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Gemeindemitglieder nahmen an Mahnwache teil

Der Begriff „Remigration“ hat in den letzten Wochen Hundertausende Bürger aufgeschreckt und bundesweit für Großdemos gesorgt. Einen vergleichsweise stillen Protest haben jetzt kirchliche Organisationen in Rhein-Berg durchgeführt.

Immer wieder bläst der Wind die zu einem Peace-Zeichen auf dem Boden geformten Teelichter aus. Improvisierte Abhilfe gibt es schließlich mit weihnachtlichen Lichterketten, die Anfang Februar längst ausgedient haben und auf den Pflastersteinen vor dem Hauptportal der Gladbacher Innenstadtkirche St. Laurentius Kälte und Böen zum Trotz ihren Dienst nicht verweigern. Um den leuchtenden Lichterkreis stehen zunächst nur die Veranstalter mit Transparenten und selbstgebastelten Pappschildern: Vertreter des Kreisdekanates, der Caritasaktion Neue Nachbarn, der Katholischen Bildungswerke, der Jugendmigrationsdienste und der Katholischen Jugendagentur. Doch schnell füllt sich der Kirchvorhof zum angrenzenden Konrad-Adenauer-Platz.

Am Ende sind es etwa 250 Bürgerinnen und Bürger, die dem Aufruf von Gabriele Atug-Schmitz, Integrationsbeauftragte des Erzbistums für Rhein-Berg, gefolgt sind und sich schweigend zu dieser Mahnwache für Frieden und Demokratie versammeln. Manche haben selbst Kerzen mitgebracht, um diese anzuzünden. Andere halten Plakate hoch, auf denen zu lesen steht: „Für ein friedliches Miteinander, für Menschenwürde und Toleranz.“ Oder: „Wir gehören zusammen.“ Und auch: „Kein Veedel für Rassismus.“

In einer kurzen Begrüßung dankt Atug-Schmitz allen, die sich an diesem Abend zur katholischen City-Kirche auf den Weg gemacht haben, um mit ihrer Teilnahme ein „Zeichen für Frieden in unserer Stadt“ und gegen Hass und Spaltung zu setzen. Eigens bedenkt sie auch die anwesenden Polizeikräfte, die bei der knapp halbstündigen Kundgebung für Sicherheit sorgen. Dann betont sie, dass es bei dieser Veranstaltung um ein tolerantes und friedliches Miteinander in einer diversen und pluralen Stadtgesellschaft gehe. „Unsere Welt ist in Aufruhr mit vielen Krisen und Konflikten“, mahnt sie wörtlich. „Wir sehen, wie Populisten dies ausnutzen, um Angst zu schüren und den Zusammenhalt zu gefährden.“ Umso wichtiger sei Gemeinsamkeit – und in die Stille zu gehen, sich zu engagieren, seinen Mitmenschen wohlwollend zu begegnen, jeden bewusst wahrzunehmen, aber erst einmal mit sich selbst in einen Frieden zu kommen, um diesen dann auch nach außen tragen zu können.

In den Fürbitten kommt zum Ausdruck, dass sich hier eine Solidargemeinschaft zusammengefunden hat, die ein respektvolles Zusammenleben über religiöse und kulturelle Grenzen hinweg fördern will. Wie selbstverständlich sich an diesem Ort sehr unterschiedliche Kulturkreise mischen, zeigen die vielen Sprachen, in denen die Menschen ihre spontane Bitte formulieren. „Wer Liebe hat, kann sie auch weitergeben“, stellt beispielsweise Carmella auf Kroatisch fest. „Ich bete für Frieden und dass wir alle wie Brüder und Schwestern zusammenleben“, sagt eine junge Frau auf Spanisch. „Wir sind alle ein Körper, wenn ein Glied weh tut, schmerzt der ganze Körper“, meint eine Vertreterin des Migrationsrates aus dem Iran.

„Wir sind doch alle Menschen – unabhängig von unserer Hautfarbe, Nation oder Religion“, lautet eine Fürbitte auf Arabisch. „Für Frieden und Zusammenhalt in diesem Land“ setzt sich eine türkischstämmige Teilnehmerin ein. Und schließlich dankt eine Geflüchtete aus der Ukraine für alle Hilfe, die sie und ihre Landsleute in Deutschland erführen, während Mechtild Münzer, Mitglied im Ökumenekreis „Wir für neue Nachbarn“ Bensberg-Moitzfeld, an die vielen Kinder in den Kriegsgebieten erinnert und betet, dass sie jemanden finden mögen, der sie vor Terror und Gewalt beschützt.

