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Von Gott in eine geheimnisvolle Beziehung gerufen

Die Predigt zum Diamantenen Priesterjubiläum von Pfr. i. R. Ludwig Fußhoeller am 28. Februar im Wortlaut

Zehn Jahre sind es jetzt her, dass wir hier in St. Joseph ein Goldenes Priesterjubiläum gefeiert haben – Dein Jubiläum, lieber Ludwig – und schon damals war es ein besonderes Ereignis, mit Dir dankbar auf ein halbes Jahrhundert priesterlichen Dienstes mit all seinen Stationen zurückzublicken. Heute, zehn Jahre später, ist uns vergönnt, mit Dir Dein Diamantenes Priesterjubiläum zu feiern. [1]

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Wie außergewöhnlich dieses Fest ist, zeigt sich schon daran, dass von den 28 jungen Männern, die damals, am 23. Februar 1956, von Kardinal Frings in St. Heribert, Köln-Deutz geweiht wurden – in der Eiseskälte des Kölner Doms war es dafür zu kalt – dass von diesen 28 nur drei diesen 60. Jahrestag erreicht haben. Aber nicht die reine Dauer dieser 60 Jahre ist der eigentliche Grund dieses Festes, sondern das Staunen darüber, welche Fruchtbarkeit Dein „Adsum – Ich bin bereit“, das Du damals vor dem Bischof gesprochen hast, in diesen sechs Jahrzehnten entfaltet hat – und unsere große Dankbarkeit angesichts der Tatsache, dass wir hier in Bensberg und Moitzfeld nun schon 19 Jahre lang Nutznießer dieses fruchtbaren Wirkens sein dürfen. Dass diese Fruchtbarkeit nicht allein Dein Werk ist, das ist Dir wohl bewusst, und darum war es Dir wichtig, dass ich Dir heute keine Laudatio halte und kein Resümee Deines beruflichen Werdeganges vorlege, sondern unter dem Stichwort „Berufung“ für uns alle einen Blick auf jene geheimnisvolle Beziehung werfe, in die der unendlich große Gott uns armseligen Menschen aus Liebe hineinruft, damit in dieser Beziehung und durch diese Beziehung der „Feigenbaum“ unseres Lebens sich zu seiner ganzen Fülle entfalte und Frucht bringe – für uns selbst und füreinander. Und diesem Wunsch entspreche ich gerne – auch aus Dankbarkeit für all das, was ich an geistlicher und menschlicher Potenz in den immerhin 18 Jahren unserer Zusammenarbeit an Dir erleben durfte.

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Dieser Ruf Gottes, von dem ich gerade sprach, gilt uns allen. In Taufe und Firmung sind wir von Gott hineingerufen in seine Familie, in der er für uns Vater und Mutter zugleich ist und wir miteinander Brüder und Schwestern Jesu Christi sind. Aber er hat uns nicht nur in diesen Beziehungsraum, in diese Gemeinschaft mit ihm und untereinander, hineingerufen, sondern uns zugleich damit auch berufen und befähigt, für die Menschen da zu sein, „Licht der Welt und Salz der Erde“ zu sein, seine Menschenfreundlichkeit nicht nur zu verkünden, sondern auch zu verkörpern – Gott hat keine anderen Hände als die unsrigen. Wenn wir von „Berufung“ sprechen, dann denken wir oft allzu schnell nur an sogenannte „geistliche Berufe“. Das hat zwar eine lange Tradition, wird dadurch aber nicht richtiger. Das letzte Konzil hat uns neu den Blick dafür geöffnet, dass vorgängig zu allen Berufungen in eine spezifische Rolle oder zu einem besonderen Dienst in der Kirche die gemeinsame fundamentale Berufung aller Getauften durch Gott zu bedenken ist, diese Berufung, die allen die gleiche Würde verleiht und in der Kraft des Gottesgeistes jeden einzelnen befähigen will, an seinem Platz, in seinem Beruf, in seiner Familie, in seiner Position in der Gesellschaft – auch im Raum der Gemeinde – Mitsorge dafür zu tragen, dass mitten in unserer Welt etwas vom „Schalom“, von der Lebensfülle spürbar wird, die Gott uns schenken will.

