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Kaplan Neuhoff schaut auf die erste Zeit seines Gemeindedienstes zurück

Seit der Weihe der vier Neupriester im letzten Juni ist in Kölns Kirche viel passiert. Da sorgen die Inanspruchnahme in der Gemeinde und die aktuellen Debatten bei dem einen oder anderen Kaplan auch schon mal für ein Wechselbad der Gefühle. In einem Doppel-Interview mit dem Domradio blicken Clemens Neuhoff und Burkhard Schuster auf die aktuelle Situation und schildern erste Erfahrungen:

Herr Kaplan Neuhoff, Herr Kaplan Schuster, Papst Franziskus hat angehende Priester erst kürzlich davor gewarnt, sich in der Sakristei zu verbarrikadieren und unter sich zu bleiben. Seminaristen in Rom mahnte er wörtlich, ein offenes mitfühlendes Herz zu haben, nach draußen mitten unter die Menschen zu gehen und sich aus Liebe die Hände schmutzig zu machen. Im vergangenen Juni wurden Sie mit zwei weiteren Mitbrüdern im Kölner Dom zu Priestern geweiht. Was glauben Sie: Ist die vom Papst beschriebene Gefahr real?

Clemens Neuhoff (Kaplan in Bensberg/Moitzfeld): Durchaus. Der Heilige Vater berührt da einen wunden Punkt. Schließlich genießen wir als Priester so eine Art Rundum-sorglos-Paket – vergleichbar Beamten: Wir sind abgesichert, sitzen viel am Schreibtisch, um uns zu organisieren, Termine zu machen, Predigten vorzubereiten, und wir sind in jeder Hinsicht versorgt. Es geht uns also gut. Gleichzeitig birgt das die Gefahr in sich, träge zu werden. Dabei brauchen wir für die Seelsorge doch Dynamik. Das heißt, ich genieße jeden Moment, in dem ich rauskomme. Ich freue mich, wenn es an der Tür klingelt und jemand meine Hilfe braucht. Solche Situationen helfen mir zu erkennen, wofür ich wirklich da bin: nämlich den Menschen zu Diensten.

Und der Appell anzupacken, sich im wahrsten Sinne des Wortes die Hände schmutzig zu machen, spricht mir geradezu aus der Seele. Schließlich liebe ich es, etwas Praktisches zu tun, auch mit körperlichem Einsatz Not zu lindern, wie ich es im Sommer in den Flutgebieten getan habe oder auch zuletzt bei der Unterstützung von Freunden, denen ich bei der Hausrenovierung geholfen habe. Absehbar wird uns auch der Ukraine-Krieg nochmals sehr konkret herausfordern, den Menschen, die als Flüchtlinge zu uns kommen, tatkräftig zur Seite zu stehen. Rausgehen und dabei das ganz normale Leben mit Menschen teilen, den Kontakt zu ihnen nicht zu verlieren, hilft. Das ist für mich ganz pragmatische Caritas – verfügbar sein aus Liebe zu den Menschen.

Burkhard Schuster (Kaplan im Sendungsraum Grevenbroich und Rommerskirchen): Empathie zeigen, also ein mitfühlendes Herz haben ist wichtiger denn je. Und unter den Menschen zu sein ist mit das Wichtigste überhaupt. Zu meinem Selbstverständnis als Priester gehört es, Menschen offen zu begegnen. Daher stehe nach einer Messe immer auch noch draußen zum Gespräch bereit, um – wie es Franziskus einmal zu Beginn seines Pontifikats gesagt hat – den Geruch der Schafe anzunehmen. Denn mitten unter den Schafen ist der Platz eines Hirten. Mir ist wichtig, den Menschen in unserer schnelllebigen Welt, in der Zuhören so schwierig geworden ist, ein offenes Ohr zu schenken. Dabei ist meine Erfahrung, dass viele überaus dankbar sind, wenn ihnen mal jemand Aufmerksamkeit schenkt, die Bereitschaft zum offenen Dialog mitbringt und in diesem Moment ganz präsent ist.

Hat der Papst recht, wenn er Sorge davor hat, dass Kleriker zunehmend unter sich bleiben wie in einer Art „closed shop“, weil sie dort noch am ehesten auf Gleichgesinnte treffen und sich weniger der rauen Wirklichkeit stellen müssen, wo ihnen im Moment ein eisiger Wind ins Gesicht bläst?

