigt mich natürlich schon.

Bekommen Sie auch viel vom Unmut an der Basis mit?

Ja, aber ich kann nur Mut machen, sich nicht davon abhängig zu machen. Sonst rutscht man in ein depressives Loch und in die Resignation. Letztlich geht es doch um die Frage: Was macht meinen Glauben aus? Durch welche Quellen wird er gestärkt? In den Gemeinden spüre ich oft die Haltung: Wir machen weiter … jetzt erst recht!

Doch diejenigen, die sich in den Gemeinden engagieren, werden immer weniger. Viele erfahren, dass sie wenig ausrichten können und erleben sich als machtlos.

Es gibt Macht, die beansprucht, und solche, die einem zugesprochen wird. Die Frage ist doch: Wie können wir Klerikalismus vermeiden? Menschen, die in einer direkten Abhängigkeit stehen, sind da natürlich in einer misslicheren Lage als die „freien Christenmenschen“.

Sie meinen die Laien?

Ja! Wir erleben in der deutschen Kirche einen Synodalen Weg mit ganz viel Selbstbewusstsein auf Seiten der Laien, was mir Hoffnung macht. Wenn uns die Überzeugung leitet, dass wir als Getaufte und Gefirmte ermächtigt und befähigt sind, „lebendige Steine“ zu sein, dann müssen wir daraus auch die praktischen Konsequenzen ziehen.

Wie schauen Sie gerade auf diese Kirche? Wie sieht Ihre Gemütsverfassung aus?

Das lässt sich so pauschal nicht beantworten. Ich habe mich gefragt: Gäbe es eine Zeit in der Geschichte der Kirche, in der ich lieber leben würde als jetzt? Die Antwort lautet: Nein! Wir leben heute in einer privilegierten Situation, weil wir die Chance haben, unseren Glauben reflektiert und begründet zu leben. So wie es im Petrus-Brief heißt: „Seid stets bereit, jedem Rede und Antwort zu stehen, der von euch Rechenschaft fordert…“ Ich finde es toll, in einer Zeit, in der der wissenschaftliche Fortschritt ein hohes Level erreicht hat, mit Innigkeit einen Glauben zu leben, der das nicht ausschließt. Andererseits verschließe ich aber auch nicht die Augen vor den Katastrophen in dieser Kirche. Es ist eine Gemengelage mit vielem, was mir Hoffnung macht, aber auch manchem, was mich entsetzt. Es gibt etliche Themen, die virulent sind und auf dem Tisch liegen, weltkirchlich aber gar nicht wahrgenommen werden. Insofern stehen wir auch an einer Abrisskante. Meine Gefühlsverfassung ist demnach ambivalent.

Ein halbes Jahrhundert Ihres Lebens haben Sie der Kirche gewidmet – was ist von der anfänglichen Begeisterung, mit der Sie Priester geworden sind, geblieben?

Diese Begeisterung zieht sich in der Tat wie ein roter Faden durch mein Leben und ist noch immer nicht abgeebbt. Ganz im Gegenteil: Sie hofft noch immer auf ein „mehr“ und „weiter“. Aber die Situation ist für mich heute eine andere als vor 50 Jahren: Damals konnten wir die Entwicklungen aktiv mitgestalten. Als Ruheständler hingegen erlebt man einen ganz natürlichen Macht- und Gestaltungsverlust. Heute stehe ich nur noch am Spielfeldrand und versuche, andere anzufeuern. Doch es bleibt die Hoffnung, dass es einen neuen Aufbruch innerhalb der katholischen Kirche geben wird, der noch radikaler ist als das Zweite Vaticanum, das mehr so etwas wie eine Etappe war, und der an die Wurzeln geht…

Wie sollte der Ihrer Ansicht nach konkret aussehen?

Die katholische Kirche ist die letzte verbliebene absolutistische Monarchie – das ist absurd. Was ich mir am innigsten wünsche, ist, dass ein Papst kommt, der den Zentralismus innerhalb der Kirche aufbricht. Und die Synode ist vielleicht ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Denn Synodalität ist ein Wesensmerkmal der Kirche. Wenn ich meinem Handeln die Evangelien zugrunde lege, ist Absolutismus als Gestaltungsmerkmal der Kirche der Sündenfall schlechthin.

Was müsste in Köln oder Rom anders laufen? Welche Themen machen die Institution Kirche zukunftsfähig?

Kirche muss für die Menschen erlebbar evangeliumsgemäßer werden. Insofern ist die Erneuerung der katholischen Kirche kein Problem, das sich allein auf organisatorischer Ebene lösen lässt. Aber wenn die Strukturen die Verkündigung konterkarieren – zu einer „Anti-Predigt“ werden – dann machen sie das Evangelium unglaubwürdig. Dann verliert die Kirche ihre Zukunftsfähigkeit. Und der Klerikalismus ist dabei ein zentrales Thema. Alle Themen hingegen, die beim Synodalen Weg diskutiert wird, gehören auf die Agenda, weil sie mitentscheidend dafür sind, ob und wie die Kirche ihre Glaubwürdigkeit wiedererlangt.

Wie kann das gelingen?

Das ist die zentrale Frage. Zunächst geht es natürlich um die Aufarbeitung der Missbrauchsfälle. Aber das ist nur eine Facette. Noch einmal: Das eigentliche Problem sehe ich, wie auch Papst Franziskus, im Klerikalismus und dem damit verbundenen Machtmissbrauch. Entscheidend ist – noch einmal gesagt – dass Inhalte der Verkündigung und kirchliche Strukturen zusammenpassen. Das betrifft unter anderem Themen wie die Rolle von Frauen in der Kirche. Es gibt theologisch keine stichhaltigen Gründe, die gegen die Weihe von Frauen sprechen. Auch der Pflichtzölibat ist als Voraussetzung für den priesterlichen Beruf unbegründet. Außerdem gehören die Zugangsvoraussetzungen für das Weiheamt auf den Prüfstand.

Halten Sie solche Reformen in absehbarer Zeit für durchsetzbar?

Sie sind kirchenpolitisch nicht erwünscht. Außerdem kommt es auch darauf an, die Menschen mitzunehmen und Strukturen so zu verändern, dass es nicht zu völligen Brüchen oder Spaltungen kommt. Denn das führt zu Verunsicherung, dann kämpft man um das Althergebrachte und Vertraute, den barocken Katholizismus der Kindheit.

Vom „altersmilden Blick“ scheinen Sie weit entfernt…

Sagen wir, ich habe die Hoffnung, dass der Geist Gottes trotz dieser Krisenzeiten – oder vielleicht gerade in diesen Krisenzeiten – seine eigenen Wege geht – und ich noch etwas davon miterleben darf. Aber klar, ich merke, dass ich mit zunehmenden Jahren „radikaler“ im wörtlichen Sinn werde. Der Freiraum, den ich im Ruhestand habe, lässt mich auf das schauen, was wirklich wichtig ist, was trägt.

Das Interview führten Martina Martschin und Beatrice Tomasetti

Foto – Beatrice Tomasetti

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