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Kreuzweg – Station 11

Jesus wird an das Kreuz genagelt

Station-11 [1]

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Und sie werden auf den blicken, den sie durchbohrt haben.
(Sach 12, 10)

Was für eine ungewohnte Perspektive! Wo ist denn dieser Jesus, den sie ans Kreuz nageln? Der Künstler Sieger Köder ändert abrupt unsere Blickrichtung; er zieht uns hinein in den Kreuzweg und lässt uns mit den Augen Jesu schauen, der ausgestreckt auf dem Kreuz liegt und in einen grauen Himmel hinaufsieht, aus dem eine tote, schwarze Sonne auf ihn hernieder starrt.

Auf den Liegenden – auf mich Liegenden – starrt aber auch ein Kranz von Gesichtern herab, so als läge ich auf einem Operationstisch – bereit zum Seziertwerden. Ein Opfer liegt ausgestreckt, ausgeliefert einer anonymen Mordmaschine. Der römische Legionär – gesichtslos, gepanzert – tut mit geschwungenem Arm ungerührt seinen Henkersdienst. Gleich wird der Hammer niedersausen und wieder unter dem Gejohle der Menge einen Nagel eintreiben. Nicht alle johlen – neben amüsiertem, süffisantem Lächeln ist auch Nachdenklichkeit zu beobachten, Betroffenheit, Schmerz und Trauer. Einer schlägt die Hände vors Gesicht, er kann nicht mehr hinschauen; ein anderer blickt in die Schriftrolle, als deuteten ihm die prophetischen Worte des Sacharja, was hier geschieht und noch geschehen wird: „Sie werden auf den schauen, den sie durchbohrt haben.“

Die Einladung des Künstlers, sich mit dem leidenden Jesus zu identifizieren, die eigenen Erfahrungen von „Angenagelt-Sein“, von Festgelegt-Sein in dieses Bild einzutragen, ist unverkennbar. Was nimmt uns nicht alles die Bewegungsfreiheit, nagelt uns fest: Krankheit und Behinderung, unausweichliche berufliche und familiäre Leidenssituationen, Vorurteile anderer. Und wie viele sehen wir in Not, Leid und Elend festgenagelt, ohnmächtig, ausgeliefert, begafft. Menschen schauen zu, eine Weltöffentlichkeit schaut zu, wo Menschen, wo ganze Völker zur Opfern der Gewalt werden. Jesus kennt diese Not; er hat sie am eigenen Leib erfahren.

Aber da gibt es noch eine andere, vielleicht noch tiefere Not, die von der schwarzen Sonne ausgeht. Der Dichter Jean Paul hat in seinem Werk „Siebenkäs“ die REDE DES TOTEN CHRISTUS VOM WELTGEBÄUDE HERAB, DASS KEIN GOTT SEI eingefügt, in der es heißt: „und als ich aufblickte zur unermesslichen Welt nach dem göttlichen Auge, da starrte sie mich mit einer leeren bodenlosen Augenhöhle an; und die Ewigkeit lag auf dem Chaos und zernagte es und wiederkäuete sich. – Schreiet fort, Misstöne, zerschreiet die Schatten; denn ER ist nicht!“

Dieser Alptraum der Gottesfeme, der Gottverlassenheit ist das eigentliche Grauen dieser Szene. Da ist kein rettender Ankerpunkt, zu dem der Leidende aufblicken könnte, um sich in seiner Todesnot getragen und getröstet zu wissen. Der „gute Vater überm Sternenzelt“ ist nicht da! Es ist als würde sich schon hier jene Not zusammenballen, die dann am Kreuz herausbricht im Schrei „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ Auch diese äußerste Anfechtung ist Jesus nicht fremd, und wer immer von uns einmal in diese „leere, bodenlose Augenhöhle“ geblickt hat, darf sich an SEINER Seite wissen.

 

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