Kreuzweg – Station 8

Jesus begegnet den weinenden Frauen

Station-8
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Es folgte Jesus eine große Menschenmenge, darunter auch Frauen, die um ihn klagten und weinten. Jesus wandte sich zu ihnen um und sagte. Ihr Frauen von Jerusalem, weint nicht über mich; weint über euch und eure Kinder! Denn es kommen Tage, da wird man sagen: Wohl den Frauen, die unfruchtbar sind, die nicht geboren und nicht gestillt haben. Dann wird man zu den Bergen sagen: Fallt auf uns! und zu den Hügeln: Deckt uns zu! Denn wenn das mit dem grünen Holz geschieht, was wird dann erst mit dem dürren geschehen?
(Lk 23, 27-31)

Diese Frauen, die Jesus auf seinem Kreuzweg weinend und klagend nachfolgen, haben sich ein Gespür dafür bewahrt, dass hier ein himmelschreiendes Unrecht geschieht; sie gehören nicht zu denen, die Jesus aus religiösem Fanatismus oder aus kaltem Machtkalkül zur Stecke bringen wollen. Und doch greift ihre Trauer und Klage zu kurz; ihr Blick bleibt im Vordergründigen hängen: sie bedauern und betrauern den Leidensweg Jesu, übersehen aber, wie ihr eigenes Geschick in dieses Drama hineingeflochten ist: Wenn sich die Welt mit ihrem Vernichtungspotential in dieser Weise gegen die menschgewordene Liebe Gottes wendet, dann ist alles möglich. Und immer schon sind es die Mütter und ihre Kinder, die in besonderer Weise zu Opfern der Gewalt werden. Die Worte Jesu wollen sie auf die ganze Tragweite dieses Geschehens aufmerksam machen, in dem nicht nur er das Opfer ist, sondern das seinen schrecklichen Blutzoll durch die ganze Menschheitsgeschichte hindurch fordert. „Ihr Frauen und eure Kinder, ihr werdet unermessliches Leid zu tragen haben, ihr werdet zu sinnlos hingeschlachteten Opfern dieser Gewaltmaschinerie werden, die sich jetzt an mir austobt – nur, ich weiß, wozu ich diesen Kelch trinke; betrauert also euer eigenes Geschick, das Geschick einer angsterfüllten, verblendeten Menschheit, die sich der Liebe Gottes verweigert.“ Die Vernichtung Jerusalems nur wenige Jahrzehnte später bestätigte in dramatischer Weise diese prophetischen Worte des Herrn.

Der Künstler weitet in seiner Station den Blick hinein bis in unsere Gegenwart: Das Kreuz, dieses schauerliche Folter- und Vernichtungswerkzeug der Antike, ist im Laufe der Jahrhunderte durch immer effektivere Mordinstrumente ersetzt worden, in denen sich das Vernichtungspotential der Menschheit manifestierte. Die Massenvernichtungswaffen unseres Jahrhunderts sind wie eine letzte Verlängerung des Kreuzbalkens auf unserem Bild: aus diesem Balken und über ihm erhebt sich die Wolke einer Atomexplosion, die mit dem giftig-fahlen Licht einer tödlichen Sonne die Szenerie beleuchtet. Wie eine teuflische Karikatur der leuchtenden Wolke auf dem Tabor schwebt sie über der Gestalt Jesu, der sich den Müttern und Kindern zugewandt hat, die an Stelle der weinenden Frauen von Jerusalem vor seinem geistigen Auge gestanden haben mögen: die japanische Mutter von Hiroshima mit ihrem Kind, die jüdische Mutter, die mit ihren Kindern das Grauen des Holocaust erleben muss; die Palästinenserin, die mit ihrem Säugling heute Unterdrückung und Diskriminierung durch jene erleidet, die doch selbst Opfer von Unterdrückung und Ausrottung waren – und schließlich jene schwarze Mutter mit ihrem Kind, die all jene grauenvollen Bilder etwa aus Ruanda und Zaire in uns wachruft, die wir in den vergangenen Jahren mit Erschütterung in den Medien sehen mussten. Weint über euch selbst und eure Kinder, da ihr in einer Welt lebt, in der der Mensch immerzu zum Opfer des Menschen werden muss, solange Gewalt, Habsucht und Angst und nicht die Güte und Liebe Gottes das Zusammenleben der Menschen prägen.

Eine resignative, deprimierende Botschaft? Gibt es keinen Weg, dem tödlichen Stacheldrahtzaun zu entkommen, der die Menschen auf diesem Bild einfängt? Die Gestalt Jesu auf unserem Bild mit dem wuchtigen querliegenden Kreuzbalken erinnert an das „Tau“, den letzten Buchstaben des semitischen Alphabets; ein Buchstabe, der sowohl als Symbol. des Todes wie auch als Symbol des Lebens und der Vollendung galt. Liegt darin ein geheimer Hinweis auf den, der in der Kraft seines Geistes allein den Bann menschheitsgeschichtlicher Teufelskreise aufbrechen, die Fesseln sprengen und uns ins Weite und in die Freiheit führen kann?

 

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