Die Bedeutung der Heiligen Schrift im alltäglichen Leben

An diesem Sonntag feierte die Kirche den „Wort-Gottes-Sonntag“, den Papst Franziskus 2019 eingeführt hat. In seiner Predigt ging Diakon Neuhoff der Frage nach, wie Gottes Wort ein Echo im eigenen Leben finden kann. Seine Predigt ist nachfolgend im Wortlaut dokumentiert:

Liebe Schwestern und Brüder,

ich nehme an, dass Sie alle schon mal irgendwo in den Bergen waren. Und wenn man so in den Bergen unterwegs ist und durch eine Schlucht geht oder vor einer Felswand steht, kommt man sehr schnell auf die Idee auszuprobieren, ob es denn dort ein schönes Echo gibt. Und dann ruft man oder pfeift man, so laut man kann, und hört sich an, wie Berge und Felsen den Klang zurückwerfen: manchmal einfach, manchmal sogar mehrfach.

Heute werden wir erneut Zeugen eines Echos. Aber wer ruft? Was ruft er? Und wie wird der Ruf zurückgeworfen? Papst Franziskus hat im Jahr 2019 den „Wort-Gottes-Sonntag“ eingeführt, der alljährlich am dritten Sonntag im Jahreskreis gefeiert werden soll. Da wir in Deutschland schon seit langem den ökumenischen Bibelsonntag am letzten Sonntag im Januar feiern – also heute – tun wir dies fortan gemeinsam mit dem weltweiten „Wort-Gottes-Sonntag“. Aus diesem Grund wollen wir uns heute besonders mit dem Wort Gottes auseinandersetzen und können auf die eben gestellten Fragen antworten.

Wer ruft heute? Gott selbst, der sich dabei Lektoren, Diakone und Priester zu Nutze macht. Was ruft er? Sein Wort, das Wort Gottes, die Heilige Schrift. In welcher Umgebung erklingt das Wort, und wie wird es zurückgeworfen? Es erklingt in unserem Leben, jedes so einzigartig wie die Berge, und es wird durch Situationen und Ereignisse unseres Lebens zurückgeworfen.

Im heutigen Evangelium haben wir genau dies gehört. Jesus lehrt die Menschen in der Synagoge von Kafarnaum. Es wird nicht gesagt, was Jesus lehrt, aber wir hören, dass die Menschen sehr betroffen sind von seiner Lehre. Das was Jesus sagt, lässt sie nicht gleichgültig, es versetzt in Aufruhr und Erstaunen, es bewegt etwas in den Menschen. Die Lehre Jesu entfaltet sofort eine Wirkung. Umso deutlicher wird dies, als Jesus zum unreinen Geist sagt: Schweig, und verlass ihn! Dies treibt die Wirkung des Wortes Gottes auf die Spitze und zeigt uns: Das Wort Gottes ist performativ. Es gibt einen direkten Zusammenhang zwischen dem Wort und der Wirkung, die es entfaltet. Jesus spricht und es geschieht. Wie ist dies möglich?

Dies ist möglich, weil Jesus selbst das Wort Gottes ist! „Im Anfang war das Wort und das Wort war bei Gott und das Wort war Gott“, lesen wir am Anfang des Johannesevangeliums. Jesus ist damit die Botschaft Gott an uns. In der ersten Lesung haben wir gehört, wie Gott das Prophetentum eingesetzt hat. Über Jahrtausende traten Propheten in Gottes Namen auf und verkündeten dem Volk Israel das Wort Gottes. Sie riefen es zur Umkehr und sprachen Trost oder Drohung aus. Bis Gott schließlich selbst als fleischgewordenes Wort Gottes auf der Erde erschien. Aus diesem Grund haben wir an diesem Sonntag zwei besondere Zeichen in der Kirche vorbereitet. Wenn Sie in die Krippe schauen, sehen Sie, dass anstelle des neugeborenen Jesus eine Bibel in der Krippe liegt. Und hier vorne sehen Sie, dass wir das Evangeliar bewusst in die Mitte vor den Altar gerückt haben. So wird deutlich: In der Krippe begegnen wir dem gleichen Jesus, dem wir im Wort Gottes begegnen, und dieser wiederum ist der gleiche Jesus, den wir gleich im Sakrament auf diesem Altar verehren. Krippe, Eucharistie und Heilige Schrift sind nicht voneinander zu trennen und das eine nicht ohne die anderen zu verstehen.

