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„Menschen suchen immer noch nach Gott“

Der Hildesheimer Bischof Norbert Trelle predigte an einem ehemaligen Wirkungsort

Zu Hartnäckigkeit bei der Suche nach Gott ermutigt der Hildesheimer Bischof Norbert Trelle. Diese Suche gehöre „zum Wesen eines jeden Christen, ja vielleicht eines jeden Menschen, der sein Leben bewusst und sinnvoll gestalten will“. Das sagte der Geistliche, der in den Jahren von 1992 bis 2006 Weihbischof in Köln war, heute Morgen in der dritten und damit letzten Frühmesse anlässlich der Vollversammlung der Deutschen Bischöfe in der Bensberger Edith-Stein-Kapelle. Gleichzeitig erinnerte Trelle in seiner Predigt an das zwischen 1993 und 1996 in Bensberg vom Erzbistum Köln durchgeführte „Pastoralgespräch“, in dessen Verlauf damals − wie in anderen Diözesen auch − Menschen unterschiedlichster Herkunft mit ebenso unterschiedlichen Lebenszusammenhängen und Glaubenserfahrungen zusammengekommen waren, um Grundsätze für eine künftige Seelsorge zu überdenken.
Viele hätten Mühe, Gottes Spuren zu erkennen, und stellten die Frage „Wo warst du, Gott“, führte der stellvertretende Konferenz-Vorsitzende weiter aus. Aber gerade deswegen hörten sie nicht auf, ihn zu suchen. Der hartnäckig Bittende und Fragende erhalte zwar nicht die baldige Erfüllung seiner Wünsche, aber „den Heiligen Geist“, der zum wahren Hören und Beten mit Gottes Wort anleite, so Trelle.
Nachfolgend ist die vollständige Predigt von Bischof Norbert Trelle im Wortlaut dokumentiert:

Liebe Brüder, liebe Schwestern,

im Kapitel 58 seiner Mönchsregel gibt der Heilige Benedikt ausführliche Anweisungen, wie zu verfahren ist, wenn jemand um Aufnahme in die Gemeinschaft bittet. Hauptkriterium für die Aufnahme eines Novizen in den Mönchsstand ist es − so wörtlich, „ob er wirklich Gott sucht“ – „si revera Deum quaerit“ (58, 7). Nun ist die Suche nach Gott nichts ausschließlich Monastisches, sie gehört vielmehr zum Wesen eines jeden Christen, ja vielleicht eines jeden Menschen, der sein Leben bewusst und sinnvoll gestalten will. Die Vorstellungen jedoch von dem, „was“ bzw. „wen“ man als „Gott“ sucht, sind sehr verschieden – je nach Religion, Konfession, Alter und Stand.
Verschieden sind auch die Erfahrungen der Gott suchenden Menschen, wie Gott sich finden lässt und wie viel Zeit es braucht und wie viel Geduld.
 
Im Wort des Herrn aus dem Evangelium des heutigen Tages gibt es keinen Hinweis darauf. Es heißt lediglich: „Sucht, dann werdet ihr finden; bittet, dann wird euch gegeben; klopft an, dann wird euch geöffnet“ (vgl. Mt 7,7) Keine Rede ist davon, dass das Erbetene und Gesuchte sich sofort findet. Es braucht Geduld und Hartnäckigkeit, ja sogar Zudringlichkeit, wie der Paralleltext bei Lukas im Gleichnis vom bittenden Freund es belegt:
„Und Jesus sagte zu ihnen: Stellt euch vor, ihr habt einen Freund und geht mitten in der Nacht zu ihm und sagt: Freund, leih mir drei Brote, denn ein Freund, der auf Reisen ist, ist zu mir gekommen, und ich habe nichts, was ich ihm vorsetzen könnte. Und jener drinnen würde antworten: Belästige mich nicht! Die Tür ist schon verschlossen, und meine Kinder schlafen bei mir. Ich kann nicht aufstehen und dir etwas geben. Ich sage euch: Wenn er schon nicht aufsteht und ihm etwas gibt, weil er sein Freund ist, so wird er doch seiner Zudringlichkeit wegen aufstehen und ihm geben, so viel er braucht.“ (vgl. Lk 11,5−8)

Das Suchen nach Gott braucht also Geduld und Hartnäckigkeit, denn es muss Widerstände aushalten. Das bereits erwähnte Kapitel 58 der Benediktusregel über das Verfahren bei der Aufnahme der Brüder beginnt mit den Worten:
„Wenn einer neu ankommt, um Mönch zu werden, dann soll ihm der Eintritt nicht ohne weiteres gewährt werden, sondern man halte sich an das Apostelwort: Prüft, ob die Geister aus Gott sind.
Kommt also einer und klopft beharrlich an, und zeigt es sich, dass er die schlechte Behandlung und die Erschwernis des Eintritts vier oder fünf Tage lang geduldig erträgt und auf seiner Bitte besteht, dann gewähre man ihm den Eintritt… Man achte sorgfältig darauf, ob der Novize wirklich Gott sucht.“

