Interview zum Abschied von Engagementförderin große Oevermann

Vier Jahre hat Roswith große Oevermann in der Pfarreiengemeinschaft St. Nikolaus und St. Joseph als Engagementförderin gewirkt. Zum Ende des Jahres scheidet sie aus diesem Amt aus, weil ihr Vertrag aus finanziellen Gründen nicht verlängert werden konnte. Im Interview zieht sie eine persönliche Bilanz ihrer Tätigkeit und äußert sich zu den Perspektiven des kirchlichen Ehrenamts.

Frau große Oevermann, welche Projekte haben Sie in den Gemeinden angestoßen?

Eingestellt worden bin ich, um das Engagement im Seniorenbereich zu fördern. Das war der Ausgangspunkt. Ich habe mir zuerst die bestehenden Angebote angeschaut, überlegt, wo noch Bedarf besteht und habe dann die Idee eines Begegnungscafés entwickelt. Mir war wichtig, dass ältere Menschen einen Ort haben, wo sie nicht nur Kaffee trinken können, sondern auch Nahrung für die Seele bekommen.

Daraus ist dann das Café „Leib & Seele“ entstanden….

Richtig! Das Café ist von Anfang an gut angenommen worden. Die Kombination von geselligem Beisammensein und geistigem Input war in sich stimmig. In unserer Gesellschaft werden Ältere leider oft als geistig verlangsamt und potenziell dement eingestuft, in jedem Fall als defizitär. Dieses Bild wollten wir durch einen wertschätzenden Umgang korrigieren. Mit einem Team habe ich dann ein vielfältiges Angebot auf die Beine gestellt: Das reichte vom gemeinsamen Singen über Vorträge bis hin zu Bewegungsangeboten oder Informationen zur Patientenverfügung. Auch Karneval oder jetzt die Adventszeit haben wir miteinander gefeiert. Über die regelmäßigen Begegnungen haben sich teilweise sehr enge Kontakte entwickelt, die für alle ganz wichtig geworden sind, für manche sogar unverzichtbar.

In Zeiten, in denen immer weniger hauptamtliche Kräfte zur Verfügung stehen, müssen viele Aufgaben von ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern übernommen werden. Wie ist Ihnen gelungen, Menschen für die unterschiedlichsten Themen zu gewinnen?

Die persönliche Ansprache ist das A und O. Dafür braucht es Situationen, wo Menschen zusammenkommen: nach der Messe, auf dem Kirchplatz, bei Festen – überall, wo sich das Gemeindeleben abspielt. In diesen Kontexten kann man Menschen ansprechen, sie mit Themen vertraut machen und für neue Ideen begeistern. Sie müssen spüren: Hier kann ich etwas bewegen. Hier kommt es auf mich an. Wichtig dabei ist: Engagementförderung soll das gleichberechtigte Arbeiten von Haupt- und Ehrenamtlichen in der Pfarrei ermöglichen. Es geht nicht um das Vorgeben bestimmter Aufgaben.

Aber mit dem Ansprechen allein ist es noch nicht getan …

Ein Kerngedanke der Engagementförderung ist natürlich die Würdigung und Anerkennung von ehrenamtlicher Tätigkeit. Alle möchten gesehen werden und leben von der Wertschätzung ihres Tuns. Zu Beginn meiner Tätigkeit habe ich für alle ein Fest veranstaltet. Das war gewissermaßen wie eine Initialzündung für die Anerkennung des Ehrenamts. Alle sollten merken, dass es in der Gemeinde jetzt eine Anlaufstelle gibt für die Belange der Ehrenamtler.

Reicht das schon aus, um das Ehrenamt zu stärken?

Nein, man muss sich auch um gute Rahmenbedingungen kümmern. Das ist ganz entscheidend. Engagementförderung kann heute nur gelingen, wenn man Menschen, die sich ehrenamtlich einbringen, auch berät, ihnen Fortbildungen anbietet und – ganz wichtig – Räume zur Verfügung stellt. Gerade diese Infrastruktur ist sehr wichtig. Durch die baulichen Gegebenheiten sind wir als Kirchengemeinde in Bensberg leider nicht mitten im Ort präsent. Man muss schon eine gewisse Hemmschwelle überwinden, um sich bis zu uns hinauf zur Kirche und über den Kirchhof zu trauen. Eigentlich brauchten wir einen Raum in der Stadt, eine Anlaufstelle oder offene Tür, um leichter mit den Menschen ins Gespräch zu kommen – wie es die Aktion „Blaues Sofa“ gezeigt hat.  Man muss persönlich sichtbar sein als jemand, der für diese Gemeinde steht!

