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Interview mit Pfarrer Axel Hammes

Selten war es so unattraktiv, Priester zu werden. Deshalb müsse sich unbedingt etwas am innerkirchlichen, aber auch gesellschaftlichen Klima ändern, findet Axel Hammes und macht sich Gedanken zur aktuellen Priesterausbildung. Für DOMRADIO.DE führte er dazu ein Interview mit Beatrice Tomasetti.

Herr Dr. Hammes, als langjähriger Mitarbeiter in der Priesterausbildung, darunter zuletzt vier Jahre als Spiritual am Bonner Collegium Albertinum, haben Sie viele angehende Seelsorger begleitet. Nun befindet sich die Kirche schon seit geraumer Zeit in unruhigem Fahrwasser: Der Berufsstand des Priesters ist gesellschaftlich sehr angefragt und hat nicht mehr die Rückendeckung wie noch vor einigen Jahren. Was können Sie da jungen Männern mitgeben, die sich angesichts dieser großen Herausforderungen dennoch für das Priestertum entscheiden?

Pfarrer Dr. Axel Hammes (Dozent in der Priesterausbildung): Zunächst sind dabei alle Verantwortungsträger in der Kirche gefragt. Das positive Vorurteil, Priestersein sei eine menschlich spannende, lohnende und zutiefst sinnstiftende Aufgabe, hat sich längst ins Gegenteil verkehrt: Wer heute Priester werden will, wird argwöhnisch beäugt, unter Umständen sogar für weltfremd gehalten. Selbst hohe Kirchenvertreter reden einem „gesunden Generalverdacht“ gegen angehende Priester das Wort. In jedem Fall aber werden ihre Motive hinterfragt – bis hin zu der Abwertung: „Ich kaufe Dir nicht ab, dass Du eine Berufung erfahren hast.“ Oder auch: „Dafür bist Du doch viel zu schade, Du läufst überkommenen Idealen hinterher.“ Eigentlich ist der Boden vermint. Eine ganz normale Gemeinde ist heute nicht mehr der Humus, auf dem solche Berufungen wachsen können. Immer seltener kommen Priesterkandidaten jedenfalls noch aus einem lebendigen Gemeindeleben. Hinzu kommt, dass wir inzwischen an unserer Versessenheit auf Strukturen, einem blinden Aktionismus und internen Machtkämpfen ersticken. Dabei geht das Wichtigste oft verloren: dass die Kirche das große Fragezeichen nach Gott in der Welt aufrichtet.

Zu Recht fragt sich da ein junger Mensch: Warum soll ich mich diesem Apparat, der zu einem Dienstleistungsunternehmen verkommen ist, überhaupt noch verschreiben? Was zwangsläufig zu der Frage führt: Was läuft bei uns Verantwortlichen falsch, dass letztlich Erfahrungen mit Gott kein Raum mehr gegeben wird? Die Dominanz der Pfarrgemeinden schwindet allmählich zugunsten anderer Formen des Gemeindeaufbaus – nicht zuletzt durch die geistlichen Gemeinschaften, die gerade für Gottsucher eine immer größere Rolle spielen. Fakt ist doch, dass angehende Priester einen geistlichen Ort brauchen, wo sie Erfahrungen mit Gott sammeln können, auf denen sich dann wiederum authentische Berufungen aufbauen. Einen solchen Ort müssen sie sich in der unübersichtlichen Gemengelage mittlerweile aber regelrecht suchen. Und dann sollten sie sich Zeit lassen, damit ein Entschluss auch richtig reifen kann. Nach meiner Erfahrung geht ein Großteil unserer Priesterkandidaten zu früh in diese Ausbildung.

Wie erleben Sie denn gerade diese jungen Leute, die Sie ja in ihrer Berufswahl bestärken wollen?

Hammes: Die fundamentale Vertrauenskrise der Kirche ist da natürlich absolut kontraproduktiv. Denn Vertrauen ist das A und O. Priesterkandidaten schwimmen mit ihrer Entscheidung ja ohnehin schon gegen den Strom – sie machen schließlich etwas, was immer exotischer und unverständlicher wird. Alles, was sie dazu verleitet, sich in Kreisen ihresgleichen abzukapseln und sich gegen Anfragen von außen zu verschließen, richtet da großen Schaden an. Andererseits nehme ich bei allen, die Priester werden wollen, ein enormes Bedürfnis nach Identifikation, Klarheit und Sicherheit wahr. Und religiös aufgeschlossene Menschen haben – gerade auch weil der allgemeine Respekt vor vielem in den unterschiedlichsten Lebensbereichen rasant schwindet – eine große Sehnsucht nach Ehrfurcht, purer Ehrfurcht; nach einem Raum, der unangetastet bleibt und dem sie dienen wollen.