Neuhoff: Dass Kleriker den Wunsch haben, unter sich zu sein, ist nur allzu menschlich und nachvollziehbar, weil es die einfachere Lösung ist, wobei ich die Erfahrung mache – und das sehe ich sehr positiv – dass der Austausch mit den Mitbrüdern eben auch eine Kraftquelle ist, die im Sinne der „Formatio permanens“, also der persönlichen Weiterentwicklung, stärkt. Der eigene Weihekurs ist der Ort, an dem man sich über Probleme und Erfahrungen austauscht – unter Umständen auch über das von Ihnen angesprochene ungastliche Klima, das zurzeit herrscht. Und darüber – um im Bild zu bleiben – welche Mütze es dafür braucht, um keine kalten Ohren zu bekommen. Ein solcher Kreis hilft, um gegen jedes Gewitter gewappnet zu sein. Früher gab es für Priester die „Vita communis“, eine Art Wohngemeinschaft aller Seelsorger am Ort unter einem Dach, vielleicht im selben Pfarrhaus, um nicht zu vereinsamen, sich gegenseitig zu stützen, miteinander zu beten und zu essen, vor allem aber immer jemanden zum Austausch zu haben. Heute ist der Priester mehr ein Einzelkämpfer.

Schuster: Ich verstehe die Sorge des Papstes. Unter Gleichgesinnten entzieht man sich dem negativen Sog und den Anfeindungen, die immer unverhohlener zum Ausdruck kommen. Andererseits aber erlebe ich, dass wir als junge Priester entschieden sind, uns den Herausforderungen zu stellen und uns nicht ins stille Kämmerlein zurückzuziehen, sondern zu dem zu stehen, zu dem wir uns bekennen: zu einem nahbaren Gott. Und davon will ich lebendiges Zeugnis geben und mich nicht verschanzen.

Was waren in diesen ersten Monaten nach der Weihe die prägendsten Erfahrungen in Ihrer Gemeinde? Woraus schöpfen Sie Kraft bei Ihrem Dienst?

Schuster: Eigentlich ist es eine Vielzahl an schönen Erfahrungen, die ich in meiner Gemeinde mache, aber am berührendsten ist sicher das Vertrauen, dass mir die Leute trotz der aktuellen Skandale in der Kirche entgegenbringen – bei Tauf-, Trau oder Trauerbesuchen. Dann kommen die Menschen ans Erzählen und sind zutiefst dankbar. Manchmal stellt sich dann ein fast familiäres Gefühl ein, als kenne man sich schon längst. Für mich ist das immer ein großer Gewinn, in solchen Situationen, die sich ja in ganz unterschiedlichen Milieus abspielen, der Zuhörende sein zu dürfen. In diesen Gesprächen, aus denen ich gestärkt hervorgehe, bekommt man einfach viel zurück. Besonders intensiv erlebe ich das bei Krankenbesuchen. Es tut mir gut, Menschen Christus zu bringen, der ihnen sichtlich Halt gibt. Das ist für mich das Größte. Einfach unbeschreiblich. Natürlich kann so etwas auch kräftezehrend sein. Daher gehören zu meinem Dienst auch das Innehalten und ein Leben aus dem Gebet und meiner Christusbeziehung heraus, was meine wichtigsten Kraftquellen sind.

Neuhoff: Unmittelbar nach meiner Weihe schlug mir eine große Freude entgegen. Für Außenstehende war scheint’s der Schritt, Priester zu werden, noch größer als für mich selbst, der ich diese Entscheidung ja nach einer jahrelangen Vorbereitung und Ausbildungszeit als logische Konsequenz erlebt habe. Andere aber haben mir gespiegelt, wie bewegend dieses Zeichen, das eben heute keineswegs mehr eine Selbstverständlichkeit ist, für sie war. Besonders wertvoll und damit prägend sind für mich außerdem die Momente, in denen ich wirklich Seelsorger sein kann: gerade in Beichtgesprächen, wo ich Anteil an existenziellen Lebens- und Glaubenskrisen bekomme, oder in Begegnungen, wo ich als Werkzeug Gottes diene, und wenn jemand aus einem Gespräch mit mir Hoffnung und neuen Mut schöpft; da, wo ich Zeuge dabei sein darf, dass Gott einem Menschen konkret zur Hilfe kommt. Manchmal wachse ich dabei über mich hinaus und spüre, wie der Heilige Geist wirkt – bei mir und bei dem anderen. Dann spüre ich eine tiefe Zufriedenheit. Daraus, aber vor allem aus der Feier der Eucharistie und der Spendung der Sakramente beziehe ich meine meiste Kraft.

