Ermutigung und Austausch

Der Neujahrsempfang des Kreiskatholikenrates war auch in diesem Jahr wieder Gradmesser für das große Engagement vieler ehrenamtlich tätiger Gemeindemitglieder

Die Flüchtlingsproblematik, ihre Herausforderungen und Chancen, standen diesmal im Zentrum der Ansprache von Gabriele Behr. Rund 150 Vertreter aus kirchlichen Gremien, Verbänden und Institutionen, aber auch die geladenen Gäste der Politik – unter ihnen Landrat Dr. Hermann-Josef Tebroke und der Landtagsabgeordnete Rainer Deppe – waren am Freitag der traditionellen Einladung der Kreiskatholikenratsvorsitzenden und der von Kreisdechant Norbert Hörter zum Auftakt des neuen Jahres gefolgt. Gewohnheitsgemäß treffen bei diesem Forum Anfang Januar immer alle Pfarrer und pastoralen Mitarbeiter aus den elf Seelsorgebereichen des Kreisdekanates mit den vielen, in den Pfarreien ehrenamtlich tätigen Pfarrgemeinderäten und Kirchenvorstandsmitgliedern zusammen. Damit ist diese Veranstaltung gleichzeitig immer auch ein Gradmesser für den beispielhaften Einsatz zahlloser ehrenamtlicher Kirchenvertreter, die die vielen hundert Kolleginnen und Kollegen an der Basis repräsentieren.

„Wie hat sich die Welt, wie hat sich Europa unter dem Einfluss von Krieg und Terror verändert! Welche unglaublichen Wege und Strapazen – bis hin zur realen Todesgefahr – nehmen Menschen auf sich, um den Auswirkungen in ihren Heimatländern zu entfliehen und bei uns Zuflucht und Freiheit zu suchen!“ Gleich zu Beginn machte Behr deutlich, was auch die 32 Gemeinden in Rhein-Berg aktuell bewegt und auf wen sich daher das Hauptaugenmerk allen kirchlichen Engagements am Anfang des Jahres 2016 richtet. Niemand könne von den Aufgaben durch den Zustrom an Flüchtlingen unberührt bleiben, viele Menschen plagten Sorgen und Ängste von bisher ungekannter Dimension, skizzierte sie allgemeine Beobachtungen und streifte in diesem Zusammenhang auch die jüngsten Ereignisse des Silvesterabends am Kölner Hauptbahnhof. „Wir haben uns nicht vorstellen können, mit welch brachialer Wucht sexualisierte Gewalt über uns hereinbrechen würde. Und gleichzeitig sage ich mit Entschiedenheit: ‚Jetzt erst Recht werden wir den Respekt – nicht nur für die Frauen, für alle Menschen – in einer offenen und pluralen Gesellschaft einfordern, und wir werden uns nicht verbiegen lassen und unsere Lebensform beibehalten!’“

Als einen der „Lichtblicke“ in diesem „Meer von Entsetzen über Gewalt und Terror“ benannte sie Bundeskanzlerin Angela Merkel, die angesichts der humanitären Katastrophe von zehntausenden unversorgten Menschen vor den südeuropäischen Grenzen das einzig Richtige getan und allen mit ihrer Haltung Mut gemacht habe. „Sie hat erreicht, dass sich neben den aus Bund, Ländern und Kommunen beruflich Handelnden mehr als 200.000 ehrenamtlich tätige Frauen, Männer und Jugendliche aus dem Raum der christlichen Kirchen engagieren. Sie alle lassen sich unermüdlich auf die Bewältigung der Notsituationen ein, übernehmen Verantwortung, und nur ein kleiner Prozentsatz hat sich bisher entmutigt zurückgezogen“, sagte Behr wörtlich, räumte aber dennoch ein, dass es in Teilen der  Bevölkerung durchaus auch berechtigte Befürchtungen über eine mögliche Überforderung des Einzelnen wie auch der Gesellschaft gebe. So legitim dies auch sei, führte sie weiter aus, müssten nun aber konkrete Lösungsansätze her. „Wir erleben, dass sich die Politik auf allen Ebenen intensiv mit Problemlösungen befasst. Wie äußerst intensiv darüber nachgedacht wird, wie ca. 350.000 neue Wohnungen in vertretbarer Zeit erstellt werden könnten. Wie der Ausbau von Ganztagsschulen aller Schularten und die Bereitstellung von ca. 80.000 zusätzlichen Kindergartenplätzen zu schaffen sei. Wie Integration auch durch eine Verzahnung von Sprachkursen und Berufspraktika sowie durch die Bereitstellung von ca. 100.000 Ein-Euro-Jobs zu bewerkstelligen ist.“

