Kontroverse Diskussion beim Gesprächsabend zu #OutInChurch

Gewitterschwüle draußen, aufgeheizte Stimmung drinnen: Bei der moderierten Diskussion unter dem Titel #OutInChurch – für eine Kirche ohne Angst“ ging es im Pfarrsaal in Moitzfeld zeitweise hitzig zu. Auf Einladung des PGR stellte Sabine Hengmith am Donnerstagabend die Situation queerer Menschen dar, die haupt- oder ehrenamtlich in der katholischen Kirche arbeiten. Die Religionspädagogin, die in Köln eine Einrichtung der Caritas leitet, engagiert sich bei der Initiative #OutInChurch. Unter diesem Motto hatten sich im Januar dieses Jahres 125 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der katholischen Kirche als queer geoutet. Sie fordern unter anderem, das kirchliche Arbeitsrecht so zu ändern, „dass ein Leben entsprechend der eigenen sexuellen Orientierung und der geschlechtlichen Identität“ nicht zur Kündigung führt. Der Pfarrgemeinderat von St. Nikolaus und St. Joseph hat sich mit den Zielen der Initiative solidarisch erklärt und als sichtbares Statement an beiden Kirchtürmen Regenbogenfahnen mit dem #OutInChurch-Logo angebracht. „Inzwischen hängen die Fahnen seit Wochen und wir bekommen viel Zustimmung, aber auch Kritik. Es gibt also Diskussionsbedarf – Zeit zu reden!“, sagte Norbert Stricker, Mitglied im PGR-Vorstand, zur Begrüßung.

Lebenslanges Versteckspiel

In ihrem Impulsvortrag skizzierte Sabine Hengmith die Entstehungsgeschichte von #OutInChurch. Daneben gab die Religionspädagogin mit kirchlicher Lehrerlaubnis auch Einblicke in ihre persönlichen Beweggründe, sich bei #OutInChurch zu engagieren: „Seit 39 Jahren bin ich in der katholischen Kirche fest verwurzelt, aber als lesbische Frau immer mehr an den Rand gedrängt worden.“ Als queere Person im kirchlichen Dienst bekomme man einen Platz zugewiesen, sei nicht wirklich zugehörig, sondern bestenfalls geduldet: „Ich darf Lektorin sein, aber nicht darüber sprechen, dass ich lesbisch bin.“ Wie viele andere fragt sie sich: Was hat meine Sexualität mit meiner fachlichen und beruflichen Expertise zu tun?

Als sie sich vor drei Jahren um ihren jetzigen Job bei der Caritas bewarb – die pädagogische Leitung von Gut Pisdorhof, einer Einrichtung für Menschen mit geistiger Behinderung – wollte sie das Versteckspiel nicht weiter mitmachen. „Ich hatte keine Lust auf ein Doppelleben,“ so Hengmith. Im Vorstellungsgespräch bekannte sie sich offen zu ihrer sexuellen Orientierung, was ihr Arbeitgeber akzeptierte.  „Ein Glücksgriff“, räumt sie ein. Denn viele queere Menschen in kirchlichen Beschäftigungsverhältnissen machen ganz andere Erfahrungen: Sie leben in dauernder Anspannung und Angst. Da nicht-heterosexuelle Beziehungen der katholischen Sittenlehre widersprechen, können sie ihren Beruf verlieren. Denn nach geltendem kirchlichem Arbeitsrecht sind sie verpflichtet, die katholischen Grundsätze nicht nur im Beruf, sondern auch im Privatleben zu beachten.

Arbeitsrecht steht vor der Änderung

Um auf die Diskriminierung nicht-heterosexueller Menschen aufmerksam zu machen, wagten im Januar 2022 über 100 Beschäftigte im kirchlichen Dienst – Priester, Gemeindereferentinnen, Pfleger, Katechetinnen, Religionslehrer und Verwaltungsmitarbeiterinnen – den Schritt in die Öffentlichkeit: Ihr Coming out wurde als Dokumentarfilm „Wie Gott uns schuf“ in der ARD ausgestrahlt. Zeitgleich wurde die Initiative #OutInChurch gegründet und eine Online-Petition zur Änderung des kirchlichen Arbeitsrechts gestartet, die bis heute von weit über 100 000 Menschen unterzeichnet worden ist. Auch zahlreiche kirchliche Verbände haben die Petition mitunterzeichnet, so etwa die Katholische junge Gemeinde (KjG), die Katholische Frauengemeinschaft (kfd), die Katholische Arbeitnehmer-Bewegung (KAB), die Deutsche Pfadfinderschaft St. Georg (DPSG) und der Caritasverband der Stadt Köln.