Sie sind mit viel Euphorie in Ihre neue Aufgabe gestartet. An Ihrem Einsatzort sind Sie nun maßgeblich mitverantwortlich für die Pastoral, werden aber sicher auch angesichts der besonderen Irritationen im Erzbistum mit viel Unmut und Kritik konfrontiert. Was macht das mit Ihnen und was setzen Sie dem entgegen?

Neuhoff: Ehrlich gesagt, habe ich große Sorge vor einer Spaltung: im Erzbistum Köln, aber auch grundsätzlich innerhalb der deutschen Kirche, die gerade mit dem Synodalen Weg eine ganz eigene Richtung einschlägt. Und ich frage mich nach der Perspektive: wohin uns das führen soll. Natürlich macht mich die aktuelle Lage der Kirche betroffen, die Kritik an der Kirche trifft ja auch mich als Priester und stellvertretend muss ich für das, was bei der Missbrauchsdebatte zutage getreten ist, um Vergebung bitten. Was wir da hören, ist zutiefst verstörend – erst recht für mich als Priester, der diese Kirche liebt. Denn die Kirche ist für mich ja mehr als nur eine Institution. Sie bedeutet mir Heimat, Fürsorge, Geborgenheit und sorgt wie eine Mutter für mich. Umso unverzeihlicher ist es, wenn Menschen auf sehr schmerzliche Weise durch Priester genau das Gegenteil erfahren. Das kann man nicht einfach so runterschlucken, sondern muss sich mit denen solidarisieren, die Opfer von Verbrechen wurden. Schließlich stehe ich für diese Kirche und muss das zunächst auf mich nehmen. Leider aber verdecken diese Taten Einzelner, was es auch alles an Gutem gibt. Darauf wird im Moment viel zu wenig geschaut. Dabei muss man bei aller berechtigten Kritik an Kirche genau differenzieren und – wenn nötig – mit Fakten dagegen halten.

Schuster: Nun mag das auf dem Land etwas anders sein, aber so viel Gegenwind erlebe ich persönlich in meiner Gemeinde nicht. Im Gegenteil. Ich bekomme sehr den Rücken gestärkt. Wie oft sagen die Leute: Toll, dass Sie das machen! Das ist dann schon ein gutes Gefühl, wenn es um einen herum gerade stürmt und bebt. Natürlich wird man mit den klassischen Fragestellungen nach den Machtverhältnissen in der Kirche oder dem klassischen Priesterbild konfrontiert. Dann ist mir wichtig, solche Themen nicht abzublocken, sondern sich wertschätzend miteinander darüber auseinanderzusetzen. Der angemessene Umgang auch mit schwierigen Themen macht meine Berufung doch erst authentisch. Daher zeige ich mich solchen Anfragen gegenüber immer offen, nehme den anderen ernst, setze geäußerter Kritik meine eigenen positiven Erfahrungen mit Kirche entgegen und berichte davon, dass ich auf meinem Glaubensweg uneingeschränkt Gutes erlebt habe, was mich positiv motiviert hat und wovon ich nun etwas weitergeben will. Unterm Strich kann ich eigentlich immer nur von einer ungeteilten Freude sprechen, die ich mit den Menschen meiner Gemeinde erlebe.

Sie deuten es an, in den anhaltenden Debatten und den Reformprozessen auf unterschiedlichen Ebenen steht nicht zuletzt auch das Priesterbild auf dem Prüfstand. Finden Sie sich mit Ihrem Selbstverständnis noch in den aktuellen Forderungen wieder, zum Beispiel wenn es um die Aufhebung des Pflichtzölibats geht oder um ein wesentliches Mitspracherecht von Laien, die sich vielerorts eine neue Kirche wünschen?

