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Förderkreis Musik unterstützt Auftritte von Profi-Musikern

Zunächst spielten sie auf Balkonen oder in Altenheim-Gärten. In der Hoffnung, dass es sich nur um eine vorübergehende Durststrecke handeln würde. Inzwischen haben Musiker Gemeindegottesdienste als Plattform für sich entdeckt. Eine Win-win-Situation.

Normalerweise wäre Thomas Bonni zu dieser Zeit gerade das, was man gut im Geschäft nennt. In seinem Kalender gäbe es bis zum Sommer 2022 keinen freien Termin mehr. Das laufende Jahr wäre mit Konzerten, Opern, Liederabenden, Rundfunkaufnahmen und vielen, vielen Proben gespickt voll. Denn der Bass-Bariton ist in seinem Fach ein gefragter Mann. Dass der 48-Jährige Mozarts Papageno und Mendelssohns „Elias“ Leben einhaucht oder mühelos für Gänsehautmomente bei einem Verdi-Requiem sorgt, nimmt man seiner stattlichen Erscheinung mit dieser unverkennbar sonoren Sprechstimme jedenfalls sofort ab.

Aber an diesem Morgen ist es keine große Bühne – weder ein Opernhaus noch die Kölner Philharmonie – auf der der bekannte Sängersolist zu Gast ist. Umso bescheidener sind die Rahmenbedingungen für seinen Auftritt. Doch selbst wenn seine Zuhörer zahlenmäßig nicht annähernd mit dem Publikum eines ausverkauften Saales Schritt halten können – es sind vielleicht gerade mal 60 eher verstreut wirkende Messbesucher in den Kirchenbänken, die maximal zulässige Größenordnung – geht der musikalische Vortrag unter die Haut: Denn für ein Engagement während der Sonntagsmesse in der Bensberger Pfarrkirche St. Nikolaus schöpft der Künstler aus seinem reichen Repertoire geistlicher Musik und trifft damit genau den Nerv der Zuhörer.

Dass er in diesem Kontext niemandem etwas beweisen muss, ist klar. Trotzdem läuft Bonni zur Hochform auf und performt genauso, wie er es immer macht, wenn es darauf ankommt, sein Publikum in den Bann zu ziehen und mit ihm in einen Dialog zu treten. Zu diesem Zweck hat er etwas für die Liturgie der Osterzeit Passendes mitgebracht: die Arie „Mein Herz ist bereit“ von Barockmeister Nikolaus Bruhns und „Veritas mea“ von Giuseppe Giordani. Begleitet wird er dabei von Kantor Ludwig Goßner an der Truhenorgel und Gabriele Nußberger an der Geige.

Dabei entpuppt sich auch die Instrumentalkollegin schnell als kongenialer Glücksgriff: Zur Gabenbereitung hat Nußberger, die in Nicht-Coronazeiten als Konzertmeisterin und -managerin mit der Accademia Filarmonica Köln und dem Essener Barockorchester zusammenarbeitet, eine Solo-Phantasie von Telemann gewählt. Nun füllt die Geigenvirtuosin mit ihrem warmen Streicherton den Kirchenraum bis in den letzten Winkel. Mucksmäuschenstill ist es in diesem Augenblick. Berührende Musik wie diese – das entschädigt für den seit Monaten entbehrten Gemeindegesang und schafft Andachtsmomente von ergreifender Intensität. Als sei das Trio ein eingespieltes Team. Dabei haben sich die Profi-Musiker eher auf Zuruf für dieses spontane Projekt, das eine Idee von Kirchenmusiker Goßner war, zusammengefunden. Eine kleine Sternstunde – und das live in Zeiten so schmerzlich vermisster Kultur-Highlights – die an diesem Sonntagmorgen so etwas wie Balsam für die Seele ist.