Es trifft sich, dass uns in der heutigen Lesung aus dem Buch Exodus eine Berufungsgeschichte begegnet. Mose, der aus Ägypten geflohene Totschläger, ist in der Fremde als Flüchtling zum Hirten geworden. Als er die Herde seines Schwiegervaters durch die Steppe treibt, begegnet ihm im Zeichen eines brennenden – aber nicht verbrennenden – Dornbuschs Gott selbst, der sich ihm mit seinem Namen „Jahwe (Ich bin der Ich-bin-da-für-Euch)“ offenbart und ihn sendet, dass er sein Volk Israel aus der Sklaverei des Pharao hinaus in die Freiheit führe. Eine „mission impossible“, ein eigentlich unmöglicher Auftrag, müsste man realistischer Weise sagen – und so erlebt es Mose auch: zurückzukehren in die Höhle des Löwen, ein Volk von Sklaven, das ihm, dem am Königshof Aufgewachsenen fremd ist, zum Aufbruch in eine ungewisse Zukunft zu motivieren, und das auch noch gegen den erbitterten Widerstand der Herrschenden – wie soll das gehen? Und doch lässt Mose sich auf dieses „Himmelfahrtskommando“ ein – nicht im Vertrauen auf sich selbst, sondern im Vertrauen darauf, dass Gott ihm beisteht und dass sein Name „Ich bin der Ich-bin-da-für-euch“ nicht trügt.

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In dieser Szene mit dem brennenden Dornbusch erkenne ich drei Elemente, die irgendwie zu jeder Berufungsgeschichte dazugehören, zu Deiner Ludwig, aber auch zur Glaubens- und Berufungsgeschichte jedes Getauften.
1.) Am Anfang stehen Neugier und Staunen, steht etwas, was meine Aufmerksamkeit erregt und mich aus den scheinbaren Selbstverständlichkeiten des Alltags herausholt. Und dieses „Besondere“, Anrührende und Bewegende hat etwas Leuchtendes und Wärmendes an sich, es ist in der Lage zu zünden, einen Funken überspringen zu lassen. „Brannte uns nicht das Herz, als er auf dem Weg mit uns sprach?“, erinnern sich die Emmaus-Jünger nach ihrer Begegnung mit dem Auferstandenen. Für Dich, Ludwig, waren es in Deiner Jugend – nur wenige Jahre nach den traumatisierenden Erfahrungen des 2. Weltkriegs – jene intensiven Tage in Maria Laach zusammen mit anderen Jugendlichen und dem eindrucksvollen Jesuitenpater Karl Gerhards, wo es gefunkt hat und Du Deine spezielle Berufung gespürt hast. Auch bei allen Erwachsenen, die ich in den vergangenen Jahren zur Taufe geführt habe, war es – bei aller Unterschiedlichkeit im Einzelnen – immer eine anrührende, zündende Erfahrung, die sie neugierig gemacht und auf den Weg gebracht hat, sich auf Jesus Christus und seine Botschaft einzulassen. Erfahrungen, Begegnungen, Menschen, die für uns zum „brennenden Dornbusch“ werden, die also etwas aufblitzen lassen von diesem Gott, der ein „Gott-für-uns“ ist, die brauchen wir alle, – insbesondere auch wir, die wir als Säuglinge getauft wurden und uns damit zunächst gar nicht selbst entscheiden mussten –, wir brauchen sie, um aus dem lähmenden Trott des Alltags und den Scheinselbstverständlichkeiten unseres Lebens herausgerissen zu werden und um den Ruf hören zu können, mit dem Gott uns anspricht.

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2.) Mose erlebt seine Inanspruchnahme als eine „Mission impossible“. Sein Gefühl sagt: Gott verlangt zu viel von mir; wie soll das gehen, angesichts der herrschenden Verhältnisse? Berufung hat es mit dem Aufbruch aus vertrauten und damit sichernden Bahnen zu tun, mit der Bereitschaft, ein Abenteuer zu wagen, dessen Ausgang ich nicht kenne, nicht kennen kann. Auf der einen Seite lockt das, auf der anderen Seite macht es auch Angst. Paare, die sich das Eheversprechen geben, kennen das; Eltern, die einem Kind das Leben schenken, Menschen, die sich als Unternehmer selbständig machen, kennen das. Auch Christen, die spüren, dass sie ihren Glauben nicht auf Tauchstation leben können, sondern gerufen sind, Zivilcourage zu zeigen, zu ihrem Glauben zu stehen, ihn glaubwürdig zu bezeugen und Verantwortung in Kirche und Welt zu übernehmen, kennen das. Wie soll das gehen, fragen sie sich – in dieser Gesellschaft, in der christliche Überzeugungen  (wenn sie denn überhaupt noch bekannt sind) weithin als uncool gelten; in meinem Beruf, der mich auslaugt und dessen Spielregel scheinbar keinen Platz für den Glauben und seine Werte lassen; wie soll das gehen in dieser Kirche, die eine Unmenge Vertrauen verspielt hat und eine entsetzliche Zerrissenheit an den Tag legt? Mission impossible? Auch Du, lieber Ludwig, hast am Anfang Deines Weges zum Priestertum und im priesterlichen Dienst solche Erfahrungen von Enge, Überforderung und Ratlosigkeit machen müssen; Erfahrungen, durch die das Verheißungsvolle der Berufung und das Lockende dieser Aufgabe überdeckt zu werden drohte. Die Jüngeren von uns können sich das ja gar nicht mehr vorstellen: die Dürre einer in vielem erstarrten Theologie, die Gewissensängste, die durch eine zwanghafte Moral und Rubrizistik gezüchtet wurden, die Prägung durch ein klerikalistisches Kirchenbild im Zeichen von „Hochwürden“, das Dich den Menschen zu entfremden drohte, denen Du doch den „Gott-für-uns“ nahebringen wolltest. Dass Du daran nicht nur nicht zerbrochen bist, sondern durch diese Klamm, diese dunkle Schlucht hindurch den Weg zur wahren Gestalt Deiner Berufung gefunden hast, ist für mich ein „Wunder“ im eigentlichen Sinn: ein Geschehen, in dem spürbar wird, dass Gott die, die er ruft, nicht umkommen lässt, sondern wirklich ein „ich-bin-da“ ein „Gott-für-uns“ ist. Für Dich waren es vor allem die Begegnung mit der Priesterbruderschaft von Charles de Foucauld, die ja Deine geistliche Heimat geworden ist, und natürlich das II. Vatikanum, die den Weg in eine neue Zeit, in eine neue Weite eröffnet haben.