Neuhoff: Die Abschaffung des Pflichtzölibats ist keine Lösung – auch nicht für die Missbrauchsproblematik. Diese Lebensform ist in vielerlei Hinsicht für das Leben eines Priesters angemessen. Denn er ist ja für die Menschen da; eine Familie hat da nur wenig Platz. Außerdem war die Ehelosigkeit die Lebensform Jesu. Meine Identifikation mit Jesus Christus, die immer noch wachsen soll, geht bis in diese Lebensform hinein. Zudem ist die Zölibatdiskussion ein weltkirchliches Thema: Es kann nicht in Deutschland die Kirche A und woanders die Kirche B geben. Diesbezüglich schaut man in vielen Ländern gerade kritisch auf die Entwicklungen in Deutschland. Wir dürfen nicht vergessen, dass wir die eine römisch-katholische Kirche weltweit und nicht in einem kleinen Teil Europas sind. Und da sehen eventuell unsere Schwestern und Brüder in Südamerika die Dinge etwas anders, vielleicht auch klarer, und sie vertrauen eher darauf, dass der heilige Geist auch durch das Lehramt, den Heiligen Vater und die Bischöfe wirkt und spricht.

Schuster: Für mich wird mein Priesterbild gerade auf den Kopf gestellt. In den aktuellen Forderungen nach Veränderung finde ich nicht mehr das, was ich versprochen und wozu ich mich vor langer Zeit entschieden habe. Die Ehelosigkeit und der Gehorsam waren doch ganz bewusste Entscheidungen. Nun soll das alles ganz neu definiert werden? Fragestellungen wie „Ist der Priester überhaupt noch notwendig in unserer Kirche?“ machen mich traurig. Wenn Christus für mich der Stifter der Kirche ist, der seine Jünger berufen hat, um den Menschen das Heil zu bringen, dann entspricht das ganz meinem Selbstverständnis. Sicher gibt es derzeit in der Kirche Reformbedarf, aber die Feier der Eucharistie ist für mich immer noch die Quelle und der Höhepunkt unseres christlichen Lebens, wie es das Zweite Vatikanische Konzil sagt. Wenn es keinen Priester mehr gibt, kann auch keine Eucharistie mehr gefeiert werden. Dann würde unsere Kraftquelle Jesus Christus, der sich in diesem Sakrament schenkt, versiegen. Mit anderen Worten: Wir würden Christus nicht mehr in die Welt tragen, wenn wir dieses Geheimnis nicht mehr begehen würden.

Priester zu sein ist eine Berufung, in die Sie sich mit Ihrer ganzen Existenz hineingeben. Doch die Taten Einzelner bringen einen ganzen Berufsstand in Verruf, dabei gibt es so viele authentische Seelsorger und große Vorbilder, die in der Kirche viel bewegt haben. Haben Sie nicht manchmal Angst, dass die Missbrauchsthematik noch viele Jahre die Freude am Glauben, nach der sich doch gerade jetzt so viele Menschen sehnen, überlagern wird?

Schuster: Die immer wieder neu aufploppenden Missbrauchsskandale werfen große Schatten. Das steht außer Frage. Trotzdem gibt es viele großartige Seelsorger, die sich bei sozialen Projekten engagieren und ganz für die Menschen da sind. Wenn ich da nur an mein großes Vorbild, den Heiligen Johannes Bosco denke, der sich ganz dem Motto verschrieben hatte: Fröhlich sein, Gutes tun und die Spatzen pfeifen lassen. An weniger guten Tagen rufe ich mir diesen Satz stets ab, um mich nicht runterziehen zu lassen. Gerade für mich als gelernten Erzieher ist es wichtig, die Freude des Glaubens Kindern und jungen Leuten zu bringen und sie nicht dem Schatten zu überlassen. Denn sie sind nicht nur unsere Zukunft, wie es immer so schön heißt, sondern schon Gegenwart. Ihnen möchte ich daher mit der Frohbotschaft der Bibel die Schönheit und Lebendigkeit unseres Glaubens nahe bringen.

Neuhoff: Natürlich ist das ein Problem, dass der sexuelle Missbrauch gerade jedes andere Thema überlagert. Mit jedem medial aufgegriffenen Gutachten in einem Bistum beherrscht dieses eine Thema wieder neu die Schlagzeilen. Daher sollte es eine deutschlandweite Aufklärung geben. Einmal und dafür radikal sollten alle Diözesen ihre Versäumnisse offenlegen, damit wir als Kirche auch die Chance bekommen, irgendwann wieder positive Pflöcke zu setzen. Es soll nichts versteckt oder vertuscht werden, aber eines Tages muss auch die Frohe Botschaft, auf die unsere Welt so sehr angewiesen ist, wieder ihren Raum bekommen dürfen, damit andere über uns Christen wieder sagen: Seht, wie sie einander lieben! Denn das ist es, was die Menschen anzieht und Kirche attraktiv macht.

Text – Domradio-Beitrag vom 7. März, Beatrice Tomasett

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