Eine Konstante hält sich: Priesteranwärter sind überdurchschnittlich fasziniert vom Sakralen und von der Liturgie. Dabei sind die Sakramente ja nicht ein im Tresor gesicherter Schatz, sondern sie greifen gelebtes Leben auf, verdichten es, um es schließlich zu verwandeln. Wer zum Sachwalter der Sakramente geweiht wird, muss zu dieser Dimension eine Beziehung, einen persönlichen Zugang entwickeln. Schließlich sollen Priester die Riten nicht nur vollstrecken, sondern sie so durchdringen, dass sie ihnen in Fleisch und Blut übergehen. So eine Verinnerlichung bringen sie in der Regel zu Beginn der Priesterausbildung noch nicht mit. Sie wächst mit Lebens- und Glaubenserfahrung. Dieser Erfahrungshorizont muss sich im Laufe der Zeit noch weiten. Missionarische Kirche sein zu wollen, heißt, mich angreifbar zu machen, mich den Menschen mit Haut und Haaren auszuliefern – so wie es Christus getan hat.

Nicht wenige Priester fühlen sich angesichts immer größer werdender Seelsorgeeinheiten ausgebrannt. Dass mitunter jemand wegen eines Burnouts ausfällt, ist nicht selten. Auch die inzwischen gesellschaftlich und innerkirchlich heftig diskutierten Themen Klerikalismus und Macht, Pflichtzölibat, Frustration und Überforderung setzen ihnen zu. Wie können sich die Rahmenbedingungen für diesen Beruf ändern?

Hammes: Zunächst: Jeder sollte unbedingt seinen wunden Punkt kennen und diesen annehmen lernen. Denn der ist das hervorragende Einfallstor für die Gnade Gottes. Mit anderen Worten: Die eigene Biografie muss aufgearbeitet sein, die persönlichen Grenzen müssen bewusst geworden, Krisen durchlebt und bewältigt worden sein. Ohne diese gründliche Auseinandersetzung mit mir selbst, kann ich nicht die Entscheidung treffen, mein freies und persönliches Ja zu sagen. Das verändert Grundhaltungen. Zum einen: Eine starke, entfaltete Persönlichkeit hat es nicht nötig, sich über Macht zu definieren – auch nicht von Amts wegen. Eine Stärkung der Persönlichkeit geschieht in einer gut begleiteten Beschäftigung mit der eigenen Achillesferse. Erst dann wird die Berufung echt. Zum anderen: Die Versuchung des Klerikalismus, bzw. des klerikalen Standes verliert jeden Reiz. Ein Ruf, der mich persönlich meint, hat nichts damit zu tun, dass ich in einen abgeschotteten sicheren Raum, wie ihn dieser Berufsstand vielleicht in Aussicht stellt, flüchte. Das Wesen des priesterlichen Dienstes verkörpere ich erst, wenn ich eine lebenslange Spannung aushalte: zwischen dem konkreten Menschen, der ich bin, und dem, den Gott in mir und durch mich für möglich hält. Und das kann man eben nicht im Angestelltenverhältnis, sondern nur als Lebensentscheidung, die sich ganz von Gott beanspruchen lässt.

Mit allen Konsequenzen, die dazu gehören…

Hammes: Unbedingt. Ich selbst bin nach wie vor davon überzeugt, dass der Zölibat immer noch die angemessenste Lebensform für den Priester ist. Die Art aber, wie er gelebt wird, stellt für die allermeisten von uns eine strukturelle Überforderung dar. So ist Sexualität immer noch ein Tabu-Thema oder etwas Abgespaltenes. Gemeinschaftliches Leben von Priestern sollte die Diözese noch entschiedener fördern. Ferner werbe ich sehr dafür, dass unsere Kirche dem Beispiel der Orthodoxie folgt und das Priestertum für bewährte, verheiratete Männer öffnet. Letztlich würden auch die zölibatär lebenden Priester davon profitieren, wenn es diese Alternative gäbe, was gleichzeitig einen großen Druck von ihnen nähme. Beide Lebensformen könnten sich gegenseitig stützen. Der verheiratete Priester würde vor einer Verbürgerlichung bewahrt und der zölibatär lebende vor einer Verkrampfung.