In diesem unausweichlichen Prozess des „Teilen-müssens“ sollte es für die Zuflucht Suchenden „Kulturvermittler“ geben, adressierte sie eine Idee an die Anwesenden. „Es ist unabdingbarer Konsens, dass sich Verständnis für unsere Kultur und Werte nicht automatisch mit dem Übertreten der Grenzverläufe einstellt!“, so Behr. Bei dieser Vermittlung bestehender Bräuche und Werte als Grundvoraussetzung für eine erfolgreiche Integration der Flüchtlinge in eine offene und pluralistische Gesellschaft regte die Kreiskatholikenratsvorsitzende „eine Kultur der Patenschaften“ an: für Familien, für Kinder, Frauen oder Männer. „Es steht uns gut an, unsere Pastoralkonzepte mit noch mehr gelebter Caritas fortzuschreiben!“, betonte sie und wünschte allen dazu „ganz viel Mut, Ausdauer und hohe Frustrationsschwellen“.

Worte der Ermutigung hatte zuvor in der Gladbacher Innenstadtkirche St. Laurentius auch Weihbischof Ansgar Puff ins Zentrum seiner Betrachtung gestellt. In Anlehnung an das Bibelwort „Herr, Du hast Worte ewigen Lebens“, mit dem auch die nun beginnende bischöfliche Visitation innerhalb des Kreisdekanates in den kommenden Wochen überschrieben ist, mahnte er das Auffinden von „Spuren Gottes“ und „Offene Türen“ an, gerade auch bei gesellschaftlich relevanten Fragen, wie dem Umgang mit den Flüchtlingen. Außerdem forderte er in seiner Predigt „offene Türen“ bei einem Weg zurück in die Kirche. Der Bischof sprach von 217.000 Menschen, die 2015 der Kirche den Rücken gekehrt haben. Wie viele darüber hinaus lautlos die Kirche verlassen hätten, wüsste niemand, führte der Gast aus Köln aus. Dabei gestand er überraschend ehrlich ein, auch selbst als Jugendlicher im Alter von 16 Jahren einmal „weggegangen“ zu sein, aber später in Freiheit zurückgefunden zu haben. „Einen echten Glauben finden wir nur, wenn es auch Freiheit gibt“, unterstrich Puff wörtlich. Gott schenke diese Freiheit, dennoch sei er nie gleichgültig. „Wir müssen uns für die Menschen interessieren, die weggehen, und eine Tür für sie offen halten.“

Die jetzt anstehende Visitation im Kreisdekanat Rhein-Berg verstehe er weder als „einen Kontrollbesuch noch als Beschäftigungsprogramm“, stellte er unmissverständlich fest. Vielmehr gehe es um das gemeinsame Hören auf Jesu „Worte ewigen Lebens“. Er wolle mit den Gläubigen ihren Alltag erleben. „Mich interessiert, was hier in den Gemeinden wirklich ist: der Glanz und die Beulen.“ Das gemeinsam anzuschauen und anzuhören sei Sinn einer Visitation. Herzlich beteuerte der Weihbischof: „Ich freue mich, dass ich in Ihren Gemeinden zu Gast sein darf!“

Text – Beatrice Tomasetti
Foto – Siegbert Klein