Kreuzweg – Station 5

Simon von Cyrene hilft Jesus das Kreuz tragen

Station-5
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Einen Mann, der gerade vom Feld kam, Simon von Cyrene, den Vater des Alexander und des Rufus, zwangen sie, sein Kreuz zu tragen.
(Mk 15, 21)

Einer trage des anderen Last; so werdet ihr das Gesetz Christi erfüllen.
(Gal 6, 2)

Zwei Männer gemeinsam unter der Last eines gewaltigen Balkens; zwei Körper, zwei Gesichter aneinander geschmiegt unter dem drückenden Kantholz des Kreuzes. Vier Hände, deren Zuordnung auf den ersten Blick noch schwierig ist, aber dann wird deutlich: Eine Hand gilt jeweils der Last, die andere dem Gefährten. Wie sich die beiden ähneln! Wie ein Brüderpaar schauen sie uns an.

Was hat der eine mit dem anderen zu tun? Er kam doch nur zufällig vorbei, dieser Simon von Cyrene, hatte seine Feldarbeit hinter sich und seinen Feierabend redlich verdient. Da zwingen sie ihn, das Kreuz Jesu zu tragen – zufällig ihn. Zufällig? Was ist Zufall? Sinnlose Beliebigkeit, oder das, was zu-fällt. Was diesem Simon hier und jetzt zufällt als die Herausforderung, die er sich wahrhaftig nicht ausgesucht hat, vor der er jetzt aber auch nicht weglaufen kann, das verändert sein Leben – so weiß es die fromme Überlieferung. Dieser Jesus, mit dem er nichts zu tun hat, wird für ihn unversehens zum Nächsten, der seinen Beistand dringend braucht. Simon ist kein barmherziger Samariter, der von sich aus die fremde Not sieht und ohne Zögern zugreift. Man zwingt ihn, den Unbeteiligten, in diesen Dienst; man nötigt ihm das fremde Kreuz auf, und er fügt sich, notgedrungen.

Unter dem Kreuz werden aus Fremden Brüder; da kommt der andere in seiner Not so nah, dass die Barrieren fallen, mit denen Menschen sich auf Distanz halten und voneinander abgrenzen. Der Körper des einen wird zum Halt des anderen, die Wange des einen drängt sich an die Wange des anderen: zwei stehen zusammen. Gewiss, die rechte Hand Jesu hängt kraftlos geöffnet nach unten, während die Linke des Simon Jesus stark und zärtlich zugleich um die Taille fasst; gewiss, das Antlitz Jesu ist aschfahl, von Erschöpfung und Pein gezeichnet, während das Gesicht des Simon kräftig und voller Leben erscheint. Gewiss ist Simon der zur Hilfe Fähige und Jesus der Hilfsbedürftige – und doch: unsere Station signalisiert, dass Simon nicht nur der Gebende, sondern auch der Empfangende ist. Die linke Hand Jesu trägt das Kreuz mit; seine Rechte umfängt den Simon und beantwortet dessen Umarmung. Die hellste Stelle des ganzen Bildes liegt in dem Lichtschein, der das Gesicht des Simon aufleuchten lässt. In dieser Situation, über der schon der Schatten des Todes heraufzieht, wird ihm eine Erfahrung zuteil, die ihn erleuchtet und ihm zugleich Ausstrahlung schenkt.

Der Blick der beiden fällt auf mich: der Blick dessen, der aus Treue zu seiner Sendung nicht vor dem Kreuz zurückgezuckt ist und der Blick dessen, der unter das Kreuz genötigt in Jesus den Bruder fand. Sieh uns an, so scheint ihr Blick zu sagen, und schau dich selbst an. Wo stehst Du mit Deinem Kreuz? Hast Du einen Bruder, eine Schwester an deiner Seite? Und an wessen Seite stehst Du? Wo erfährst Du Solidarität und wem schenkst Du sie? Unter wessen Kreuz bist Du genötigt worden, wer wurde Dir als Nächster zugemutet? Kennst auch Du die Erfahrung des Lichts, wenn Du Dich von der Not und Qual eines anderen hast anrühren lassen und ihm zur Seite gestanden bist?

Wenn wir bereit sind, einander die Lasten zu tragen, so sagt uns diese Station, dann werden auch wir IHM mehr und mehr ähnlich werden, der für uns alle das Kreuz getragen hat und der das unsrige bis heute zusammen mit uns trägt.

 

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