Die Corona-Pandemie hat die persönlichen Kontakte dann drastisch eingeschränkt. Da musste kreativ gedacht werden – vor allem auch mit Blick auf die vulnerablen Gruppen. In dieser Zeit waren Sie ganz besonders gefordert…

Während der Pandemie ist alles weggebrochen, was wir vorher aufgebaut hatten, so beispielsweise auch der Fahrdienst „Ich nehm‘ dich mit zur Kirche“. Wir konnten glücklicherweise mit der Messdienerschaft sehr schnell einen Einkaufsdienst für ältere Menschen organisieren. Innerhalb von einem Monat hatten wir 80 ehrenamtliche Helferinnen und Helfer beisammen, die für Senioren einkaufen gegangen sind. Das war unglaublich. Darauf aufbauend haben wir dann an fünf Tagen in der Woche ein telefonisches Gesprächsangebot gestartet, aus dem sich dann sogar feste Telefonpatenschaften entwickelt haben. Manche hatten in dieser Zeit ja niemanden mehr, mit dem sie sprechen konnten. Die Gefahr, in den eigenen vier Wänden komplett zu vereinsamen, war groß.

Welche Resonanz gab es auf diese Angebote in der Coronazeit?

Mich haben Menschen angerufen und gesagt: So habe ich Kirche noch nie erlebt, so einfach und unbürokratisch, so zupackend! Man macht sich kein Bild davon, wie viele – nicht nur ältere – Menschen unter Einsamkeit leiden. Das ist ein ganz großes Thema. Natürlich kann ein Telefongespräch keinen Besuch ersetzen, aber es gibt dem Tag gleich eine andere Note, wenn jemand anruft. Solche Angebote sind für mich christliches Handeln – und die positive Resonanz darauf bestärkt mich in meiner Motivation.

Nun bricht hier etwas abrupt ab, was auch an Ihre Person gekoppelt ist. Welche Spuren möchten Sie in St. Nikolaus und St. Joseph hinterlassen? Und was legen Sie der Gemeinde ans Herz?

Besonders die Arbeit im Seniorencafé hat mir gezeigt, dass bestimmte Angebote auch stark an die jeweiligen Personen gebunden sind. Wir hatten einen warmherzigen und liebevollen Umgang miteinander und es gab bei den letzten Treffen sehr viel Erschütterung und Trauer, dass dieses Beisammensein künftig nicht mehr stattfinden wird. Es belastet mich sehr, dass ich all diese Menschen im Stich lassen muss. Das ist ein großer Schmerz.

Ich kann der Gemeinde nur ans Herz legen, in Zeiten immer leerer werdender Kirchen nicht diejenigen aus den Augen zu verlieren, die noch da sind: die Senioren. Die Fürsorge für Alte und Einsame gehört zum Kerngeschäft von Kirche und stellt einen christlichen Grundwert dar, der in unserer Gesellschaft ansonsten kaum noch sichtbar zum Ausdruck kommt. Hier sind wir ganz besonders gefordert.

Was nehmen Sie persönlich aus Ihrer Zeit in Bensberg und Moitzfeld mit?

In den vier Jahren habe ich sehr viele engagierte Menschen kennengelernt, die eine tolle Arbeit leisten. Aber die meisten von ihnen sind selbst auf dem Weg ins Alter, da ist ein Generationswechsel nötig. Das habe ich quer durch alle Gruppierungen erlebt – viele haben sich an mich gewandt mit der Bitte, sie bei der Suche nach geeigneten Nachfolgerinnen und Nachfolgern zu unterstützen. Das Problem dabei ist: Viele, die bereit sind, sich ehrenamtlich zu engagieren, möchten keine feste Verpflichtung auf Jahre hinaus eingehen, sondern lieber projektbezogen arbeiten. Das ist verständlich, weil sich für viele Menschen die Belastungen in der Familie und im Beruf verdichtet haben.

Wie schätzen Sie generell die Zukunft von kirchlichem Ehrenamt ein?

Ohne Ehrenamt ist Kirche nicht denkbar. Die Gemeinden leben vom ehrenamtlichen Engagement. Darum ist die Engagementförderung ein wichtiger Pfeiler, um kirchliches Leben vor Ort zu erhalten. Viele Gemeinden etablieren eine Ehrenamtskultur, die sich idealerweise selbst trägt. Damit das funktionieren kann, braucht es Leitung, Qualifizierung, finanzielle Unterstützung und – wie schon erwähnt – die passende Infrastruktur. Als Gemeinde würde ich darauf meinen Fokus legen – und in Menschen statt in Steine investieren.

Das Interview führten Martina Martschin und Beatrice Tomasetti

Foto – Beatrice Tomasetti