Die Zuspitzung auf den Komplex „Zölibat“ wäre in der allgemeinen Gemengelage aber doch wohl zu kurz gegriffen, oder?

Hammes: Dieser „Stachel im Fleisch“ hat die Kirche schon immer umgetrieben und wird es weiter tun. Mich bewegt aber noch etwas anderes im Blick auf die Kandidaten, die in den letzten Jahren durch die Priesterausbildung gegangen sind: Viele von ihnen bringen ein großes Spektrum an Begabungen mit. Manche nutzen die Möglichkeiten einer Universität und absolvieren ein weiteres Studium. Es wäre gut, wenn wir ihnen dann auch eine Perspektive bieten, diese Qualifikationen professionell in den Priesterberuf einzubringen. Ich kann mir einen „Priester im Zivilberuf“ gut vorstellen – nicht als Pflicht, sondern als weitere Option. Wie das ja auch bei den Diakonen der Fall ist. Meines Erachtens schränkt das das Priestertum keineswegs ein, sondern hilft einem Priester, Grenzgänger zwischen den Welten zu sein.

Warum sollte er nicht auch ein begnadeter Pädagoge, ein hingebungsvoller Pfleger oder ein einfühlsamer Therapeut mit einem hohen Maß an Professionalität sein? Das ist doch das Salz in der Suppe der Verkündigung, wenn jemand mehr als nur ein Standbein hat. Jedenfalls könnte das eine zukünftige Form priesterlichen Lebens sein. In diesem Kontext halte ich es für eine fatale Engführung, zum Beispiel einen beliebten Schulseelsorger aus seinem Dienst abzuziehen. Als Kirche sollten wir solche Charismen doch wertschätzen, uns über sie freuen und sie nicht abstrakten Strukturen unterwerfen. Sie lassen sich doch als Zeichen der Zeit verstehen, die Gott uns aufgibt. Ein Ruf kommt schließlich nicht von der Kirche, sondern von Gott. Er ist es, der uns sagt, wie wir sein Werk fortsetzen können, wen und was seine Kirche heute braucht.

Wenn Sie einen Rat aussprechen sollten, wie könnte der aussehen? Was ist unabdingbar für die Wahl einer solchen geistlichen Berufung?

Hammes: Ich muss brennen für Gott. Er muss das Erste und Letzte in meinem Leben sein. Heute kann eine Berufung nur fruchtbar werden, wenn es diese unbändige Sehnsucht, mit ihm leben und für ihn gehen zu wollen, gibt. Ich lebe von ihm und auf ihn hin. Er ist die tragende Beziehungsachse in meinem Leben – auch wenn es mal Wüstenzeiten gibt. Doch selbst dann reißt meine Sehnsucht, von der jeder zumindest schon mal eine Ahnung gehabt haben sollte, niemals ab. Für eine Berufung muss es nicht unbedingt ein markantes Schlüsselerlebnis gegeben haben. Aber eine Glut, die schon mal entfacht worden ist, die sollte als Voraussetzung da sein. Und weil Gott so unverrückbar an erster Stelle steht – er ist der Herr der Kirche – bewahrt mich das davor, ihr zuviel Macht einzuräumen. Gehorsam kann nur gelingen in einem entschiedenen Hören auf den Heiligen Geist, der niemals gegen mein Gewissen steht. Er bindet beide Seiten: den, der Gehorsam einfordert, und den, der ihn leistet. Wie sehr wünsche ich unseren deutschen Bischöfen einmal einen geistlichen Tag, an dem sie sich von einem guten geistlichen Begleiter in die Benedikstregel einweisen lassen, besonders in das Kapitel, wo es um den Abt geht. So viel hängt an der Kunst des Hörens, am aufmerksamen Hinhorchen, soll wirklich allein Gottes Geist uns leiten. Und nichts anderes. Übrigens: Auch ein „Nein“ ist ein zutiefst christliches Wort und manchmal sogar Gewissenspflicht.