Aber zurück in die Berge. Jedes Mal, wenn Gottes Wort an uns ergeht, sei es hier in der Heiligen Messe, sei es, wenn wir zu Hause einzeln oder gemeinsam in der Heiligen Schrift lesen, jedes Mal erschallt ein Ruf Gottes. Und dieser Schall klingt durch die Berge, er klingt in unser Leben und sucht den Punkt, wo er es trifft und zurückgeworfen wird als eine Antwort, die eine Wirkung entfaltet.

Am 16. Februar 2012 saß ich in Mexiko-City in einem Priesterseminar und habe in der Heiligen Schrift gelesen. Und plötzlich erschall der Ruf Gottes. Ich las: „Fürchte dich nicht! Von jetzt an wirst du Menschen fangen.“ Und dieser Ruf traf auf mein Leben in einem Moment, in dem ich auf der Suche war und nicht genau wusste, wie es in meinem Leben weitergehen soll, wohin ich mich bewegen soll. Und diese meine Situation warf ein Echo zurück, das sagte: Ja, Herr, ich folge dir, ich will Menschenfischer werden. Das Wort Gottes bewirkte das, was es ausgesagt hatte. Vielleicht haben auch Sie schon die Erfahrung gemacht, dass ein Wort der Heiligen Schrift in einer bestimmten Situation genau das war, was Sie gerade benötigten, oder dass es gar Ihr Leben verändert hat.

Der heutige Wort-Gottes-Sonntag gibt uns einen guten Anlass, die Heilige Schrift wieder ins Zentrum unseres alltäglichen Lebens zu rücken. In unserem Herzen, aber auch ganz praktisch. Richten Sie zum Beispiel in Ihrer Wohnung/ in Ihrem Haus einen besonderen Platz für die Bibel ein, am besten an einer Stelle, wo sie regelmäßig dran vorbeigehen, gut sichtbar. Nehmen Sie sich täglich einen kurzen Moment, legen Sie das Handy mal weg, klappen den Laptop zu oder schalten Sie den Fernseher aus und lesen Sie in der Heiligen Schrift. Geben Sie Gott so die Gelegenheit, in Ihr Leben zu rufen, und seien Sie aufmerksam, wo das Wort Gottes Sie trifft. Fragen Sie sich: Was hat dieses oder jenes mit meinem Leben zu tun, und seien Sie gespannt auf das Echo. Gerade in dieser Zeit, die für immer mehr Menschen, Alleinstehende, Alte, und besonders Familien mit Kindern, zur enormen Belastung wird, die sie an den Rand der Erschöpfung treibt, gerade in dieser Zeit brauchen wir das Wort Gottes, um herausgerissen zu werden aus dem Sumpf eigener Sorgen und Nöte, um uns trösten zu lassen, um Zuspruch zu erfahren, um ermutigt zu werden, um uns stärken zu lassen, um uns beratschlagen zu lassen, vielleicht auch um uns anklagen zu lassen, um umzukehren oder um Hoffnung zu bekommen. Schlussendlich, um gemeinsam mit Gott durch unser Leben zu gehen.

Gott will zu uns sprechen, er will mit uns kommunizieren. Setzen wir uns seinem Wort aus und antworten wir ihm mit unserem Leben! Die Kraft dazu, schenkt er selbst, der sich hingegeben hat für jeden von uns, und der sich uns geschenkt hat in der Eucharistie, die wir nun feiern.
Amen.