Es geht also nicht um irgendeine beliebige Art von Suchen, es geht um Gott-Suchen. Auf besondere Weise verbinde ich dieses Thema „Gott suchen“ mit diesem Haus in Bensberg. Wenn ich den Vortragssaal betrete, erinnere ich mich an die pastorale Großveranstaltung, die wir im Erzbistum Köln von 1993 bis 1996 hier abgehalten haben. „Pastoralgespräch“ war das Unternehmen überschrieben, das als seelsorgliche Standortbestimmung so oder ähnlich in vielen Diözesen stattfand: Menschen unterschiedlichster Herkunft mit ebenso unterschiedlichen Lebenszusammenhängen und Glaubenserfahrungen kamen zusammen, um Grundsätze für eine künftige Seelsorge zu überdenken. In der Rückerinnerung sehe ich wieder das Schriftwort vor mir, das an den Tagen, an denen wir hier zusammenkamen, groß über der Stirnwand des Saales geschrieben stand, ein Wort aus dem Propheten Jesaja: „So spricht Gott: Sie suchen mich Tag für Tag, denn sie wollen meine Wege erkennen“ (vgl. Jes 58,2).

Ja, suchen die Menschen unserer Zeit denn wirklich noch Gott – Tag für Tag? Geht ihr Sinnen und Trachten nicht in viele andere Richtungen? So halten wir Pastoralkonferenzen und stellen fest: Ja, das Interesse der Menschen an religiösen Fragen nimmt ab, von Tag zu Tag. Gott aber sagt etwas anderes: „Sie suchen mich Tag für Tag!“ Ich war damals bei den manchmal ermüdenden und zuweilen nervigen Diskussionen froh über dieses Prophetenwort, das uns ständig vor Augen stand, − „heilfroh“ in einem wörtlichen Sinn, weil ich damals wie heute überzeugt bin: Menschen suchen noch immer Gott, und sie werden es immer tun. Sie bitten, sie suchen, sie klopfen an. Gewiss, sie verstehen oft nicht mehr die Wege ihres Lebens und sie haben Mühe, darin Spuren Gottes zu erkennen. Sie ziehen sich zurück und verschließen sich, weil sie meinen, Gott habe sie im Stich gelassen und er verberge sich vor ihnen. Die immer wieder gestellte Frage ist uns allen geläufig: „Wo warst du, Gott?“ Aber gerade deswegen hören sie nicht auf, ihn zu suchen – ihn, von dem der Prophet Jesaja das sagt: „Wahrhaftig, du bist ein verborgener Gott, du Gott Israels“ (vgl. Jes 45,15). Ein Gott also, der sich verbirgt und darum gesucht werden will – Tag für Tag, immer wieder.

Göttliche Pädagogik? Ich glaube: Ja. Der hartnäckig Bittende und Fragende, der Anklopfende und Ausdauernde erhält zwar nicht die alsbaldige Erfüllung all seiner Wünsche, aber „den Heiligen Geist“, der zum wahren Hören und Beten mit Gottes Wort anleitet (Lk 11,13). Gottes Wort wird zum Gebet und das Gebet erschließt das göttliche Wort in Ausdauer, Geduld, Beharrlichkeit. In dieser Wechselwirkung erst wird verständlich, was das Evangelium in einer fast ungeheuerlichen Weise behauptet. Es sagt nichts Geringeres als dies: Nur wer hartnäckig sucht, wer in Geduld vor dem schweigenden Gott aushält, betet überhaupt. Das Ausharren mit dem schweigenden Gott, vielleicht über lange Zeit hin, das erst ist Gebet. Wie man einen Menschen nicht kennenlernen kann, wenn man nur für ein paar Minuten für ihn Zeit hat, sondern erst, wenn man ein gutes Stück seines Lebens teilt, so kann es Gebet und Annäherung an die Heilige Schrift nicht geben, indem man schnell mit irgendeinem Bedürfnis zu Gott läuft und sofortige Aufhellungen für Geist und Seele erwartet. Wir müssen bei Gott stehen bleiben und anklopfen bei ihm, immer wieder und wieder, und gerade dann, wenn er nicht zu hören scheint. Denn Gott will so bedrängt werden und wird uns Türen um Türen öffnen für das Verständnis seiner verborgenen Gegenwart und Nähe.
Amen.

Foto – bph [1]

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