Im Laufe der Jahre unterlag die Priesterausbildung immer wieder einem Wandel. Heute gibt es Fächer, die vor 20 Jahren noch nicht auf dem Lehrplan standen. Worauf muss bei einer guten Ausbildung der Schwerpunkt gelegt werden? Worauf kommt es an?

Hammes: Wir können nicht permanent neue Elemente hinzufügen. Denn ein Priester ist kein Mann für alles und jedes, auch wenn wir ihn dazu machen wollen, dass er zu allem etwas zu sagen hat, auf jedem Gebiet kompetent und grundsätzlich zuständig ist. Das aber ist eine glatte Überforderung. Früher haben wir ihn sakral überhöht, heute funktional. Das ist übermenschlich und damit unmenschlich. Kein Wunder, dass von den jüngeren Priestern kaum mehr einer Leitender Pfarrer werden will. Denn dieser hier geforderte Multifunktionalismus führt sie weg von dem, was sie ursprünglich einmal wollten: nämlich nah bei den Menschen sein. Mit Sorge blicke ich auf die Konstruktion des Leitenden Pfarrers, wie wir sie im Erzbistum Köln favorisieren. Ich bezweifle, dass sie auf Dauer tragen kann. Sie ist eigentlich nur für verkappte Karrieristen verlockend, die sich hoffnungslos im Priesterberuf verlaufen haben. Das ständige Aufsatteln weiterer Erfordernisse, die Konzentration auf Koordination und Strukturierung – all das sehe ich mit großer Skepsis. Auch wenn dafür attraktivere Etiketten gesucht werden: Pastoralmanager eines mittelständischen Dienstleisters für Religion taugt als Leitbild für die Zukunft nicht.

Und noch eines ist mir wichtig: Die Missbrauchsaufarbeitung hat Fundamentales nachhaltig erschüttert und unbequeme Fragen aufgeworfen. Denen müssen wir uns auch stellen. Manche Verantwortlichen aber reagieren darauf mit einem verstärkten Bedürfnis nach Kontrolle der Kandidaten. Der Schuss kann dann auch nach hinten los gehen. Ein Kandidat ist dann vor allem damit beschäftigt, dass er passgenau wird. Das aber ist genau das Gegenteil einer entfalteten Persönlichkeit. Ein Mensch wächst am Vorschuss, nicht auf dem permanenten Prüfstand. Um ihres geistlichen und menschlichen Wachstums willen sollten sich die Zeiten im Seminar auf das absolut Notwendige beschränken. Die römischen Dokumente betonen, dass der Kandidat das Subjekt seiner Ausbildung ist. Ständige Betreuung, Begleitung, Evaluation etc. nimmt ihn letztlich als Subjekt nicht ernst. Das heißt, das Prinzip der Eigenverantwortung muss absolut leitend sein. Für jeden muss ein ihm gemäßer, individueller Weg gefunden werden. Die Vielfalt der Ausbildungselemente muss in diesem einen Punkt zusammenlaufen. Das Wichtigste ist die Reife der Persönlichkeit, die in innerer Freiheit zu Gottes Ruf „Ja“ sagen kann. Damit hat er unverwechselbar mich ganz persönlich gemeint.

An welchen Stellen müsste denn dann nochmals viel genauer hingesehen werden?

Hammes: Die jungen Männer müssen zu einer unbestechlichen Klarheit über ihre priesterliche Rolle finden. Und die muss gut eingebunden sein in ihre Persönlichkeit. Von Gleichmacherei, wie sie von Kräften im Synodalen Weg favorisiert wird, halte ich nichts. Denn sie dient nicht der zeitgemäßen „Transformation des Amtes“, sondern dessen Auflösung. Die Frage „Brauchen wir überhaupt noch Priester?“ kann man nicht total ergebnisoffen stellen. Dann befänden wir uns wirklich in einer anderen als der katholischen Kirche. Eine spirituell und pastoral tragfähige Rollendefinition kann nur über die Sakramente und nicht zuerst über soziale und soziologische Bedürfnisse gefunden werden. Schließlich geht es nicht um eine Servicepalette, die der Priester optimal bedienen soll, sondern um eine Einweisung in das Geheimnis Gottes.

Text – Domradio-Beitrag vom 12. November

Foto – Beatrice Tomasetti

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