„Die Letzte am Schafott“

Lesung und Gespräch über Gertrud von Le Forts Briefnovelle in der Reihe „Glaubensforum nachgefragt“

„Es ist unglaublich, wie hochaktuell Gertrud von Le Fort ist, wenn man sich nur auf sie einlässt.“ Heinrich Vries, Mitglied im Vorstand der Gertrud-von-Le-Fort-Gesellschaft Würzburg und regelmäßiger Messbesucher in St. Nikolaus gerät ins Schwärmen, wenn er von der großen christlichen Schriftstellerin deutscher Sprache im 20. Jahrhundert spricht. Seiner Anregung verdankt es sich nun auch, dass am kommenden Sonntag um 19.30 Uhr nach der Abendmesse eine Lesung mit anschließendem Gespräch über eines der Hauptwerke der 1971 verstorbenen Literatin im Treffpunkt von St. Nikolaus stattfindet.

„Die Letzte am Schafott“ – vielen noch als obligatorische Schullektüre in den 1970er Jahren bekannt – bildet die literarische Grundlage für diese Veranstaltung innerhalb der Reihe „Glaubensforum nachgefragt“. Dabei wird Dr. Petra Kehl, Historikerin aus Fulda und Leiterin des Verlages, in dem vor drei Jahren ein Hörbuch zu dieser Novelle erschienen ist, die Überleitungen zwischen den einzelnen, von ihr sorgfältig ausgewählten Hörbeiträgen vornehmen. Über die Entstehungsgeschichte wird vorab Heinrich Vries sprechen, der das Werk auch in der Weiterverarbeitung von Georges Bernanos zu einem Schauspiel und von Francis Poulenc zu einer weltweit immer wieder erfolgreich aufgeführten Oper beleuchten wird. „Gertrud von Le Fort verdient es, wieder ins Blickfeld gerückt zu werden“, sagt der Literaturkenner aus Refrath.

Gertrud von le Fort greift in ihrer Novelle, die in den 1920er Jahren entsteht und 1931 zum ersten Mal verlegt wird, das Martyrium der Karmelitinnen von Compiègne während der Französischen Revolution auf. Die Ordensfrauen wurden 1794 in Paris durch die Guillotine hingerichtet, nachdem sie sich beharrlich der neuen Zeit widersetzt hatten, für die galt: „Das Ordensleben steht nicht mit den Menschenrechten in Einklang.“ In das historische Geschehen fügt die Literatin von le Fort die fiktive Gestalt der Novizin Blanche de la Force ein, die seit ihrer unter unglücklichen Umständen erfolgten Geburt von Angst geprägt ist. Während sich ihre Mitschwestern unter Führung der Novizenmeisterin Marie de l’Incarnation, einer starken Persönlichkeit aus königlichem Geblüt, auf dem Höhepunkt der Schreckensherrschaft zu dem Gelöbnis entschließen, Gott ihr Leben für die bedrängte Kirche Frankreichs anzubieten, flieht Blanche voller Todesangst aus dem Kloster. Die Marktweiber von Paris, die strickend den Hinrichtungen von so genannten Feinden der Revolution beiwohnen, nehmen sich des Mädchens auf ihre eigene – grausame – Weise an. Und doch: Als ihre Mitschwestern schließlich das Schafott besteigen, folgt ihnen Blanche freiwillig nach, den Hymnus „Veni creator spiritus“ auf den Lippen. Ausgerechnet ihr, der Schwachen, ist das Martyrium vergönnt, während es der starken Marie de l’Incarnation, die es erstrebt hat, verwehrt bleibt. Doch woher nimmt Blanche diese Kraft? Diese Frage steht im Mittelpunkt der berühmten Briefnovelle Gertrud von Le Forts. Denn in Blanche erscheint letztlich personifiziert die „Todesangst einer ganzen zu Ende gehenden Epoche“ (G. v. Le Fort).

Aus Angst vor dem tyrannischen Vater, der Einsamkeit im mutterlosen Elternhaus und der Kälte der Gesellschaft war Blanche in den Karmel geflohen. Hier hatte sie sich Frieden erhofft, muss aber erkennen, dass sie ihre Angst mitgenommen und lediglich in neue, ebenfalls von Machtkonflikten geprägte Strukturen umgepflanzt hat. „Gott ist nicht da. Er hilft mir nicht“, erschüttert die alte sterbende Priorin im Moment des Todes ihre Hoffnung. So flieht Blanche, während die französische Revolution die Mauern des Klosters durchbricht. Sie kommt aber zurück, als sie erfährt, dass ihre Schwestern an dem Gelübde, als Gemeinschaft für den Glauben zu sterben, festhalten.

Die psychologische Spannung zwischen den unterschiedlichen Charakteren der Frauen – der Priorin Thérèse de Saint Augustin, der Novizenmeisterin Marie de l’Incarnation und der Novizin Blanche de la Force –  sowie die Stimmung unter den Schwestern, die das Martyrium erstreben und sich darauf vorbereiten, werden von Schauspieler Bernt Hahn in diesem Hörbuch, das die Moderatorin für ihre Darstellungen abspielen wird, mit tiefem Einfühlungsvermögen und großem Können gelesen.

Text – Beatrice Tomasetti/ Kathnews
Foto – Ulrike Christ

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