Es sind eindringliche Sätze, die in die Dunkelheit hinein gesprochen werden und das Leid so vieler, die gerade von dem aufkeimenden Rassismus unmittelbar betroffen sind, ins Zentrum rücken. Einen besonders berührenden Moment schafft Svetlana Marchuk, eine in Moitzfeld wohnhafte Sängerin aus der Ukraine, mit einem für ihre Heimat typischen Lied, bevor die Mahnwache mit der berühmten Hymne der afroamerikanischen Bürgerrechtsbewegung „We shall overcome – wir werden es überwinden“ zu Ende geht und sich die Menge nach einem Moment der Stille nach und nach auflöst.

„Ich wollte auch einmal mit dabei sein und öffentlich sichtbar dafür eintreten, dass wir alle Menschen, die in Not sind, bei uns aufnehmen und sie gleich behandeln, egal woher sie kommen“, begründet Petra Kaap ihre Teilnahme bei dieser Kirchenaktion. „Der Jahrestag der Befreiung von Auschwitz hat uns doch gerade erst wieder die Augen dafür geöffnet, was passiert, wenn rechtes Gedankengut so viel Zuspruch bekommt“, argumentiert Christoph Laudenberg. „Eigentlich sollten wir doch aus der Geschichte gelernt haben, dass es nur ein gemeinsames Miteinander geben kann, bei dem sich alle gegenseitig respektieren“, so der 61-Jährige.

„Bei ‚Remigration’ habe ich sofort Bilder von massenhafter Deportation im Kopf, die im Jahr 2024 die eigenen Familienangehörigen, Nachbarn und Freunde betreffen könnte“, sagt ein älterer Mann, etwa Mitte 80. Das mache ihm Angst und stelle sein Verständnis von Freiheit auf den Kopf. „Ich kenne aus meinem eigenen Umfeld so viele Menschen mit Migrationsgeschichte“, sagt er. „Die Vorstellung, sie gehörten – wie der Lieblingsitaliener an der Ecke, meine Schwiegertochter aus der Türkei oder die rumänische Verkäuferin beim Discounter – nicht mehr in mein Leben, ist mir unerträglich.“ Er fordert: „Wir müssen alle miteinander aufstehen gegen die Höckes in unseren Reihen, die über ‚frische Völker’ öffentlich sinnieren und von ‚Wehrhaftigkeit gegen Invasionen von Ausländern’ schwadronieren. Niemandem steht es zu, eine Unterscheidung von Menschen erster und zweiter Klasse vorzunehmen. Das ist das Gegenteil von Menschenwürde und hat nichts mit Menschlichkeit zu tun.“ Es sei allerhöchste Zeit, Rechtsextremismus die Stirn zu bieten. Und auch bei einer nächsten Mahnwache mit diesem Anliegen sei er ganz sicher wieder mit dabei. „Den Kirchen steht es gut zu Gesicht, ihre Stimme zu erheben, sich auf diese Weise einzumischen.“

Michael Ufer vom Caritasvorstand Rhein-Berg verweist auf das Caritas-Motto „Der Mensch zählt“. „Nie wieder ist jetzt“, begründet er. „Es ist an der Zeit, Flagge zu zeigen, Position zu beziehen. Wir wollen auf keinen Fall, dass sich die rechten Parolen aus der Geschichte wiederholen. Daher tun wir alles, damit der einzelne Mensch im Mittelpunkt steht.“ Seine Mitarbeiterinnen aus der Schuldnerberatung pflichten bei: „Unsere Arbeit ist von Wertschätzung geprägt. Für uns zählt jeder Mensch“, wiederholen sie. „Das gehört für uns zum Selbstverständnis und das tragen wir weiter.“ Deutschland müsse auch weiterhin allen Menschen eine Zukunft bieten.

„Mir ist sehr wichtig, hier zu sein, denn als Kirche müssen wir ein sichtbares Zeichen für Frieden, Demokratie und Respekt in die Gesellschaft hinein setzen“, betont Wilhelm Darscheid, leitender Pfarrer in Bergisch-Gladbach-West. „Im Grunde ist das für uns Christen doch total einfach, wo wir doch gerade erst Weihnachten gefeiert haben, von dem die Botschaft ausgeht: Mach’s wie Gott, werde Mensch!“ Das bedeute doch letztlich nichts anderes, als dass alle zusammenstehen müssten: für Frieden, menschliche Würde, gegenseitige Akzeptanz, eben für jeden Menschen ohne Ausnahme. Er sei von Herzen dankbar für diese Initiative vor der Stadtkirche, „weil wir als Kirche ein besonderes Menschenbild verteidigen“. Umso bedeutsamer sei daher, dass sie dafür auch einstehe und ein unmissverständliches Zeichen setze. „Es ist unsere Aufgabe, in der aktuellen Diskussion klar Stellung zu beziehen. Denn wir haben etwas Gutes und Wertvolles zu sagen.“

Text und Foto – Beatrice Tomasetti

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