Die Ziele der Initiative #OutInChurch fasst Hengmith so zusammen: „Wichtig ist uns die Wertschätzung und Gleichsetzung von queeren Menschen. Wir wünschen uns eine Kirche, die diverser ist, auch in der Verkündigung.“ Durch die ARD-Dokumentation sei eine breite öffentliche Debatte angestoßen worden. Und auch innerhalb der katholischen Kirche selbst ist danach manches in Bewegung geraten – wobei sich die einzelnen Bistümer in der Frage der arbeitsrechtlichen Gleichbehandlung queerer Menschen durchaus unterschiedlich positionieren. Immerhin liegt inzwischen ein neuer Entwurf zur „Grundordnung des kirchlichen Dienstes“ vor, den eine Arbeitsgruppe unter dem Vorsitz des Kölner Kardinals Rainer Maria Woelki erarbeitet hat. Der Arbeitsgruppe gehören Bischöfe, Generalvikare, Vertreter der Dienstgeberseite, des Deutschen Caritasverbandes, der Wissenschaft, des Katholischen Büros sowie des Verbandes der Diözesen Deutschlands an. Programmatisch heißt es darin unter anderem: „Vielfalt in kirchlichen Einrichtungen ist eine Bereicherung.“ Die Mitwirkung von Menschen als kirchliche Mitarbeitende sei „unabhängig von ihren konkreten Aufgaben, ihrer Herkunft, ihrer Religion, ihrem Alter, ihrer Behinderung, ihres Geschlechts, ihrer sexuellen Orientierung und ihrer Lebensform“ zu ermöglichen.

Alte Regeln statt neuer Haltung?

Dass kirchliches Recht nicht in Stein gemeißelt ist, sondern sich verändert und mit der Zeit geht, hält Hengmith für essenziell. Dazu kam prompt Widerspruch aus dem Publikum: „Die katholische Kirche ist keine Demokratie“, meinte ein Kritiker. „Wir können nicht einfach nach dem Prinzip verfahren: Wir machen uns die Welt wie sie uns gefällt. Das spaltet unsere Kirche!“ Es sei notwendig, sich an die Lehre zu halten und nicht dem gesellschaftlichen Mainstream zu folgen. Laut Katechismus gelten homosexuelle Beziehungen als „moralische Unordnung“, die der „schöpferischen Weisheit Gottes entgegenstehen“, weil sie die „Weitergabe des Lebens“ nicht ermöglichen. Diese Regeln und Gebote seien nicht gottgegeben, sondern von Menschen gemacht, konterte Hengmith: „Und wer gibt anderen das Recht, mich und meinen Glauben zu bewerten und über mein Leben zu urteilen?“

Wie viele andere queere Menschen im kirchlichen Dienst bekommt sie bisweilen die provokante Frage gestellt, warum sie denn überhaupt für die katholische Kirche arbeiten wolle. Es gebe doch schließlich auch andere Arbeitgeber, für die die sexuelle Orientierung der Mitarbeitenden keine Rolle spielt. „Aber ich bin überzeugte Katholikin“, betonte Hengmith. „Das ist meine Heimat, hier möchte ich arbeiten.  Und ich stelle immer wieder fest, dass in einem kirchlichen Haus ein anderer Wind weht. Das christliche Menschenbild, das dahintersteht, macht den Unterschied – und das ist mir wichtig.“

Hindernisse auf dem Weg zu mehr Vielfalt

Die Diskussion spiegelte anschaulich wider, wo aktuell die Fronten innerhalb der katholischen Kirche in der Haltung zu nicht-heterosexuellen Partnerschaften verlaufen. Dass die kontroverse und teilweise hitzige Debatte nicht aus dem Ruder lief, war vor allem der Moderation von Melanie Wielens zu verdanken, die ruhig und sachlich durch die Diskussion führte und aufgebrachte Zwischenrufer immer wieder zur Ordnung rief. „Wir müssen es aushalten, unterschiedliche Meinungen zu hören“, sagte sie. Nachdrücklich warb sie dafür, trotz unterschiedlicher Sichtweisen Offenheit zu bewahren und miteinander im Gespräch zu bleiben. Am Ende des Abends stand die ernüchternde Erkenntnis, dass die vielbeschworene „Öffnung zur Vielfalt“ in der katholischen Kirche noch ein langwieriger und beschwerlicher Prozess sein wird – voller Irritation und Frustration. Eine Teilnehmerin brachte es so auf den Punkt: „Ich möchte mir die Liebe zu meiner Kirche nicht nehmen lassen, aber ich kranke an ihr!“

Text – Martina Martschin

Foto – Regine Stricker