Mehr aufeinander zugehen, einander verzeihen und sich gegenseitig tragen und Stütze in den vielfältigen Herausforderungen des Alltags sein – das gab Pfarrer Andreas Süß am Ende des Gottesdienstes, den er am Fest der Heiligen Familie in St. Nikolaus feierte, den Gläubigen mit auf den Weg. Gleichzeitig verband er mit diesem Appell den Hinweis auf die vielen Hilfen, die Familien zur Verfügung stehen, wenn sie alleine nicht mehr weiter wissen oder in Not geraten sind. Namentlich nannte er die Ehe-, Familien- und Lebensberatung in Bergisch Gladbach, die Bensberger Alten- und Familienhilfe, die gemeindlichen Einkaufshilfen während der Corona-Pandemie, den ebenfalls vor wenigen Wochen installierten Telefondienst für Menschen, die einfach mal „ein nettes Gespräch“ führen wollen, und auch die zahlreichen anderen ehrenamtlichen Projekte, die jungen und alten Gemeindemitgliedern als konkrete Hilfen bei ihrer Alltagsbewältigung zugute kommen sollen.
Zuvor hatte Süß auch in seiner Predigt und in den Fürbitten die Familie ins Zentrum gestellt und für die gebetet, die es schwer miteinander haben oder deren Familie zerbrochen ist. Erwähnt wurden auch alle Institutionen wie zum Beispiel Kinderheime, die eine Familie ersetzen müssen, Familienpolitiker, die Entscheidungskompetenzen bei der Stärkung von Familien haben, oder die Kirche selbst, in der Familien Geborgenheit und Stärkung erfahren sollten. Jeder sei aufgerufen, so Süß, zur innerfamiliären Versöhnung seinen Teil beizutragen, aber sich auch als gesandte Töchter und Söhne Gottes für andere einzusetzen. „Die Evangelien erzählen von einer Familie, die zwar heilig – weil sie Gott auch in die alltäglichen Dinge des Lebens hineinläßt – ist und trotzdem alles andere als perfekt.“
Der Seelsorger erklärte, dass auch die Familie von Maria, Josef und Jesus harten inneren und äußeren Zerreißproben sowie Gefährdungen ausgesetzt war. „Da ist eine junge Frau, die unerwartet schwanger wird, und ein Mann, der zunächst nicht so richtig damit umzugehen weiß; eine Familie, die ohnehin schon wenig Geld hat und dann auch noch vor Verfolgung in ein fremdes Land fliehen muss.“ Später handele es sich um eine typisch komplizierte Mutter-Sohn-Beziehung. „Als Junge ist Jesus noch brav und zugänglich, doch in späteren Jahren geht er seinen ganz eigenen Weg. Zwischenzeitlich halten ihn seine Verwandten sogar für verrückt.“ Dass diese Familie allen Widrigkeiten zum Trotz mit Gott den Alltag bestreite und gerade darin zum heiligen Vorbild werde, das sei die überraschend moderne Seite dieses Festes, betonte Süß und weiter: „Das Alltägliche mit Liebe tun. Jeden Tag zu den Herausfoderungen ein JA sagen.“
Das Fest der Heiligen Familie wird immer am Sonntag nach Weihnachten gefeiert. Die „Heilige Familie“ ist das Idealbild einer Familie, deren Verehrung von der katholischen Kirche seit dem 19. Jahrhundert befördert wurde. Sie reagierte damit auf die sozialen Folgen der Industrialisierung und der damit einhergehenden Zerrüttung traditioneller Familienstrukturen. Die verklärten Darstellungen der „Heiligen Familie“ sollten Familien zu einem christlichen Lebenswandel anregen und wurden meist als fromm-kitschige Idylle gezeigt, die bis heute – gerade auch in der Bildenden Kunst – fortwirkt und die Familie so heilig macht, dass sie in der Wirklichkeit kaum bestehen kann und zu der heutigen Lebensrealität vieler Menschen nicht mehr passt. Denn als menschliche Einrichtung – das weiß jeder, der selbst eine Familie hat oder in einer Familie lebt – taugt auch die beste familiäre Gemeinschaft nicht für diesen Perfektionsanspruch.
Text und Foto – Beatrice Tomasetti