Seit Beginn des Ukraine-Krieges klagen die Tafeln, dass sie nicht genügend Lebensmittel für die vielen Menschen haben, die als Geflüchtete noch zu den ohnehin schon vielen Tafelberechtigten dazu gekommen sind. Das Problem bleibt akut.
Frau Eichholz, wie ist das, wenn man eigentlich geben will, aber nichts mehr hat und in lauter enttäuschte Gesichter schaut?
Dagmar Eichholz (Teamleiterin der Tafel Bergisch Gladbach-Bensberg und Mitglied im Pfarrgemeinderat): Das setzt mir mehr und mehr zu. Am Anfang, wenn wir die Türen aufmachen, sind die Regale ja noch gut gefüllt. Die Menschen, die zu uns kommen und hoffen, für die kommenden Tage genug Lebensmittel mitzubekommen, sehen also, dass die Auswahl groß ist. Wenn man dann aber nur Gemüse oder Obst handverlesen verteilen kann – also statt drei Paprika nur eine – ist das schon schwer. Unsere Kunden sind dann nicht nur enttäuscht, sondern immer häufiger auch regelrecht verärgert, zumal wir ihnen das Verteilprinzip wegen der großen Sprachbarriere kaum erklären können. Ihnen ist nicht verständlich zu machen, dass die Ware für alle reichen muss und dass wir mehr einfach nicht haben. Die vielen älteren Ukrainer zum Beispiel verstehen kein Wort Deutsch oder Englisch. Sie reden dann auf uns ein, und wir haben dem nichts entgegenzusetzen.
Dass wir Masken tragen, erschwert die Verständigung zusätzlich, weil sie dann nicht einmal das Bedauern in unserem Blick sehen können, dass wir gerne anders handeln würden. Das ist unbefriedigend und sehr frustrierend, gerade auch wenn man in große fragende Kinderaugen schaut, was für mich das Schlimmste ist. Wir leben in einem reichen Land, und dann fehlt es an Kleinigkeiten. Diese Ungerechtigkeit macht ein Stück weit auch wütend, so dass ich mittlerweile mental ausgelaugt und manchmal richtig müde bin. Trotzdem versuche ich, meine Arbeit nach wie vor mit der größtmöglichen Empathie zu machen. Dabei hilft, dass die Konfrontation mit Not immer auch demütig macht und einen ein gutes Stück erdet.
Der Versorgungsengpass aufgrund des Krieges und den vielen zusätzlichen Tafelkunden ist bekannt. Wie sieht es denn nun nach acht Monaten aus? Wie viele Menschen müssen Sie in der Regel versorgen?
Eichholz: Vor dem Ukraine-Krieg waren das etwa 45 Haushalte. Zum Großteil handelte es sich um syrische, irakische oder türkische Kurden, die im Zuge der Flüchtlingsströme 2015 zu uns gekommen sind, meist mit großen Familien, zu denen oft mehrere, mitunter sogar bis zu sieben Kinder gehören. Da konnten wir aber die riesigen Einkaufstaschen auch noch gut füllen. Inzwischen haben sich die Kunden mehr als verdoppelt. Hatte sich das im Sommer vorübergehend auf 80 Haushalte eingependelt, weil einige Ukrainer auch zurück in die Heimat gegangen sind, sind wir nun aktuell wieder bei weit über 100. Das heißt, am Ende einer Tafelausgabe behalten wir absolut nichts mehr übrig und müssen vorher ganz genau mit dem, was da ist, haushalten, damit die letzten Kunden nicht leer ausgehen und umsonst angestanden haben. Die Lebensmittelmärkte wissen um dieses Problem, aber sie kalkulieren für sich inzwischen aufgrund der steigenden Preise ja auch anders und setzen Lebensmittel mit Ablaufdatum nun häufiger ins Sonderangebot, statt sie zur Tafel zu geben. Solche Ware fehlt uns jetzt. Das ist ungemein deprimierend.
Können Sie denn zusätzliche Quellen auftun, um weiterhin für alle Lebensmittelbezieher ausreichend sorgen zu können?
Eichholz: Alle Supermärkte in der Region, die sich am Tafel-Projekt beteiligen, tun ihr Mögliches, aber deren Ressourcen sind nun mal begrenzt. Wir können nur um Geldspenden an unseren Tafel-Verein bitten, damit zusätzliche Lebensmittel beschafft werden können. Von einem solchen Geld haben wir zum Beispiel zuletzt einmal 360 Stücke Butter gekauft. Aber selbst wenn wir mehr Gemüse bekämen, brauchten wir entsprechend mehr Man-Power, also zusätzliche Mitarbeiter fürs Sortieren, und hätten außerdem Schwierigkeiten bei der Lagerung. Eine gute Lösung ist, wenn die Supermärkte eigeninitiativ dazu aufrufen, Waren-Gutscheine zu kaufen und diese dem Verein zur Verfügung stellen, damit auch mal Produkte wie Öl, was wir eigentlich so gut wie nie bekommen und ja inzwischen richtig teuer ist, davon gekauft werden könnten. Solche Aktionen wären eine sinnvolle Unterstützung.