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„In der Szene bekommt man schon mit, wer mit einem Mal ohne Job ist und gezwungen wird, seinen Beruf aufgrund fehlender Einnahmen sogar an den Nagel zu hängen und umzuschulen“, sagt Ludwig Goßner dazu. Hinzu komme, dass man sich als Musiker, einfach um drin zu bleiben und auch die Stimme auf einem konstant hohen Niveau halten zu können, keine großen Pausen erlauben dürfe. „Ein Sänger muss am Ball bleiben. Aber ohne Perspektive ist das schwierig.“ Er sei froh, dass er mit Unterstützung des gemeindeeigenen Förderkreises zu solchen Auftritten regelmäßig einladen und damit die freischaffenden Kolleginnen und Kollegen unterstützen könne. „Der Bedarf, wieder singen oder spielen zu können, ist riesig. Und auch die Zuhörer hungern danach, Musik nach langer Entbehrung wieder einmal in Echtzeit und nicht über Streamingdienste geboten zu bekommen.“

Beim ersten Lockdown glaubte der Bensberger Kantor noch, ein paar Wochen später könne er wieder zur normalen Probenarbeit zurückkehren. Also organisierte er für seinen Erwachsenenchor vorübergehend Übehilfen via Internet, mit denen sich jeder selbst das anstehende Programm beibringen konnte. Die Neueinstudierung einer großen Messe für Weihnachten war bereits in der Planung, da kam die Nachricht, dass gemeinschaftliches Singen absehbar überhaupt nicht mehr stattfinden dürfe. Seitdem liegen alle Chorprojekte auf Eis. Schließlich will niemand für ein Superspreading durch gefährliche Aerosole verantwortlich sein.

Ein Gottesdienst ganz ohne Gesang? Das konnte sich Goßner aber dann doch nicht vorstellen und schlüpfte daher selbst oft in die Rolle des Vorsängers. Mittlerweile setzt er zunehmend auf professionelle Einzelsänger und kleinere Instrumentalensemble. Diesen Luxus lässt sich die Gemeinde etwas kosten, freut sich aber jedes Mal über die festliche Umrahmung eines Gottesdienstes. Und dann verfügt sie mit seiner großen Rieger-Orgel ja auch über ein Instrument, das mühelos ein halbes Orchester ersetzen kann.

Wie in Bensberg wird auch andernorts im Erzbistum Köln versucht, freischaffende Musiker, die bei keinem Ensemble fest unter Vertrag stehen und als Solo-Selbständige seit über einem Jahr auf Überbrückungshilfen, Stipendien und Fördergelder der Regierung angewiesen sind, mit solchen Engagements zu unterstützen. Das repräsentativste Beispiel dafür ist der Kölner Dom. Seit November gibt es hier mit dem Chorgebet am Sonntagabend, das auf Initiative von Domkapellmeister Eberhard Metternich entstanden ist, ein neues Format, das in weiten Teilen aus musikalischen Beiträgen besteht, dennoch keinen Konzertcharakter hat, sondern inhaltlich die besonderen Anliegen und Sorgen der Menschen in Pandemie-Zeiten aufgreift und eine zusätzliche Gelegenheit zum Innehalten schafft.

„Seit Anfang des Jahres kommen hier auch regelmäßig Instrumentalisten der freien Szene zum Einsatz, deren Situation sich dramatisch zugespitzt hat“, erklärt Metternich. „Erst recht seitdem selbst in überschaubaren Gruppen Chorgesang wieder untersagt ist, sind sie eine große Bereicherung. Außerdem wollen wir bewusst ein Zeichen setzen und den Kolleginnen und Kollegen, die besonders hart betroffen sind, unter die Arme greifen.“ Trotzdem gehe es für die meisten nicht immer nur um die finanzielle Unterstützung, unterstreicht der Leiter der Dommusik. „Überhaupt wieder musizieren zu können ist ihnen fast noch wichtiger.“ Dabei spiele natürlich die Faszination dieses besonderen Raumes mit seiner unnachahmlichen Atmosphäre, der Binnenchor in unmittelbarer Nähe zum Dreikönigenschrein, eine entscheidende Rolle, während die Mitfeiernden immer wieder eine breite Palette an Musikliteratur und neue Konstellationen erlebten. „Wir hatten schon zwei Posaunen, eine Laute mit Gambe oder nur Celli.“ Die vielen Klicks bei DOMRADIO.DE belegten den Erfolg dieses neuen Formats.