3.) Und darin wird ein drittes Element erkennbar, das in jeder wahren Berufung eine Rolle spielt: in der Sendung durch Gott geht es immer um Befreiung, um einen Weg aus der Enge (Angst) ins Weite. „Du führst mich hinaus ins Weite, du machst meine Finsternis hell“, heißt es in einem der Psalmen. Wir alle kennen ja nur zu gut das Gegenteil: die Zwänge, denen wir uns ausgeliefert fühlen, die Ketten, die wir gern sprengen würden, die Beklemmung, die uns den freien Atem abschnürt – und davon soll uns der „Gott-für-uns“ befreien, wenn wir auf seinen Anruf hören, wenn wir uns auf das Abenteuer des Weges mit ihm einlassen? Du hast diese Erfahrung machen dürfen – nicht als ein plötzliches Schalterumlegen, sondern als Frucht eines langen und zuweilen schmerzhaften Prozesses, wobei Du in Deinem Alter noch die Ausbildung zum geistlichen Begleiter und Exerzitienleiter auf Dich genommen hast. Und da gilt: „Wer befreit ist, kann befreien!“ Das Bild des „verwundeten Arztes“ fällt mir dazu ein: Vor dem Hintergrund Deiner eigenen Befreiungserfahrung hast Du vielen Menschen mit einer besonderen Glaubwürdigkeit die Botschaft von dem liebenden und befreienden Gott nahebringen und ihnen aus ihren Nöten und Zwängen heraushelfen können, die sie vom wahren Leben abtrennten.

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Lieber Ludwig, Du hast auf Deinem langen Weg als Priester mit großer Bewegung und Freude erleben dürfen, wie viele, viele Menschen ihre eigene Berufung als Christen in dieser Welt entdeckt und eingeübt haben: in den schon legendären Kursen „Kirche miteinander leben lernen“, in den Gremien und Gruppen Deiner beiden Gemeinden, die Du geleitet hast, in den Gruppen berufstätiger Frauen, die Du durch viele Jahre begleitet hast, und in zahllosen Begegnungen bei unseren Familienwochenenden oder bei Exerzitien und geistlichen Begleitungen. Die Freude darüber und die Dankbarkeit dafür spürt man deutlich bei Dir, und wir teilen sie heute mit Dir. Die Zuversicht, die daraus erwächst, möge Dich stärken für die Jahre, die noch vor Dir liegen – und Dir Hoffnung machen, auch wenn die Zahl der geistlichen Berufungen im traditionellen Sinne gering ist und dabei auch noch etliche das Rad zurückdrehen und „Hochwürden“ gern wiederbeleben möchten. Ich bin sicher, je deutlicher wir alle den „brennenden Dornbusch“ in unserem Leben entdecken und dem Ruf vertrauen, der uns daraus erreichen will, desto intensiver werden wir miteinander leben, desto barmherziger werden wir miteinander umgehen und desto weniger werden diejenigen ausrichten können, die Angst vor der Freiheit und Weite haben, in die Gott die Seinen führen möchte – auch durch uns.

Heinz-Peter Janßen, Pfr. i. R.
Fotos – Beatrice Tomasetti