Etwa die Hälfte der Tafelbezieher kommt aus den Kriegsgebieten der Ukraine. Wie kommt das? Man könnte meinen, diese Geflüchteten sind doch nicht alle arm…
Eichholz: Das ist richtig. Im Gegenteil, die meisten von ihnen wussten bisher nicht, was es heißt, bedürftig zu sein, weil sie noch nie in einer Notlage waren. Der Krieg hat nun alles verändert. Da sie nur begrenzt ihr Geld in Deutschland umtauschen oder überhaupt ins Land transferieren können, also nur über limitierte finanzielle Mittel verfügen, erhalten sie wie alle anderen Geflüchteten auch Sozialleistungen und sind auf die Tafeln angewiesen. Trotzdem erlebe ich die ukrainischen Familien als äußerst kritisch. Sie nehmen noch lange nicht alles, was ihnen angeboten wird. Es ist ein Problem, dass sie sehr wählerisch sind. Dennoch kommen sie – wie die anderen auch – mit ihren Unterlagen vom Jobcenter, sind gegenüber den Bestandkunden – das wurde ja schon oft kritisch angemerkt – aber durchaus in einer privilegierten Situation. Dennoch achten wir immer darauf, dass bei der Lebensmittelausgabe nicht mit unterschiedlichem Maß gemessen wird und es weitgehend gerecht zugeht, was schwer ist. Denn es ist einfach nicht genug da.
An welchen Lebensmitteln fehlt es denn besonders? Und wie kann man helfen?
Eichholz: An allem, was gekühlt lagern muss: Milchprodukte wie Yoghourts, Käse, Butter, Eier und Aufschnitt, auch in veganen Varianten. Damit sind wir wieder beim Thema: Wie löse ich das, wenn ich eine vierköpfige Familie habe, aber nur ein Yoghourt abgeben kann? Das sorgt für viel Unmut. Von daher ist die allgemeine Stimmung nicht gut. Manche Kunden reagieren auch richtig böse, drehen sich um und zucken mit den Schultern. Leider sind einige sehr fordernd. Da muss man auch schon mal rigoros sein, und das macht natürlich etwas mit einem. Außerdem ist es – wie gesagt – bis zum letzten Tafelbesucher immer ein Vabanque-Spiel: Man muss genau abschätzen können, wie viel Ware man hat, um auch zum Schluss noch etwas für die letzte Gruppe übrig zu haben. Niemand soll schließlich leer ausgehen. Aber das ist eine große Herausforderung.
Man weiß am Tag selbst ja nie, wie viele wirklich kommen. Und sollten dauerhaft mit einer neuen Flüchtlingswelle noch mehr kommen, dann muss der Staat sich eine andere Lösung einfallen lassen. Mehr können wir einfach nicht leisten. Schon so ist das Ganze eine enorme Belastung für den Einzelnen, so dass das auch etwas mit der Motivation innerhalb der Gruppe der Helferinnen und Helfer macht. Klar ist – darüber haben wir schon mehrfach diskutiert – wir wollen keinen Aufnahmestopp. Das wäre für uns der „worst case“. Das mögen andere Tafeln für sich so entschieden haben, als sie den Ansturm nicht mehr bewältigen konnten. Für uns aber kommt das nicht infrage. Dann würden wir eher die Gruppe teilen wollen und jeden Kunden nur noch alle zwei Wochen bedienen.
Noch sieben Wochen bis Weihnachten. Für die Geflüchteten aus zerstörten Städten und Dörfern in der Ukraine ist das emotional noch einmal eine ganz besonders belastende Situation, weil sie nicht nur ihre Heimat und Angehörige vermissen, sondern obendrein unter Umständen nicht an festlich und vor allem reichlich gedeckten Tafeln – im wahrsten Sinne des Wortes – sitzen. Wie gehen Sie damit um?
Eichholz: Das ist die Realität von Tafeln, dass Weihnachten für alle nochmals eine ganz besondere emotionale Herausforderung schafft: für die Kunden, aber auch für das gesamte Tafelteam. Zum Glück haben wir die „Weihnachtsgeschenke-Aktion“ unseres Vereins, zu der in jedem Jahr über die Tagesmedien aufgerufen wird. Das heißt, die Bevölkerung kann mit selbst gepackten Paketen an Tafelkunden direkt spenden. Ab Mitte Dezember besteht die Möglichkeit, bei den Banken des Stadtgebietes Pakete mit haltbaren Lebensmitteln abzugeben – wenn möglich auch ein wenig persönlich gestaltet, vielleicht mit einer Kerze, einem Weihnachtsgruß, einer kleinen Bastelarbeit oder auch einer Sektflasche.
Im Laufe der letzten Jahre sind da immer wirklich liebevoll gestaltete Pakete ganz unterschiedlicher Größenordnung zusammengekommen, die dann zu einem veröffentlichten Termin kurz vor Heiligabend im Gladbacher „Löwen“ von den Tafelkunden abgeholt werden können. Jede Familie ist berechtigt, ein solches Paket zu bekommen. Darin darf dann auch gerne schon mal etwas Gehaltvolleres wie Kaffee oder Pralinen sein, also nicht unbedingt nur Notwendiges. Schließlich ist ja Weihnachten. Und da geht es um mehr als „nur“ das Abwenden von Not: auch um eine Geste der Solidarität, Warmherzigkeit und Zugewandtheit.
Interview und Foto – Beatrice Tomasetti