„Corona hat noch einmal neu gezeigt, wie kostbar unser Beruf ist“, stellt Thomas Bonni derweil fest. „Wenn ich momentan in einer Kirche singen darf, werde ich ganz emotional. Denn was uns Musikern zurzeit fehlt, ist vor allem die Situation vor Publikum. Da entsteht ja immer eine wahnsinnig spannende Kommunikation, die beim Gegenüber etwas auslöst. So gesehen, sind wir ‚Sender’. Das zu spüren hat etwas Elektrisierendes“, betont der Sänger. Im Moment sei den Menschen ein wesentlicher Erfahrungsraum genommen, bedauert er. „Ich vermisse die Blase, die man sonst betritt und die durch nichts zu ersetzen ist.“ Gerade in den Kirchen, die ja vom „teatrum sacrum“ lebten, könne man eigentlich noch sehr viel mehr machen, meint Bonni, der selbst auch das C-Examen für Orgel hat. „Wir haben die großen Räume und großartige Interpreten. Das allein reicht doch schon, um die zwangsläufig entstandenen Freiräume sinnvoll zu füllen.“ Auch wenn anfangs die Geschwindigkeit, mit der im März 2020 alles zusammengebrochen sei, erschreckend gewesen sei, habe er schnell die Zeit dazu genutzt, neue Programme zu erarbeiten und als Ausgleich wenigstens in den eigenen vier Wänden zu musizieren. „Trotzdem fehlt sehr viel. Als Freiberufler ist man gewohnt, jedes Schiff zu kapern, das vorbeifährt. Dass dann eine Aufführung nach der anderen abgesagt wurde, hat für große Anspannung gesorgt. Da ist auch emotional viel kaputt gegangen.“

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Ähnlich sieht das Gabriele Nußberger. Auch für sie sind fast zwei Jahre Planungen dahin. Umso dankbarer ist sie für jede Gelegenheit, bei der sie ihre Geige auspacken kann. Vor ein paar Wochen hat sie auf Einladung von Domkapellmeister Eberhard Metternich während des Chorgebets im Kölner Dom gespielt. Und nun im Bergischen. „Aber von zwei, drei Mucken im Monat lässt sich ja noch keine Miete bezahlen“, seufzt sie. Auch sie hat die Pandemie wie so viele andere ihres Metiers kalt erwischt. Das letzte große Konzert, Beethovens Missa Solemnis, hat Nußberger Silvester 2019 gespielt; weitere große Beethoven-Konzerte standen im Jubiläumsjahr bereits fest. „Auch für ein riesiges Wagner-Projekt mit Kent Nagano in der Philharmonie war ich als Tutti-Geige schon gebucht. Jahrelange Vorbereitungen. Und dann von jetzt auf gleich nichts mehr. Alles, was man bis dahin fleißig trainiert hat, mal eben so weg“, berichtet die Musikerin. Es sei, als verliere man den Boden unter den Füßen. „Besonders hart ist“, gesteht die Geigerin, die sonst auch als Dirigentin mit Amateurorchestern arbeitet, „dass ich meine musikalischen Ideen nicht mehr weiterreichen kann.“

Glück im Unglück hat sie trotzdem. An der Musikschule in Bocholt war eine Teilzeitstelle für Geige und Bratsche ausgeschrieben. Nun hat sie dort sogar die Fachbereichsleitung übernommen und unterrichtet erst einmal online. Auch zwei Jugendorchester hängen an der neuen Aufgabe. Trotz großer Freude über diese unerwartete Chance in Corona-Zeiten, die ihr den Lebensunterhalt sichert, sucht Nußberger aber weiterhin nach den „wirklich erhebenden und inspirierenden Momente“, wie sie sagt. „Kirchenräume haben dafür die richtige Aura. Musik wirkt in ihnen wie ein Verstärker der gesprochenen Botschaft.“ Es gebe Kompositionen, die geradezu schweben ließen und Ursehnsüchte stillten. „Geistliche Musik an dem für sie bestimmten Ort zu machen“, betont Nußberger, „hat etwas Heilsames und geht einfach mitten durchs Herz.“

Text und Fotos – Domradiobeitrag vom 25. April/Beatrice Tomasetti